Asiens letzte Löwen
13. Mai 2014 Noch vor Sonnenaufgang begann ihr Arbeitstag, im tiefsten Dschungel Nordwestindiens. "Sobald das Gebrüll der Löwen ertönte, machte ich mich auf Spurensuche – das war der aufregendste Teil meiner Feldrecherche", erzählt die Wildtierbiologin Meena Venkataraman. Jahrelang hat sie für ihre Doktorarbeit das Verhalten der einheimischen Löwen im Gir-Nationalpark im indischen Bundesstaat Gujarat erforscht.
Der Gir-Nationalpark ist weltweit das letzte Refugium für Asiatische Löwen. Im Gir-Gebiet leben neben den Löwen auch hunderte Leoparden, Streifenhyänen und Goldschakale – der Nationalpark besitzt damit eine der größten Raubtierdichten Asiens. Das gesamte Schutzgebiet erstreckt sich über eine Fläche von 1412 Quadratkilometern und besitzt eine beeindruckende Flora und Fauna mit mehr als 500 Pflanzen- und beinahe 2400 Tierarten. Dazu zählen 38 Säugetiere, 300 Vogelarten, 37 verschiedene Reptilien und mehr als 2000 Insektenarten. Der letzten Zählung nach leben im Gir-Nationalpark noch 411 Löwen, es sind nunmehr die einzigen in freier Wildbahn.
"Wilderei und der Verlust des Lebensraumes führten in den letzten Jahrhunderten zu einem dramatischen Rückgang des Löwenbestandes", so Dr. Venkataraman. Die internationale Naturschutzbehörde IUCN stuft den asiatischen Löwen als "stark gefährdet" ein.
Löwen weltweit gefährdet
Der Asiatische Löwe sieht dem Afrikanischen Löwen recht ähnlich, ist aber etwas kleiner und hat eine weniger deutlich ausgeprägte Mähne. Laut IUCN ist der Asiatische Löwe gefährdeter als sein afrikanischer Artgenosse, sein Bestand gilt derzeit jedoch als relativ stabil. Im Gegensatz dazu hat sich die Löwenpopulation in West-, Ost- und Zentralafrika innerhalb von 15 Jahren um mehr als die Hälfte verringert. Allein in Westafrika gibt es derzeit nur noch rund 400 Löwen.
Der Löwen-Experte Prof. Craig Packer von der Universität Minnesota ist besorgt: "Die einzigen Löwenpopulationen in Afrika, die noch wachsen, leben entweder in umzäunten Reservaten oder in Ländern mit einer extrem niedrigen Bevölkerungsdichte wie Namibia oder Botswana. Asien hat aufgrund der Bevölkerungsexplosion seine Löwen zuerst verloren. Da Afrikas Bevölkerung sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts vervierfachen soll, sind Schutzgebiete für Löwen auch dort dringendst notwendig."
Letztes Refugium des Asiatischen Löwen
In Indien ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, den Asiatischen Löwen durch ein einziges Reservat vor dem Aussterben zu bewahren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierten nur noch wenige Dutzend Löwen in Bereich des Gir-Parks. In allen übrigen Gebieten Asiens war der Löwe verschwunden.
Dem letzten Maharadscha von Gujarat (der Nawab von Junagadh, benannt nach dem ehemaligen indischen Fürstenstaat Britisch-Indiens) ist es schließlich zu verdanken, dass es den Asiatischen Löwen heute überhaupt noch gibt: Er stellte einen Großteil des Gir-Gebietes unter Schutz und verbot die Löwenjagd. Als Gujarats Forstabteilung den Gir-Park im Jahr 1965 zum Schutzgebiet erklärte, lebte dort noch der nomadische Maldhari-Stamm samt Viehherden. Wiederholt kam es zu Konflikten zwischen Menschen und Löwen. Ein paar Jahre später wurden unter Protest mehrere hundert Maldhari-Familien schließlich umgesiedelt. Seit Jahrhunderten war das Gir-Gebiet der Lebensraum der Maldharis. Heute leben schätzungsweise noch 8400 von ihnen dort.
Nachdem 1975 die Kernzone des Reservats in einen Nationalpark umgewandelt wurde, ging es für die Löwenpopulation aufwärts: Durch diverse Schutzmaßnahmen und einen drastischen Anstieg der Beutetierbestände stieg die Zahl der Löwen seitdem an.
Weitere Schutzgebiete notwendig
Dennoch ist ein einziges Habitat für die Bestandserhaltung des Asiatischen Löwen nicht ausreichend. Die Löwen sind dadurch diversen Gefahren ausgesetzt, wie Meena Venkataraman erklärt: "Wilderei und Konflikte zwischen Löwen und Menschen sind die sichtbaren Herausforderungen – zudem besteht das Risiko, dass diese einzige Löwenpopulation durch den Ausbruch einer Krankheit oder durch unvorhergesehene Naturkatastrophen komplett ausgerottet wird." Um diesen potentiellen Bedrohungen entgegenzuwirken, ist ein weiteres Schutzgebiet für die einzige freilebende Löwenpopulation Asiens dringend notwendig. Es gibt daher bereits seit einigen Jahren Bestrebungen seitens der indischen Regierung, die Löwen in ein zweites Habitat umzusiedeln.
Nachdem mehrere potentielle Reservate in Erwägung gezogen wurden, fiel die Wahl der Experten auf das Kuno-Reservat im Bundesstaat Madhya Pradesh in der Mitte Indiens. "Der Hauptgrund war die Größe des Waldstückes – in Indien ist es ungewöhnlich, ein intaktes Waldgebiet von 3000 Quadratkilometern mit einer geringen Bevölkerungsdichte und wenig Straßen vorzufinden. Zudem musste das Gebiet Teil des früheren Verbreitungsgebietes der Löwen sein und einen ausreichenden Beutetierbestand aufweisen", erklärt Dr. Ravi Chellam, Mitglied des Expertenkomitees für das Umsiedlungsprojekt. Insgesamt 24 Dörfer und 1545 Familien, von denen die meisten dem indigenen Sahariya-Stamm angehören, mussten deshalb bereits aus dem Kuno-Reservat in andere Gebiete umgesiedelt werden.
Löwen-Umsiedlung seit Jahren verzögert
Politische Querelen verzögerten das Umsiedlungsprogramm für die Löwen jedoch immer wieder. So weigerte sich die Regierung Gujarats bisher, die Tiere dem Nachbarstaat zur Verfügung zu stellen. Dr. Chellam bedauert diese mangelnde Kooperationsbereitschaft: "Die Regierung Gujarats hat lange die Position vertreten, dass die Löwen in Gir sicher seien und eine Umsiedlung somit nicht notwendig ist. Diese Ansicht basiert größtenteils auf politischem Kalkül und einem mangelnden Verständnis für Umweltschutz, nicht auf rationalem Denken", so der Wildtierbiologe und Naturschutzwissenschaftler. Jahrelang argumentierte die Regierung Gujarats und allen voran sein Chief Minister Narendra Modi, die Löwen seien der "Stolz Gujarats" und als solche "Familienmitglieder", von denen man sich nicht trennen könne.
Im Jahr 2013 entschied der Oberste Gerichtshof des Landes schließlich, dass die Löwen Indien gehören und nicht dem Staat Gujarat. Dem Urteil nach müssen die Tiere nun für eine Umsiedlung ins Kuno-Reservat zur Verfügung gestellt werden. Die Regierung Gujarats versuchte seitdem wiederholt, die Entscheidung anzufechten. Fehlende Bemühungen seitens der indischen Nationalregierung seien ebenso für die Verzögerung des Projektes verantwortlich, so Dr. Chellam. Die Regierung in Neu-Delhi soll nun gemeinsam mit den Staatsvertretern von Madhya Pradesh einen detaillierten Arbeitsplan mit Zeitvorgaben und einem Budget entwickeln, denn in Kürze soll das Umsiedlungsprogramm endgültig umgesetzt werden.
Dr. Chellam zeigt sich hoffnungsvoll: "Die Herausforderung liegt hauptsächlich darin, den Widerstand und die Taktik der Regierung Gujarats zu überwinden und sicherzustellen, dass der Staat Madhya Pradesh technische Unterstützung und die notwendigen finanziellen Mittel erhält. Ich bin zuversichtlich, dass diese Aspekte bald geregelt sind und die Löwen besser früher als später umgesiedelt werden können."