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PolitikUkraine

ATACMS-Raketen auf Russland: Was die Ukraine erreichen will

19. November 2024

Die ukrainische Armee soll erstmals US-Raketen gegen Ziele in Russland eingesetzt haben. Für einen solchen Einsatz hatte US-Präsident Joe Biden erst vor wenigen Tagen die Freigabe erteilt. Was erhofft sich Kyjiw jetzt?

US-Langstreckenrakete des Typs Army Tactical Missile System (ATACMS)
US-Langstreckenrakete des Typs Army Tactical Missile System (ATACMS) Bild: abaca/picture alliance

In der Nacht zum 19. November soll die Ukraine amerikanische ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) eingesetzt haben, um ein Munitionsdepot in der russischen Region Brjansk zu treffen. Brjansk ist eine Grenzregion Russlands, die sowohl an die Ukraine als auch an die Region Kursk grenzt, die teilweise unter ukrainischer Kontrolle steht. Kyjiw hatte von den USA seit Monaten grünes Licht für den Einsatz dieser Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern gegen Ziele im Hinterland der Russischen Föderation gefordert.

Ukraine beschießt russisches Gebiet mit ATACMS-Raketen

04:11

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Die Forderung ist auch Teil des Siegesplans, den Wolodymyr Selenskyj im Oktober in den USA und anderen Ländern vorgestellt hatte. Auf die Meldungen über die Aufhebung der Beschränkungen reagierten die Bürger und auch die ukrainische Führung allerdings vorerst noch verhalten.

Erst am 17. November hatten westliche Medien unter Berufung auf informierte Quellen berichtet, die Administration des US-Präsidenten Joe Biden habe das Verbot aufgehoben, mit amerikanischen Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Später meldete das Nachrichtenportal Axios, die Entscheidung der USA beziehe sich ausschließlich auf die russische Region Kursk, wo inzwischen Soldaten aus Nordkorea stationiert sind. Präsident Selenskyj zeigte sich irritiert über diese Berichte. "Solche Dinge kündigt man nicht an. Die Raketen werden für sich selbst sprechen", erklärte er.

"Der Tag, an dem die Eskalation begann"

Die Reaktionen auf die Aufhebung der Beschränkungen fallen in sozialen Netzwerken höchst unterschiedlich aus. Einige bezeichnen die Entscheidung der USA als verspätet und einseitig, aber als lang erwartet und notwendig.

Viele äußern sich jedoch verärgert darüber, dass die Aufhebung der Beschränkungen bekannt geworden ist, noch bevor die Ukraine militärische Ziele in Russland angreifen konnte. Einige vermerkten den 17. November in ihrem Kalender als "Tag, an dem die Eskalation begann".

Ukrainische Experten wiederum weisen darauf hin, dass die Aufhebung von Beschränkungen beim Einsatz von ATACMS-Raketen eine gewisse Gleichstellung der Ukraine im Krieg bedeutet. Dies meint auch der Leiter des Ukrainischen Zentrums für Sicherheit und Zusammenarbeit, der Militärexperte Serhij Kusan. "Waffen mit längerer Reichweite bedeuten Parität, weil die Russen die Ukrainer in einer Tiefe von 1600 bis 2500 Kilometern angreifen können, weshalb sie über gleiche Fähigkeiten verfügen sollten", so Kusan gegenüber der DW.

Der Experte findet, dass die Entscheidung der USA bezüglich des Einsatzes von ATAMCS-Raketen zwar etwas zu spät komme, aber trotzdem wichtig sei. Kusan ist sich sicher, dass die Angriffsfähigkeit der Ukraine damit erheblich gestärkt wird, was sich in Zukunft auf die Lage an der Front auswirken wird - vor allem bei der Abwehr von Angriffen der russisch-nordkoreanischen Kräfte in der Region Kursk.

"Warum nicht die gleichen Möglichkeiten für Kyjiw?" 

"Es ist klar, dass die Russen die ukrainische Kontrolle über Teile der russischen Region Kursk so schnell wie möglich beseitigen wollen. Deshalb hat die US-Regierung die Beschränkungen für die Ukraine aufgehoben und sich auf das Einsatzgebiet in der Region Kursk konzentriert. Man muss aber auch beachten, wie viele ATACMS-Raketen die Ukraine hat, was nicht weniger wichtig ist, um Ziele in Russland effektiv zu treffen", betont Kusan.

"Manövrierfähigkeit des Feindes erschweren": Kämpfe in der Region Kursk Bild: DW

"Die Russen eskalieren, holen nordkoreanische Truppen hinzu und haben so zusätzliche Reserven für den Frontabschnitt bei Pokrowsk und Kurachowe freigesetzt. Warum sollte Kyjiw entlang der ganzen Front nicht die gleichen Möglichkeiten erhalten?", fragt der Experte.

Kostiantyn Maschowez, Militärexperte vom nichtstaatlichen Projekt "Gruppe 'Informations-Widerstand'" meint, ein Einsatz von ATACMS-Raketen könne den ukrainischen Streitkräften ermöglichen, wirksame Angriffe im russischen Hinterland durchzuführen, wo sich Logistikkräfte und Kommandostellen befinden. "Das kann die Manövrierfähigkeit des Feindes erschweren", betont er.

Argument bei Verhandlungen?

Oleksandr Krajew vom Analysezentrum "Ukrainian Prism", das auf Außenpolitik und internationale Sicherheit spezialisiert ist, meint, die Aufhebung der Beschränkung helfe, die Position der Ukraine bei künftigen Verhandlungen zu stärken. "Das kann ein Argument in Gesprächen sein: Die Ukrainer greifen das Territorium der Russischen Föderation nicht mehr an und die Russen verlassen dafür das Territorium der Ukraine", sagt der Experte der DW. 

Krajew glaubt, dass man auch die nun geltenden Beschränkungen, was die Reichweite von 300 Kilometer angeht, nach und nach lockern könnte und Kyjiw irgendwann bekommen werde, was es wolle. Die Partner der Ukraine wollen erstmal sehen, wie Russland reagiert. Aber die Zeit werde zeigen, ob Russland überhaupt reagiert und ob es zur Eskalation kommt, die der Westen so stark befürchtet. 

Adaptation aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Schreibweise der ukrainischen Hauptstadt umgestellt auf "Kyjiw" (statt, wie bisher, "Kiew"). Damit transkribieren wir den Namen korrekt aus der ukrainischen Sprache - so, wie wir auch bei allen anderen ukrainischen Ortsnamen verfahren.

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