1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Moskaus fragwürdige Giftgas-Warnung

27. August 2018

Die russische Regierung warnt vor einem angeblichen Giftgasangriff durch Assad-Gegner in Idlib. Doch an der Stichhaltigkeit der Hinweise kommen Zweifel auf. Experten sehen die Warnung als Ausdruck russischer Ohnmacht.

Syrien Duma Trauer nach Giftgasangriff
Trauer: Ein Syrer beklagt den Tod seines Kindes, das im April 2018 bei einem Giftgasangriff in Duma umgekommen ist.Bild: picture-alliance/newscom/M. Hassan

Am Samstag trat das russische Verteidigungsministerium mit einer Warnung an die internationale Öffentlichkeit: Syrische Rebellen - Mitglieder der islamistischen Gruppe Tahrir al-Sham - seien derzeit dabei, einen Chemiewaffenangriff in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens vorzubereiten. Die Gruppe, so Ministeriumssprecher Igor Konashenkov, inszeniere einen entsprechenden Angriff, um ihn vor den Augen der Weltöffentlichkeit dann der Regierung Assad in die Schuhe zu schieben.

Die Rebellen hätten bereits mehrere Behälter mit Chlorofin in ein Dorf nahe der Stadt Jisr al-Shugur gebracht. Auch hätten sie ein ausländisches Unternehmen engagiert, das ihnen dabei helfe, den Angriff vorzubereiten. Zudem würden sich einige der Täter als Mitglieder der Weißhelme verkleiden, um angebliche Opfer des inszenierten Angriffs zu bergen. Nach realen Angriffen des Regimes nimmt die Rettungsgruppe Weißhelme ihre Arbeit auf, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu retten.   

Der Sinn des Unternehmens liege auf der Hand, so Konashenkov, laut Medienberichten: Die Rebellen wollten den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich einen Vorwand liefern, Ziele der syrischen Regierung in Luftschlägen anzugreifen.

"Lügen und bloße Behauptungen"

Die russische Warnung blieb nicht lange unwidersprochen: Die den syrischen Rebellen verbundene, international aber als glaubwürdig geltende "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" mit Sitz in London bezeichnete die Warnungen aus Moskau als "Lügen".

"Das sind bloße Behauptungen, die dazu dienen sollen, die Schlacht um Idlib einzuleiten", sagte internationalen Medienberichten zufolge Rami Abdel-Rahman, der Direktor der Beobachtungsstelle. Das Chlorin sei aus einem ganz anderen Grund geliefert worden. "Dieses wird von Zeit zu Zeit bereit gestellt, damit die lokalen Wasserwerke das Wasser sterilisieren können", so Abdel-Rahman. 

Das Moskauer Verteidigungsministerium hätte mit Widerspruch und Nachfragen rechnen können. Die einfachste Frage stellte die in London erscheinende Internetzeitung Al-Araby al-jadeed: Seit wann lässt das russische Militär Terrorakte zu, von denen es im Vorfeld weiß?

Weißhelme retten im Dezember 2016 Menschenleben in Idlib Bild: Getty Images/AFP/M. Al-Bakour

"Russen haben kein Vertrauen zu Assad"

Eine weitere Frage: Warum überhaupt geht Moskau mit einer solchen Warnung an die Öffentlichkeit, wo doch absehbar ist, dass alle am Konflikt beteiligten Akteure, einschließlich der Vertreter internationaler Organisationen, nun mit besonderer Aufmerksamkeit nach Syrien schauen?

"Womöglich fehlt auch den Russen selbst das Vertrauen in das Assad-Regime", vermutet Elias Perabo von der mit den Aufständischen sympathisierenden Initiative "Adopt a Revolution". Offenbar sei man sich in Moskau nicht sicher, dass die Assad-Regierung tatsächlich auf den Einsatz von Chemiewaffen verzichte, so Perabo im Gespräch mit der DW. "In der Vergangenheit wurden 34 Giftgas-Einsätze von UN-Kontrolleuren untersucht. Für 28 wurde das Regime verantwortlich gemacht. Dieses hat nicht nur Chlor eingesetzt, sondern auch Sarin und andere Stoffe."

Demnach ist nicht ausgeschlossen, dass die Regierung nun auch in Idlib Giftgas einsetzt. In Idlib befindet sich eine der vier so genannten De-Eskalationszonen. Sie wurden eingerichtet, um Zivilisten Schutz zu bieten. Doch in Idlib liegen auch Stellungen der bewaffneten Opposition, vor allem auch der Nusrah-Front.

Giftgas und psychologische Kriegsführung

Die Nusrah-Front wurde von der Regierung bereits in den ersten Augusttagen heftig attackiert, ohne dass sie allerdings völlig aufgerieben wurde: Die Rebellen wehren sich weiterhin. Dies, vermutet Parebo, könnte für die Regierung ein Grund sein, Chemiewaffen einzusetzen. Giftgas töte sehr schnell, so Parebo. Vor allem hätten die Menschen große Angst davor. "Durch den Einsatz wird den Menschen signalisiert, dass sie nirgendwo sicher sind - weder in Bunkern noch anderswo". Da das Gas nach unten ziehe, treffe es auch die Menschen in den Schutzräumen. Darum seien die Menschen absolut schutzlos. Das, so Parebo, habe auch eine enorme psychologische Wirkung. Die Menschen würden demoralisiert - auch und gerade die Zivilisten.

Rettende Hilfe: Ein Kind wird im April 2018 nach einem Giftgasangriff in Ost-Ghouta im Krankenhaus behandeltBild: Reuters/White Helmets

Ethisch hat die Regierung Assad offenbar keine Bedenken, das Gift einzusetzen. Auch militärisch dürfte aus ihrer Sicht wenig gegen diese Waffe sprechen. Denn bislang blieb der Einsatz von Chemiewaffen ungeahndet. Obamas Warnungen vom Sommer 2013, mit dem Einsatz von Giftwaffen überschreite die Assad-Regierung eine "rote Linie", blieben ohne Folgen.

Warnung aus Washington

Nun hat allerdings der US-Sicherheitsberater John Bolton die Assad-Regierung ebenfalls davor gewarnt, Giftwaffen einzusetzen. Geschähe dies, so Bolton in Richtung Damaskus, würden die USA "sehr stark antworten." Auf diese Aussage könnte sich russische Warnung vor angeblichen Giftgasangriffen durch die Rebellen beziehen. 

Allerdings ist offen, was von der Warnung aus dem Weißen Haus zu halten ist. Die USA operieren zwar seit Jahren in Syrien, dies aber im Wesentlichen verdeckt. Auch darum, weil eine direkte Konfrontation mit der Assad-Regierung leicht auch zu einem Zusammenstoß mit deren Schutzmacht Russland führen könnte. Es ist offen, ob die Trump-Administration zu einem solchen Schritt tatsächlich bereit wäre.

Ein angemessener Schritt, um einen weiteren Einsatz von Giftgas zu verhindern, müsse darum ein anderer sein, sagt Elias Perabo. Man müsse Putin gegenüber ganz klar zu erklären, dass es bei weiteren Giftgas-Einsätzen keine Gelder für den Wiederaufbau in Syrien geben werde. "Jeglicher Einsatz von Massenvernichtungswaffen und Giftgas muss geahndet werden - ganz unabhängig davon, wer ihn begangen hat. Solange sich Russland weigert, für Aufklärung zu sorgen kann man mit dem Land keine Partnerschaft schließen."

Der Trumpf des Westens: das Geld

Mit Idlib dürfte absehbar die letzte Bastion der Rebellen fallen. Von diesem Zeitpunkt an dürfte es weniger um militärische als um ökonomische Aspekte des Krieges gehen. Russland dürfte nach mehreren kostspieligen Jahren militärischer Intervention nicht gewillt sein, nun die Kosten für den Wiederaufbau des zerstörten Syriens zu tragen. Auch der finanzielle Spielraum von Assads zweiter Schutzmacht, dem Iran, ist insbesondere nach dem von US-Präsident Trump verhängten Embargo massiv eingeschränkt. Die westlichen Staaten zeigten sich während des Syrien-Kriegs militärisch vergleichsweise zurückhaltend. In künftigen Verhandlungen könnten sie nun aber ihre eigentliche Stärke ausspielen: die Ökonomie.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika