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Politik

Skepsis gegenüber NGOs wächst

6. Februar 2019

Trotz des Negativtrends keine Resignation: Je stärker NGOs angegriffen werden, desto stärker setzen sie sich auch zur Wehr. Der "Atlas der Zivilgesellschaft" 2019 zeichnet ein düsteres Bild mit hellen Flecken.

Brasilien Protest nach der Ermordung von Marielle Franco
Protest und Trauer nach der Ermordung der brasilianischen Frauenrechtlerin Marielle Franco in Rio de Janeiro Bild: Getty Images/AFP/M. Pimentel

Die Helfer sitzen auf der Anklagebank. Seenotretter im Mittelmeer werden als "Schlepper" diffamiert, in Kirgisien "verletzen" Kritiker der Regierung "die Ehre des Präsidenten", und in Mexiko wird alle 16 Stunden ein Journalist angegriffen: So steht es im neuen "Atlas der Zivilgesellschaft 2019", der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Der Report, der sich auf Daten der 1993 gegründeten Allianz von Zivilgesellschaften CIVICUS mit Sitz in Johannesburg beruft, belegt eine weltweite Trendwende: Die ehemalige Wertschätzung für Nichtregierungsorganisationen (NGO) als Partner für Menschenrechte hat sich in vielen Ländern in Skepsis oder gar offene Ablehnung verwandelt.

"Die Lage hat sich verschlechtert, weil es zwei Länder mehr in der geschlossenen Kategorie gibt, nämlich Aserbaidschan und die Zentralafrikanische Republik", erklärt Anne Dreyer, Sprecherin von der Organisation "Brot für die Welt". "Außerdem kommt der Trend, die Handlungsräume von Zivilgesellschaften zu beschneiden, auch mehr und mehr in Europa an."

Stresstest für Demokratie

"Brot für die Welt" gehört zu den 4000 Mitgliedern von CIVICUS und stellt den "Atlas der Zivilgesellschaft" zum zweiten Mal in Deutschland vor. Laut der Erhebung leben nur vier Prozent der Weltbevölkerung, insgesamt 282 Millionen Menschen, in "offenen" Gesellschaften (siehe Grafik). 27 Prozent der Weltbevölkerung hingegen, rund zwei Milliarden Menschen, leben in "geschlossenen" Gesellschaften.

Offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen: In diese fünf Kategorien teilt der Atlas die Gesellschaften ein. Die 45 Länder mit uneingeschränkter Meinungsfreiheit, zu denen unter anderem Deutschland und Kanada gehören, gelten als "offene Gesellschaften". Zu den "beeinträchtigten" Gesellschaften, in denen zwar Pressefreiheit herrscht, aber gleichzeitig politischer Druck und strikte Regulierung diese einschränken, gehören 40 Länder, darunter Albanien und Rumänien.

Im Juni 201 protestierten Kritiker von Präsident Orbán gegen das "Stop-Soros-Gesetz" vor dem Parlament in Budapest Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Mohai

Als "beschränkt" gelten 53 Länder, darunter Ungarn, Bolivien und Brasilien. Dort können sich laut "Atlas" Bürger zwar friedlich versammeln, werden aber häufig von der Polizei mit Gewalt auseinander getrieben. In 35 Ländern, darunter Afghanistan und Russland, wird die Zivilgesellschaft "unterdrückt". Weitere 23 Länder, darunter Kuba, Syrien und die Zentralafrikanische Republik, gelten als "geschlossene Gesellschaften", in denen bürgerschaftliches Engagement lebensgefährlich ist.

Menschenrechte - ein Schimpfwort?  

Die brasilianische Menschenrechtlerin Camila Asano von der NGO Conectas aus São Paulo spürt den Gegenwind. Während des Wahlkampfes 2018 in Brasilien wurde sie immer wieder öffentlich beschimpft. Wer sich für Menschenrechte einsetze, der beschütze Verbrecher und übersehe die Opfer, lautete einer der Vorwürfe, erzählte sie auf einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.

Nicht nur in Lateinamerika, Afrika und Asien, auch in Europa leben Vertreter der Zivilgesellschaft zunehmend gefährlich. In Ungarn trägt das sogenannte "Stop-Soros-Gesetz" dazu bei, dass Hilfe für Flüchtlinge durch NGOs kriminalisiert und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erschwert wird. Italien wurde nach den Wahlsiegen der Lega im Atlas der Zivigellschaft als "beeinträchtigt" herabgestuft, genauso wie Österreich, wo die rechte FPÖ dem Kabinett angehört.

"Metoo" bei der Paris Fashion Week: "Ich bin nicht schüchtern, ich mag Dich einfach nicht"Bild: picture-alliance/First View/Cover Images

#metoo macht Mut

Doch je heftiger die Angriffe auf die Zivilgesellschaft, so scheint es, desto beeindruckender die Gegenwehr. So demonstrierten in Rumänien hunderttausende Menschen gegen Korruption, und in Südkorea fegten Massenproteste 2016 die damalige Präsidentin Park Geun-hye wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Amt. Der Atlas erinnert auch an die #metoo-Kampagne, die Millionen Frauen ermutigte, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren.

"Wir wollen mit dem Bericht auch darauf aufmerksam machen, dass die Zivilgesellschaft wehrhaft ist", sagt "Brot für die Welt"-Sprecherin Anne Dreyer. Der Atlas der Zivilgesellschaft belegt, dass auch Fortschritte möglich sind: So gelten Äthiopien und Somalia 2019 nicht mehr als "geschlossen", sondern "unterdrückt", Ecuador wandelte sich von "beschränkt" zu "beeinträchtigt", und Taiwan stieg in die Kategorie "offene Gesellschaft" auf.