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Politik

Asylanträge wie am Fließband?

Richard A. Fuchs
30. November 2016

Asylentscheider im Stress: Über möglichst viele Asylverfahren soll möglichst schnell entschieden werden. Die Politik will Stärke zeigen. Doch genau das führt zu immer mehr rechtswidrigen Verfahren, klagen Aktivisten.

Deutschland BAMF-Außenstelle in Bingen am Rhein
Bild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen

"Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal, wann wurden Sie politisch verfolgt?" Wenn Günther Burkhardt Sätze wie diesen in Anhörungsprotokollen liest, dann stehen dem Pro-Asyl-Geschäftsführer die Haare zu Berge. Sieht so eine unvoreingenommene Anhörung bei einem Asylverfahren für Flüchtlinge aus, fragt Burkhardt rhetorisch und gibt aus seiner Sicht die Antwort: Nein. Ein breites Bündnis von Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden ist überzeugt, dass derlei Entgleisungen bei laufenden Asylverfahren nur die Spitze eines Eisbergs von Mängeln und Schlampereien in der aktuellen Asylpraxis sind.  

"Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren"

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl DeutschlandBild: DW/H. Kiesel

In einem in Berlin vorgestellten "Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren" kritisieren die Organisationen rechtsstaatliche Mängel bei laufenden Asylverfahren. Herausgegeben wurde das Papier unter anderem von Pro Asyl, Amnesty International sowie den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas. Und die Liste der Kritikpunkte ist lang. Fehlender Rechtsschutz, schlechte Dolmetscher und ausbleibende Beschäftigung mit dem Einzelfall durch die Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) werden am häufigsten genannt.

"Wenn eine syrische Familie gerade einmal 25 Minuten angehört wird, dann bedeutet das, dieser Familie wird faktisch ein echter Asylschutz verwehrt", sagt Burkhardt. Ursachen dieser und ähnlicher Fehlentwicklungen seien allerdings nicht auf einzelne Mitarbeiter zurückzuführen, sondern seien struktureller Natur. Von der Politik verordnet und mit Hilfe des Beratungsunternehmens McKinsey umgesetzt, herrsche im BAMF ein eklatanter Entscheidungsdruck, möglichst schnell möglichst viele Verfahren zum Abschluss zu bringen. Asylanträge im "Fließbandverfahren" seien das, kritisiert der Anwalt Reinhard Marx, der selbst Geflüchtete vertritt. Die politische Vorgabe der Bundesregierung, bis zum Wahljahr 2017 mehr als eine halbe Million Asylanträge abgearbeitet zu haben, führe zu Fehlern und Ungerechtigkeiten.

In den Außenstellen des BAMF finden Anhörungen statt - in der BAMF-Zentrale in Nürnberg wird entschiedenBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Pro Asyl: Anhörung und Entscheidung müssen in eine Hand

Zwar begrüßen die Organisationen, dass im BAMF in Nürnberg und seinen Außenstellen jetzt Asylanträge deutlich schneller als früher bearbeitet werden. Aber: Qualität und Rechtsstaatlichkeit müssten vor Schnelligkeit gehen. Schlecht ausgebildete Dolmetscher, die oft nur bruchstückhafte Zusammenfassungen des Gesagten weitergeben könnten, verschärften das Problem. "Oft wird nicht einmal zehn Prozent von dem Gesagten zu Protokoll genommen", sagt Anwalt Marx. Dem Übersetzer komme so beinahe eine Entscheider-Rolle zu.

Besonders scharf kritisieren die Organisationen eine Aufteilung des Verfahrens in zwei völlig getrennte Schritte. So führen Ermittler in den Außenstellen des BAMF inzwischen die Anhörungen der Flüchtlinge durch - um anschließend den Fall digital an einen sogenannten Entscheider abzugeben. Dieser urteile auf der Grundlage der Akten, ohne selbst die "Glaubwürdigkeit" des Asylgesuches im Anhörungsverfahren überprüft zu haben. Der schwerwiegende Vorwurf: Mit dieser Verfahrensaufteilung, die die Effizienz steigern soll, verstoße die Bundesrepublik gegen geltendes Asylrecht der EU.

Bundesamt wehrt sich gegen Schlamperei-Vorwürfe

Das BAMF wies die Vorwürfe umgehend zurück. Man führe das Asylverfahren "auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien und hoher Qualitätsstandards" durch. Trotz der hohen Zahl von über 800.000 Eingewanderten im Jahr 2015 habe es die Behörde vermocht, das Asylverfahren zu digitalisieren, behördenübergreifend die Datensätze austauschbar zu machen und "stabile und belastbare Prozesse" zu garantieren. Das komme auch den Geflüchteten zugute. Im laufenden Jahr konnten so 693.000 Anträge angenommen und 530.000 Entscheidungen getroffen werden.

Ganz schön allein gelassen im Verfahrensdickicht: Flüchtlinge vor der AntragsstellungBild: Reuters/S. Loos

Die Kritik der Hilfsorganisationen, die auf der Basis einer "Negativauswahl" von 106 Fällen beruht, stelle daher keine Grundlage dar, um "die Qualität des Asylverfahrens generell zu bewerten." Zudem würde 65 Prozent der Antragsteller auch eine Schutzberechtigung gewährt, so die Behörde weiter. Interessant ist an diesem Punkt aber: Zu der Hauptkritik der Organisationen, dass Anhörung und Entscheidung wieder in eine Hand gehören, schwieg sich die Behörde aus.  

Sie zeigte sich aber offen für Verbesserungsvorschläge, beispielsweise könnten Flüchtlinge jetzt über die Webseite der Behörde anonym Kritik an der schlechten Leistung von Dolmetschern üben. Der scheidende Leiter des Bundesamtes, Frank-Jürgen Weise, versprach: "Diese Fälle werden wir uns anschauen, werden diese prüfen und sorgen im berechtigten Fall für Abhilfe."

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