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PolitikEuropa

Athens grüne Lunge verbrennt

Barbara Wesel
8. August 2021

Seit einer Woche wüten Waldbrände in den Vororten der griechischen Hauptstadt. Zwar konnten sie jetzt teils unter Kontrolle gebracht werden, doch die Regierung steht in der Kritik. Von Barbara Wesel, Athen.

Griechenland | Waldbrände in Athen
Bild: Henning Goll/DW

Vor Athen und in anderen Teilen Griechenlands brennt es noch immer. Aber zumindest konnten viele Feuer jetzt - nach fast einer Woche - unter Kontrolle gebracht werden. Die griechischen Behörden verdoppelten die Zahl der Feuerwehrleute, setzten mehr Löschflugzeuge ein und konnten das Inferno schließlich eindämmen. Zurück bleiben verbrannte Wälder, Tausende Menschen ohne Zuhause und eine Regierung ohne Plan.

Grüne Lunge und Fluchtpunkt für die Hauptstadt

Der Hügel am Berg Parnithos vor Athen, Naturschutzgebiet und grüne Lunge der Hauptstadt, ist seit Jahrzehnten Irinis Heimat. Hier ist sie aufgewachsen und hier will sie bleiben. Als die Feuer immer näher rückten, brachte die Polizei die Einwohner in Sicherheit. Aber einen Tag später ist Seniorin Irini wieder da und schleppt sich langsam, aber beharrlich mit ihrer Gehhilfe die Straße hoch.

"Die Feuerwehrleute sollen Wasser auf mein Haus werfen, ich will zurück", bittet sie. Polizisten kommen und versuchen sie wegzubringen: "Nein, ich gehe hier nicht weg, ich lebe hier", trotzt die alte Dame.

Rentnerin Irini am Mount Parnithi: "Ich gehe hier nicht weg"Bild: Henning Goll/DW

Die jüngeren Anwohner haben den Kampf um ihre Häuser und ihren Wald selbst in die Hand genommen. Hunderte von Freiwilligen versuchen, bei den Löscharbeiten zu helfen. Eine Gruppe hat einen uralten Laster mit einer Pumpe bei einem Bauern organisiert. Zehn Männer schleppen einen großen Schlauch an den Hang, über den von der Rückseite her schon die ersten Feuer springen. Sie sind getrieben vom Mut der Verzweiflung. Wenn sie das kleine Waldstück nicht löschen können, rasen die Brände in Richtung der Siedlung weiter.

Am Ende der Straße liegt der Blick frei auf die früheren königlichen Gärten von Tatoi. "Das war ein Paradies, mit seltenen Bäumen, Pfauen und Wild", erzählt ein ascheverschmierter Anwohner, "und guckt euch das jetzt an, eine Mondlandschaft, alles verbrannt".

Flächenbrände vor den Toren Athens: Ein Windstoß, und es brennt wiederBild: Henning Goll/DW

Jorgos und weitere Nachbarn versuchen unterdessen mit Hacken und Schaufeln das Wiederaufflammen der Brände zu verhindern. Wenn das Feuer einmal über den Wald hinweg gerast ist, entzündet sich der heiße Boden immer wieder neu, Baumstümpfe können wochenlang schwelen. Ein Windstoß, und es fängt erneut an zu brennen.

Regierung steht in der Kritik

"Die ganze Gegend hier brennt ab! Wir haben den besten Teil von Athen verloren, wir sind hier aufgewachsen und es tut uns so weh das mit ansehen zu müssen", sagt Jorgos. Für die Regierung hat er - wie auch die anderen Anwohner - nur Spott und Zorn übrig. Man habe doch seit Jahren gewusst, dass die Feuer immer heftiger werden. "Warum gibt es so wenige Feuerwehrleute, Löschfahrzeuge und nur zwei Löschflugzeuge?", fragt Jorgos rhetorisch.

"Alles, was sie tun, ist im Fernsehen auftreten, schick und geschniegelt, und sie erzählen uns, dass es ein toller Erfolg ist, dass wir nicht alle im Feuer sterben", ätzt Nelli aus dem benachbarten Ort Krioneri. "Sie hätten lieber Feuerwehrleute einstellen sollen statt Tausende neue Polizisten".

Tatsächlich ist die Evakuierung der Brandgebiete das Einzige, was in den vergangenen Tagen gut geklappt hat. Nach der Erfahrung 2018 mit dem katastrophalen Brand in Athens Vorort Mati, wo mehr als hundert Menschen starben, hatten die Behörden zumindest jetzt einen Plan, wie man Anwohner in Sicherheit bringt.

Bergung und Versorgung Verletzter bei Athen: Die Evakuierung ist das Einzige, was geklappt hatBild: Henning Goll/DW

Der scheint jedoch für die Brandbekämpfung zu fehlen. Erst nach Tagen wird die Armee zu Hilfe gerufen, uralte Löschfahrzeuge und rundum zu wenig Ausrüstung lassen die Arbeiten zu einem heillosen Kampf werden. "Wir haben seit drei Tagen nicht geschlafen, es ist wie im Krieg, wir sind fertig, aber wir machen weiter, man kann doch nicht zusehen", sagt ein völlig erschöpfter Feuerwehrmann. Zuerst waren es Temperaturen von über 40 Grad, dann ein kräftiger Wind, der das Feuer sogar über die gesperrte Autobahn 1 Richtung Norden hinweg trieb, die eigentlich als Brandschneise die Ausbreitung in weitere Stadtteile verhindern sollte.

Ende der Woche war dann auch Hilfe aus Europa eingetroffen, ein paar Löschflugzeuge, Fahrzeuge und Feuerwehrleute aus Frankreich, Bulgarien, der Slowakei und anderen Ländern. Am Berg Parnithos helfen Zyprioten den örtlichen Kräften: "Die Lage ist wirklich schwierig", sagt Einsatzleiter Dimitris Katzivlis: "Es ist tragisch! Wir helfen hier unseren griechischen Kollegen, aber es ist schlimmer als wir erwartet haben". 

Ein wirtschaftlicher und ökologischer Schlag

Premier Kyriakos Mitsotakis ist unter Druck und versucht, tröstliche Botschaften auszusenden. Man werde alles tun, um die Opfer der Brände zu entschädigen. Ein verheerender Brand auf der Insel Euböa vor Athen hat Hunderten von Bauern die Lebensgrundlage genommen. Ihre Wut ist riesig, sie fühlen sich allein gelassen, weil die Behörden die wenigen Ressourcen auf die Hauptstadt konzentrierten und die Insel einfach abbrennen ließen. Aber auch in den Athener Vororten stehen viele vor der Asche ihrer Existenz. Sie warten jetzt in Aufnahmelagern auf die versprochenen Hilfen von der Regierung.

Gesperrte A1 Richtung Nordgriechenland: Autobahn hat als Brandschneise versagtBild: Henning Goll/DW

Die Brände treffen Griechenland in angespannter wirtschaftlicher Lage. Gerade hatte das Land sich von den Spätfolgen der Finanzkrise erholt, da kam die Corona-Pandemie. Und als jetzt der Tourismus wieder in Gang kam, versetzten die Brände der Ökonomie einen erneuten Schlag.

Die Regierung kann Notfallhilfe für Naturkatastrophen aus Brüssel anfordern. Darüber hinaus aber dürften die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds die einzige Rettung sein. Diese Gelder sollen besonders dem ökologischen Umbau der Mitgliedsländer dienen.

Aber in einem Land, in dem Umweltbewusstsein kaum verankert und eine grüne Partei nicht einmal im Parlament vertreten ist, fehlt der große Plan. Die Stromerzeuger haben bereits gewarnt, die Energiepreise würden im September um 15 Prozent steigen. 2000 Strommasten sind abgebrannt, Teile des Netzwerks zerstört. Ein altes Kohlekraftwerk musste wieder in Betrieb genommen werden, um die Nachfrage zu decken. Auch bei den erneuerbaren Energien ist das Sonnen-verwöhnte Griechenland Nachzügler.

Niedergebrannte Fläche im Parnitha National Park: "Nachwachsen der Bäume dauert mindestens 20 Jahre"Bild: Henning Goll/DW

"Der Wald, der vor Athen abgebrannt ist, wird neu gepflanzt", verspricht Premier Mitsotakis jetzt. "Das hier war ursprünglicher Wald", schimpft Anwohner Dimitri, der mit seiner Schaufel in der Asche am Berg Parnithos steht. Den könne man nicht einfach so wieder anpflanzen. Und es dauere mindestens 20 Jahre, bis die Bäume nachgewachsen sind.

Im nächsten Winter aber drohe schon das nächste Desaster, wenn Regenfälle den nackten Boden von den Hügeln spülen und Erdrutsche die Reste des Waldes ins Tal reißen würden. Die Brände sind eine Umweltkatastrophe, auf die es derzeit noch keine politische Antwort gibt.

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