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Politik

Asylrecht in Griechenland außer Kraft gesetzt

Jannis Papadimitriou
20. März 2020

In Zeiten des Coronavirus werden Grenzen dicht gemacht. Fast vergessen dabei ist die Grenzschließung für Asylbewerber in Griechenland. Und dennoch: Es ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Rauchbomben und Tränengas an griechisch-türkischer Grenze
Rauchbomben und Tränengas an griechisch-türkischer GrenzeBild: picture-alliance/dpa/AP/G. Papanikos

Die Reisefreiheit im Schengen-Raum ist erst einmal vorbei. Aus juristischer Sicht durchaus vertretbar: Im Schengener Grenzkodex wird ausdrücklich vorgesehen, dass Grenzkontrollen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit erlaubt sind.

Aus den gleichen Gründen darf ein EU-Mitgliedstaat auch Drittstaatsangehörigen die Einreise verweigern. Im Übrigen sind die beiden Schengener Abkommen zwischenstaatliche Verträge. Unter Umständen hat ein Vertragspartner das Recht, von seinen vertraglichen Verpflichtungen zurückzutreten.

Im Asylrecht gelten aber andere Rechtsregeln. In einem Interview für die Welt am Sonntag (8.3.) beruft sich Griechenlands Vize-Migrationsminister Georgios Koumoutsakos auf die Notstandsklausel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), um die vorübergehende Aussetzung des Asylrechts in Hellas zu rechtfertigen. "Artikel 15 der EMRK befasst sich mit einer Notlage. Die haben wir. In diesem Fall kann es Ausnahmeregelungen geben", sagt der konservative Politiker.

Flüchtlinge - ein Notstand?

In der Tat sieht Art. 15 vor, dass ein Staat "im Fall eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht", das Ausmaß seiner völkerrechtlichen Verpflichtung reduzieren darf. Wann diese außerordentliche Situation vorliegt, wird nicht näher erörtert.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird in Griechenland gerne zitiertBild: picture-alliance/Winfried Rothermel

Der Münchner Asylrechts-Experte Constantin Hruschka kritisiert das Vorgehen Griechenlands. Das Recht auf Asyl beinhalte eben auch das Recht, einen Asylantrag zu stellen, mahnt er im Gespräch mit der DW. Anders als von der Athener Regierung behauptet, handle es sich im Fall Griechenlands nicht um einen Notstand im Sinne der EMRK, sondern lediglich um die Frage, wie Grenzkontrollen organisiert werden. Außerdem: "Im Art. 15 EMRK gibt es auch einen Absatz 2, der sagt, dass man von dem Verbot unmenschlicher und erniedrigender Handlungen nicht abweichen darf", gibt Hruschka zu bedenken.

Ein "breiter Beurteilungsspielraum" mit Tücken

Einen Präzedenzfall für die Aussetzung des Asylrechts unter Berufung auf den Notstandsfall der EMRK gibt es nicht. 1961 lieferte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof im Fall Lawless eine grundlegende Entscheidung zum Notstandsfall der EMRK. Dabei ging es um die Festnahme und Inhaftierung eines Mitglieds der "Irischen Republikanischen Armee" (IRA).

Im konkreten Fall hat das Gericht einen Notstandsfall bejaht und dabei erklärt, der Staat verfüge über einen breiten "Beurteilungsspielraum" bei der Frage, ob ein Notstandsfall vorliegt oder nicht. Allerdings unterliege auch dieser Spielraum der richterlichen Kontrolle. Zudem müsse das Prinzip der Verhältnismäßigkeit seitens der zuständigen Behörden beachtet werden.

Immerhin, erklärt Asylrechts-Experte Hruschka, dürfe Griechenland eine Art Transitzone errichten und dort Asylanträge prüfen. Doch wie soll das praktisch vor sich gehen im Niemandsland, etwa an der griechisch-türkischen Grenze?

Die Fischer von Evros

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Dafür gebe es Beispiele, allerdings nicht so sehr in Europa, meint Hruschka: "Wenn man an die Situation zwischen Tunesien und Libyen im Arabischen Frühling denkt - da hat man genau das gemacht. Man hat mit internationaler Hilfe eine Versorgung aufgebaut und dann, nacheinander, die Anträge abgearbeitet". Das könne Griechenland allerdings nicht im Alleingang - das Problem müsste europäisch gelöst werden. 

Wegweisende Entscheidung aus Straßburg

Für Aufsehen sorgte in Griechenland die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Migrationspolitik. Die Straßburger Richter erklärten eine pauschale Zurückweisung von Migranten am Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta für rechtmäßig. Ihre Begründung: Die Betroffenen hätten sich selbst durch ihre illegale Einreise in eine "unrechtmäßige Situation" gebracht.

Sämtliche Kommentatoren in Griechenland verstehen diese Gerichtsentscheidung als eine längst fällige Rückendeckung. "Das Urteil bietet eine juristische Grundlage für die kollektive Zurückweisung von illegal Eingereisten", erklärt Rechtsexperte Panagiotis Stathis im Athener Wirtschaftsportal Capital.gr.

Asylrecht ausgesetzt, weil "das Leben der Nation bedroht" seiBild: AFP/O. Klose

Asylrechts-Experte Hruschka sieht das anders. Immerhin hätte Spanien in diesem Verfahren geltend gemacht, es gebe auch legale Zugangswege: Man könne nämlich an einem spanischen Grenzübergang in der Nähe Asyl beantragen. Gerade das sei an der griechisch-türkischen Grenze derzeit jedoch nicht möglich, erklärt der Experte.

Und noch ein Unterschied zum jüngsten Urteil der Straßburger Richter: "Die beiden Kläger waren eindeutig nicht schutzbedürftig. Mit den Syrerinnen und Syrern an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei ist das nicht der Fall."

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