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Al-Assad verkennt den Ernst der Lage

20. Juni 2011

Syriens Präsident Bashar al-Assad hat den Reformkräften einen Dialog angeboten. Zugleich stellte er aber ihre Protestaktionen erneut als Komplott extremistischer Kräfte dar. Rainer Sollich kommentiert.

Bild: DW

Anders als vor dem syrischen Schein-Parlament Ende März, vermittelte Bashar al-Assad diesmal zumindest nicht den Eindruck, sich über die Proteste in seinem Land lustig zu machen. Feixende Scherze verkniff er sich, die Choreographie seiner Rede kam ohne überschwänglich inszenierte Jubelausbrüche aus. Dennoch hat man auch jetzt nicht den Eindruck, dass Syriens Präsident den Ernst der Lage vollständig begriffen hätte.

Vorwürfe und Verschwörungstheorien

Rainer Sollich ist Leiter der Arabischen Redaktion der DWBild: DW

Schätzungsweise 1300 Menschen sind seit Beginn der Proteste getötet worden, mehr als 10.000 in die benachbarte Türkei geflüchtet. Da ist es purer Hohn, wenn Assad trotzig verkündet, die jetzige Krise werde Syrien nur noch stärker machen. Eine Entschuldigung für Flucht und Vertreibung kam dem Präsidenten nicht über die Lippen. Stattdessen wiederholte er altbekannte Vorwürfe, nach denen die Proteste von "Terroristen" manipuliert und aus dem Ausland "gesteuert" würden. Verschwörungstheorien, für die er abermals keine Beweise vorlegte und die in einem Land ohne freie Medienberichterstattung kaum überprüft werden können.

Offenbar fehlen diesem Präsidenten der Mut, die Visionen und vielleicht auch die Kraft, um das Land aus der Krise herauszuführen. Die einzigen Antworten, die sein Regime bisher auf die Proteste gegeben hat, sind rohe Gewalt und verspätete Zugeständnisse, von denen niemand weiß, was sie am Ende wert sein werden. So stellte er auch jetzt wieder Reformschritte in Aussicht: Binnen weniger Wochen sollen demnach sowohl Parlamentswahlen, als auch ein nationaler Dialog und womöglich weitere Haftentlassungen stattfinden. Denn natürlich, so beteuerte Assad, unterscheide man zwischen "Saboteuren" und Bürgern mit "berechtigten Reformansprüchen". Diese Differenzierung scheint aber offenbar nicht für die militärischen Einheiten unter dem Kommando seines Bruders Maher Al-Assad zu gelten, vor denen tausende Syrer ins Grenzgebiet flüchten.

Widersprüchliche Reformversprechen

Bashar al-Assad forderte diese Flüchtlinge jetzt dazu auf, nach Syrien zurückzukehren. Er sagte jedoch nicht, warum sie ihm plötzlich vertrauen sollten. Seine Reformversprechungen blieben nicht nur vage, sondern auch widersprüchlich: Einerseits sagte er, Reformen seien im Interesse der gesamten Nation - sie könnten sogar zu einem Ende des Machtmonopols der herrschenden Baath-Partei führen. Andererseits erklärte er, Reformen könnten dem Land in einem Klima der "Sabotage" nicht aufgezwungen werden. Er sagte nicht, wie er ein Ende des Blutvergießens und der Massenflucht erreichen will. Der Opposition kann dies nicht ausreichen, während viele Angehörige religiöser Minderheiten wie der Christen und der im Lande dominierenden Alawiten aus Angst vor Racheakten sunnitischer Extremisten weiter den Schutz der Assad-Diktatur suchen dürften. Die Gefahr, dass Syrien in Richtung Putsch oder interkonfessioneller Bürgerkrieg abdriftet, scheint beängstigend real.

Autor: Rainer Sollich

Redaktion: Lina Hoffmann

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