Asylbewerber in Bayern im Hungerstreik
15. Dezember 2010Zwei Mal in der Woche kommt der Wagen mit den bestellten Essenspaketen in das Augsburger Asylbewerberheim in der Neusässer Straße. Es sind weiße Plastiktüten mit Aufbackbrötchen, Joghurt, Reis, Clementinen in Konserven, Eier oder tief gefrorenem Fleisch. Die Zusammensetzung haben die Bewohner zuvor aus einer Liste mit Lebensmitteln ausgewählt. Diese ist nur in deutscher Sprache verfasst, die meisten der rund 400 Männer im Heim sind jedoch der Landessprache nicht mächtig, also kreuzen sie nach dem Zufallsprinzip an. So auch Justus, der seit einigen Wochen hier wohnt.
Wenn seine Tüte ankommt, schaut der 31-Jährige Nigerianer zuerst auf das Haltbarkeitsdatum. Diesmal ist die Joghurt abgelaufen, konstatiert er. "Wir haben jetzt Dezember und der ist schon im November abgelaufen", sagt Justus und stellt den Becher auf den Tisch. Justus' Zimmer ist im Erdgeschoss. Die Betten stehen eng beieinander. Kochtöpfe sind auf dem Fußboden verteilt, Lebensmittel auf dem Fenstersims und dem Tisch. Einen Geschirrschrank gibt es nicht. Außer ihm wohnen hier noch vier weitere Nigerianer. Justus beklagt, dass er sich hier nirgends zurückziehen könne. "Die Tür bleibt immer offen, keiner von uns hat einen Schlüssel. Der kostet 10 Euro. Das können wir uns nicht leisten."
Hungerstreik und Essensboykott
Etwa 40 Euro Taschengeld im Monat bekommt Justus bar auf die Hand - das sind rund 1,33 Euro pro Tag. Er rechnet vor: "Allein die Fahrkarte zum Sozialamt kostet 2,40 Euro hin und 2,40 Euro zurück." Dann erzählt er weiter: "Als ich beim Sozialamt angekommen war, verlangten sie von mir einen Dolmetscher, obwohl sie Englisch verstanden. Ich kehrte zurück und holte jemanden, der Deutsch konnte, musste ihm allerdings die Fahrkarte und zehn Euro Honorar zahlen. Am Ende blieb mir nichts mehr übrig."
Vor einigen Wochen traten Justus und 200 Bewohner des Augsburger Asylheims in einen Hungerstreik. Ihnen schlossen sich Hunderte aus anderen bayerischen Unterkünften an. Sie verlangten Geld, damit sie selber entscheiden könnten, was sie kaufen. Nach zwei Wochen gaben sie den Hungerstreik auf.
Manche setzen ihren Protest fort, indem sie ihre Essenstüten nicht abholen, so wie Samuel. Der 21-jährige Nigerianer lebt seit knapp zwei Jahren im Augsburger Heim. Er hofft, dadurch die deutsche Öffentlichkeit auf die Lage in den Asylheimen aufmerksam zu machen. "Die meisten da draußen wissen nicht, welche Probleme wir hier haben", sagt er. Dann zeigt Samuel die heruntergekommenen Toiletten, die verrosteten Türen und die kaputten Duschen. "Die Menschen denken, wir kommen hierher, um ein besseres Leben zu haben. Aber das ist kein besseres Leben."
"Keiner zwingt sie zu bleiben"
Die Leitung des Augsburger Heims will sich zu den Vorwürfen nicht äußern und verweist auf die bayerische Bezirksregierung Schwaben. Dessen Sprecher Karl-Heinz Meyer sagte der Deutschen Welle, dass die Essenspakete gesetzlich vorgeschrieben seien. Bezüglich der Schäden in den Heimen könne er zur Neusässer Straße konkret nichts sagen. "Wir bemühen uns immer, die Schäden rechtzeitig zu beheben. Leider Gottes ist es auch so, dass manchmal mutwillig beschädigt wird", so Meyer.
Auch die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer zeigt kein Verständnis für diese Beschwerden. Im Interview mit der Deutschen Welle erklärt sie, dass die meisten der 8000 Bewohner der bayerischen Gemeinschaftsunterkünfte abgelehnte Asylbewerber seien, die sich mit allen Mitteln gegen ihre Ausreise wehren. "Es zwingt sie niemand, in dieser Gemeinschaftsunterkunft zu bleiben, sie können sofort in ihr Land zurück", so die CSU-Politikerin.
Ein bundesweites Problem
Viele können nicht abgeschoben werden, weil ihnen meist ein Reisepass oder ein ähnliches Dokument dazu fehlt. Sie verbringen manchmal mehrer Jahre in den Gemeinschaftsunterkünften, wie Hans Georg Ebberl von der Flüchtlingsorganisation "Karawane München" zu berichten weiß. "Es ist sicher so, dass Bayern zu den Bundesländern gehört, wo es Flüchtlingen besonders schlecht geht, aber das ist ein bundesweites Problem", fügt er hinzu.
Gemeint ist damit das Asylbewerberleistungsgesetz, das die Höhe und Art der Leistungen für materiell bedürftige Asylbewerber und Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis regelt. Das Gesetz wurde seit 1993 nicht mehr verändert und wird laut einer kürzlich veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf einer Anfrage der Linksfraktion in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich umgesetzt: Beispielsweise geben demnach Hamburg oder Berlin den Bedürftigen Geld oder Gutscheine für ihren Lebensunterhalt und lassen sie meist in Privatwohnungen unterbringen. Bayern oder Thüringen ziehen hingegen Sachleistungen und Sammelunterkünfte vor. Von den 120.000 Leistungsempfängern, die in Deutschland Ende 2009 registriert wurden, waren rund 43 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht.
Unabhängig von der Art der Verteilung werden durch das Gesetz, Asylbewerber grundsätzlich schlechter als andere Sozialhilfeempfänger gestellt. Dies sei eine skandalöse Diskriminierung, findet Ulla Jelpke, Abgeordnete der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. "Die Zuwendungen sind seit 19 Jahren nicht um einen Cent erhöht worden. Sie betragen etwa zwei Drittel von dem, was ein Hartz-IV-Bezieher bekommt. Und das ist weit unter dem Existenz-Minimum", kritisiert Jelpke. Sie fordert seit Jahren die Abschaffung des Gesetzes, das den Asylbewerbern auch nur eine sehr beschränkte Bewegungsfreiheit und sehr beschränkte Arbeitsmöglichkeiten zulässt.
Abschiebung im Vordergrund
Allerdings hat auch das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Leistungssätze für Asylbewerber neu zu berechnen. Das dafür zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestätigte auf Anfrage, dass eine derartige Überprüfung geplant sei. Sollte es zu einer Erhöhung kommen, dann bedeutet das für Samuel, Justus und andere Heimbewohner zwar im besten Falle etwas mehr Geld.
In Deutschland bleiben sie aber weiterhin unerwünscht. Die bayerische Sozialministerin macht in diesem Zusammenhang klar: "Sie nehmen hier ein Recht in Anspruch, was ihnen nicht zusteht. Deswegen steht da nicht die Integrationsfrage im Vordergrund, sondern die Frage der Abschiebung."
Auch Samuel, der vor drei Jahren als 18-Jähriger nach Deutschland kam, hat keinen Reisepass. Er will aber noch nicht an seine Abschiebung glauben. Mit Hilfe des Augsburger Vereins "Tür an Tür" absolvierte er kürzlich einen englischsprachigen Kurs als Altenpfleger. Die meiste Zeit verbringt er nicht im Heim, sondern in der Stadtbibliothek und lernt für die nächste Deutschprüfung. "Ich will etwas tun, um mich nützlich zu machen. Wenn man hier den ganzen Tag herum sitzt, wird man nur verrückt", sagt er und begibt sich auf seinen täglichen Fußmarsch durch das schneebedeckte Augsburg.
Autorin: Anila Shuka
Redaktion: Kay-Alexander Scholz