Impfen: Was hat es mit den Thrombosen auf sich?
31. März 2021Ab heute kein AstraZeneca-Impfstoff mehr für Menschen unter 60 - so lautet der Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und Ländern nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkomission (Stiko). Mittlerweile sind in Deutschland 31 Fälle einer seltenen Thrombose in kurzem zeitlichem Abstand zu den Impfungen dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet worden. Neun davon endeten für die Betroffenen tödlich. Das ist bisher über die Zusammenhänge bekannt:
Stau im Gehirn: Was genau wurde beobachtet?
Bei 2,7 Millionen verabreichten Erstdosen und 767 Zweitdosen von AstraZeneca sind nach aktuellem Stand des Impfmonitorings des Robert-Koch-Instituts (RKI) 31 Fälle von sogenannten Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Gleichzeitig wurde bei 19 der betroffenen Personen auch ein Mangel an Blutplättchen festgestellt, was die Blutgerinnung beeinflussen kann.
Bei der Sinusvenenthrombose verstopft ein Blutgerinnsel die Venen des Gehirns, über die normalerweise das sauerstoffarme Blut zum Herzen abfließen soll. Kann das Blut jedoch nicht mehr richtig abfließen, steigt der Druck im Gehirn und es kann dort zu weiteren Blutungen kommen. Im schlimmsten Fall führen Sinusvenenthrombosen zu tödlichen Schlaganfällen.
Allerdings gilt diese Art von Thrombose bisher als eher selten, schaut man sich ihre generelle Inzidenz an: Es wird davon ausgegangen, dass von einer Millionen Menschen über das Jahr verteilt zwei bis fünf Personen eine Sinusvenenthrombose erleiden.
Neuere Studien weisen jedoch auf eine höhere Anzahl an Betroffenen hin. Von bis zu 15,7 Fällen pro einer Millionen Menschen und Jahr ist in einer australischen Studie die Rede, sagt Paul Hunter, Medizinprofessor an der University of East Anglia. "Das würde bedeuten, die aktuelle Inzidenz wird um das vier- bis achtfache unterschätzt."
Ist Thrombose immer gleich Thrombose?
Seit der Bekanntgabe der Impfpause Mitte März 2021 durch Gesundheitsminister Jens Spahn wird viel diskutiert. Besonders in den sozialen Medien tobte ein Shitstorm: Warum wird bei 1100 Thrombosefällen unter 1 Millionen Frauen die Pille weiterhin verschrieben und bei (zu dem Zeitpunkt) sieben Thrombosefällen auf sogar 1,6 Millionen Impfdosen gleich die ganze Impfstrategie über den Haufen geworfen?
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk diesen Vergleich. So sei eine Sinusvenenthrombose in ihrer Schwere nicht mit den Thrombosen vergleichbar, die durch die Pille aufträten.
Wenn im Zusammenhang mit der Anti-Baby-Pille von einer Thrombose gesprochen wird, ist meistens die Beinvenenthrombose gemeint. Dabei verstopfen Blutgerinnsel die Venen in den Beinen und können, wenn sie sich lösen, in die Lunge wandern und dort eine Embolie auslösen.
Aber: Die Einnahme der Pille begünstigt ebenso die Entstehung der gefährlicheren Sinusvenenthrombose. "Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sehen wir die Sinusvenenthrombosen am häufigsten", sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gegenüber der Deutschen Welle. Unabhängig vom Geschlecht seien generell jüngere Menschen häufiger betroffen, als ältere.
AstraZeneca: Sorge gerechtfertigt?
Die jüngste Entscheidung, die Impfstoff-Vergabe für Menschen unter 60 Jahren in der Regel zu unterlassen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Die Stiko hatte am Dienstag (30.3.) dazu geraten. Die Thrombosen seien zwar selten, aber schwerwiegend, heißt es in einer Pressemitteilung.
Da sie überwiegend bei Personen unter 60 Jahren aufträten, empfiehlt die Stiko, die Impfstoffvergabe auf Personen außerhalb dieser Altersgruppe zu beschränken.
Wie die Sinusvenenthrombosen tatsächlich entstehen und ob es einen gesicherten Zusammenhang zu den Impfungen gibt, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Forschende aus Greifswald hatten bereits Ende März Untersuchungsergebnisse publiziert, in denen sie einen möglichen Mechanismus beschreiben.
So konnten in den Blutproben von vier hauptsächlich weiblichen Personen, die nach einer Impfung mit AstraZeneca Thrombosen entwickelt hatten, Antikörper nachgewiesen werden, die die Blutplättchen aktivieren. Dadurch gerinnt das Blut, kann verklumpen und es können Thrombosen entstehen.
Veröffentlicht wurden diese Ergebnisse in der Preprint-Publikation Research Square. Sie wurden also bisher nicht von unabhängigen Experten geprüft. Für Sicherheitsprüfungen und Empfehlungen durch Komissionen wie die Stiko, können solche schnellen Ergebnisse jedoch wichtig sein.
"Das Bild ist noch nicht komplett, aber es ist die Frage, welche vorläufigen Schlussfolgerungen man daraus ziehen kann", sagt Robert Klamroth, Chefarzt für Innere Medizin am Vivantes-Klinikum in Berlin. Er sieht in den Daten eine Erhärtung des Zusammenhangs zwischen AstraZeneca und den Thrombosen.
"Wichtig ist zu betonen, dass die Impfung nicht mit einem höheren allgemeinen Thromboserisiko einhergeht - dieses ist nicht erhöht", sagt Alice Assinger von der Medizinischen Universität Wien. "Bedenkt man die große Zahl an Impfungen, wird anschaulich, wie selten Sinusthrombosen auftreten und wie gering das Risiko dafür ist. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele Personen geimpft, wodurch das Erkennen von seltenen Nebenwirkungen erst möglich wurde."
Auch bei einer Infektion mit dem Coronavirus steigt das Risiko, eine Thrombose zu entwickeln. Das liegt vermutlich daran, dass unser Immunsystem bei Corona einen bestimmten Abwehrmechanismus hochregelt, der die Blutgerinnung beeinflusst und so zu mehr Thrombosen führen kann.
Flickenteppich Impfstrategie: Welche Entscheidung ist die richtige?
Auffällig bleibt, dass mit dem Blick nach Großbritannien bei aktuell 13,7 Millionen verabreichten Impfdosen aus dem Hause AstraZeneca lediglich von vier expliziten Fällen von Sinusvenenthrombosen berichtet wurde. Dort wird weiterhin uneingeschränkt mit AstraZeneca geimpft.
"Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass zunächst die älteren Personengruppen geimpft wurden und dort diese Komplikation praktisch nicht beobachtet wird. Eine Konsequenz daraus könnte sein, dass man Frauen bis 55 Jahre mit einer anderen Vakzine impft, um die Zahl der atypischen Thrombosen möglichst gering zu halten", findet Johannes Oldenburg, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Thrombose- und Hämatoseforschung (GTH).
Die Europäische Arzneimittelargentur (EMA) kündigte für kommende Woche erneute Beratungen über die Sicherheit des Impfstoffs von AstraZeneca an. EU-weit sind in der Datenbank EudraVigilance 59 Fälle von Sinusvenenthrombosen verzeichnet, die als Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gelten. Zuletzt hatte die EMA in einer Pressemitteilung betont, dass die Vorteile des Impfstoffs deren Risiken überwiegen.
Im Hinblick auf die anderen Vakzine und etwaigen Thrombosen bleibt es nach wie vor still: "Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Komplikation gehäuft bei einem der anderen zugelassenen Impfstoffe auftritt, gerade auch jetzt, wo die Aufmerksamkeit besonders hoch ist. Jeder neu zugelassene Impfstoff wird diesbezüglich sicherlich genau überwacht werden", sagt Johannes Oldenburg.
Was sollten geimpfte Personen beachten?
Wer bereits eine Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten kann, sollte laut Berlit auf folgende Symptome achten: "Personen, die innerhalb der ersten zwei bis drei Wochen nach der Impfung anhaltende und sehr starke Kopfschmerzen haben, müssen zur weiteren Abklärung." Ebenso können punktförmige Einblutungen in der Haut zusammen mit den Kopfschmerzen ein Hinweis auf eine Sinusvenenthrombose sein.
Bei zwei Stunden Kopfschmerzen an einem Tag müsse sich erstmal niemand Sorgen machen. Vor allem nicht bei der aktuellen, wechselhaften Wetterlage.
Für Geimpfte der 2,7 Millionen bisher verabreichten Erstdosen von AstraZeneca wäre Anfang Mai die Zweitdosis fällig. Wie geht es also für jüngere, bereits Geimpfte weiter? Bis Ende April arbeite die Stiko dazu eine Empfehlung aus, heißt es in der Pressemitteilung.
Dieser Artikel wurde zuletzt am 31.3.2021 aktualisiert.