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Politik

Athener Urteil mit Sprengkraft

Jannis Papadimitriou
26. Januar 2017

Der Oberste Gerichtshof Griechenlands lehnt die Auslieferung von acht türkischen Offizieren ab, die nach dem Putschversuch ins Nachbarland geflohen waren. Die Spannungen zwischen Athen und Ankara verschärfen sich.

Griechenland Prozess Soldaten aus der Türkei
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Drohende Rechtsverletzungen in der Türkei "erlauben nicht die Anwendung der einschlägigen Auslieferungsvorschriften", so begründeten die Athener Richter ihre Entscheidung. Bei sechs der insgesamt acht Militärs, die nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei ins Nachbarland flüchteten, war die Entscheidung einstimmig. Bei zwei weiteren Offizieren gab es lediglich eine Stimme für die Auslieferung. Damit folgen die Athener Richter der Generalstaatsanwältin. Der Spruch ist rechtskräftig, Rechtsmittel gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs sind nicht vorgesehen.

Das heißt, die Offiziere sind auf freiem Fuß, sofern kein anderer - wie etwa asylrechtlicher - Haftgrund vorliegt, was gemäß griechischen Medienberichten allerdings möglich ist. "Es war ein großer Sieg für die europäischen Werte und die griechische Justiz. Immerhin ging es hier um die Würde unseres Rechtssystems", erklärte Verteidiger Christos Milonopoulos nach Verkündung des Urteils. Anders hätten die Richter auf Grundlage des griechischen und europäischen Rechts gar nicht entscheiden können, sagt Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen, im Gespräch mit der DW.

Die Türkei stellte nach dem Urteil Haftbefehle für die Soldaten aus. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, gab ein Istanbuler Gericht einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft statt. Das Außenministerium in Ankara kündigte an: "Wir werden eine umfassende Evaluierung der Auswirkung dieser Entscheidung, die unserer Ansicht nach aus politischen Motiven getroffen wurde, auf unsere bilateralen Beziehungen, die Kooperation im Kampf gegen den Terror und andere bilaterale und regionale Fragen vornehmen."

Für die "Acht", wie die Offiziere mittlerweile in Griechenland genannt werden, begann der Justizmarathon gleich nach dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 in der Türkei. Damals verließen sie ihre Heimat im Militärhubschrauber, flogen jenseits der griechischen Grenze und landeten im beschaulichen Alexandroupolis. Dort beantragten sie umgehend Asyl.

Mit Eskorte in den Gerichtssaal - die türkischen Soldaten im Obersten GerichtBild: picture-alliance/Anadolu Agency/

Ihre Ankunft wurde zum Medienspektakel, zumal auch türkische Anwälte vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erschienen, um die Auslieferung der "Acht" in die Türkei zu erstreiten. Seitdem pendeln die Offiziere durch Griechenland und seine Rechtsinstanzen: Zunächst wurden sie - vermutlich aus Sicherheitsgründen - nach Thessaloniki gebracht. Anschließend zum Athener Vorort Acharnes. Einen Prozess hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich: Ein Gericht in Alexandroupolis hatte die Offiziere wegen "illegaler Einreise" zu jeweils zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Griechenland in der Zwickmühle

Das juristische Tauziehen um die "Acht" war schon längst ein Politikum. Sofort nach der Flucht der Soldaten verlangte Ankara die Auslieferung. Der türkische Botschafter in Athen mahnte in ungewöhnlicher Schärfe, es wäre "nicht förderlich" für die bilateralen Beziehungen, wenn die Offiziere in Griechenland blieben. Die türkische Regierung betrachtet die Geflüchteten als "Terroristen" und "Verräter" und beteuert zudem, sie hätte den griechischen Behörden entsprechendes Beweismaterial zugespielt.

Die Betroffenen wiederum geben zu Protokoll, sie seien im militärischen Sanitätsdienst als Piloten und Rettungsmänner tätig gewesen und allein aus diesem Grund im Hubschrauber unterwegs. Die Flucht ins Nachbarland hätten sie ergriffen, nachdem ihr Stützpunkt in der Heimat unter Beschuss geriet. Nach unbestätigten türkischen Medienberichten soll der griechische Regierungschef Alexis Tsipras dem türkischen Präsidenten Erdogan bei einem Treffen in New York versprochen haben, in seinem Land "seien Putschisten nicht willkommen".

Politikwissenschaftler Filis bezweifelt, ob diese Meldungen so stimmen. Er sagt aber auch: "Die Athener Regierung hat einen taktischen Fehler begangen, da sie nicht von Anfang an unmissverständlich klar gemacht hat, dass die Justiz in unserem Land unabhängig ist und keiner politischen Einflussnahme unterliegt." Dadurch sei bei den Nachbarn der falsche Eindruck entstanden, man könnte vielleicht doch irgendwas aushandeln.

Eine Prestige-Frage für Erdogan

Was nun? Der Politikwissenschaftler geht davon aus, dass die Türkei auf das Athener Urteil weiterhin scharf reagieren wird. "Für Erdogan ist das Ganze eine Frage von Prestige, er wird es nicht ohne Widerspruch hinnehmen, dass sein Ansehen durch ein Urteil in Griechenland einen Kratzer bekommt", erläutert Filis.

Besonders unangenehm sei für die griechische Regierung, dass Erdogan mit den Nationalisten koaliert und auf deren Unterstützung auch noch angewiesen ist, um seine umstrittenen Verfassungsreformen durchzubringen. Insofern rechnet Filis mit einem aggressiven Verhalten der Türkei gegenüber Griechenland - zumindest auf rhetorischer Ebene. Zudem sei ein schärferer Ton in der Zypern-Frage nicht mehr ausgeschlossen.

Flüchtlingsströme als Druckmittel?

Auch die Flüchtlingspolitik könnte als Sanktionsmittel dienen. Dafür gibt es erste Anzeichen: Ausgerechnet an dem Tag, an dem die Asylsuchenden aus der Türkei in Alexandroupolis erstmals vor Gericht erschienen, fanden gleich über 180 Flüchtlinge - an den türkischen Behörden vorbei - ihren Weg zur griechischen Ägäis-Insel Lesbos.

Ein Fischer von der griechischen Insel Lesbos bringt Flüchtlinge in Sicherheit - schon seit 2005Bild: picture-alliance/NurPhoto/N. Economou

Im Jahr 2016 landete eine Rekordzahl von Flüchtlingen in Griechenland. Auch jetzt dürften die Zahlen wieder steigen, glaubt Konstantinos Filis. Aber vermutlich käme es nicht so weit, dass Erdogan sein Flüchtlingsabkommen mit der EU außer Kraft setzt.

Es gab auch Zeiten, in denen griechische Offiziere im Nachbarland Türkei Zuflucht suchten. So etwa während der griechischen Militärdiktatur im Dezember 1967, als der königstreue Chef der Grenztruppen in der Garnisonsstadt Didymoteichon die Grenze in voller Ausrüstung überquerte und im Nachbarland Schutz suchte. Die Türkei gewährte dem Offizier kein Asyl. Sie erlaubte ihm aber, in Richtung Rom abzureisen, wo mittlerweile der griechische König Konstantin selbst im Exil lebte.

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