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Politik

Atmosphärische Störung nach Ballon-Abschuss

12. Februar 2023

Chinas abgeschossener angeblicher "Wetterballon" über den USA ist laut Experten kein Anlass für Sorgen vor einem größeren "Knall" zwischen den beiden Rivalen.

Chinas weißer Ballon und ein US-Kampfflieger mit Kondensstreifen vor tiefblauem Himmel
Chinas Ballon unmittelbar nach dem Treffer durch ein US-Kampfflugzeug Bild: Chad Fish/AP Photo/picture alliance

Der heiße Draht blieb kalt: Nachdem die USA den chinesischen Ballon in ihrem Luftraum abgeschossen  hatten, bemühte sich der US-Verteidigungsminister um ein Gespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen. Das aber, hieß es aus Washington und aus Peking, sei abgelehnt worden. Ein Sprecher des chinesischen Verteidigungsministeriums begründete die Absage damit, dass Washington nicht für die für ein solches Gespräch "angemessene Atmosphäre" gesorgt habe.

Die Führung in Peking habe bereits in vergleichbaren früheren Fällen diplomatische Kanäle stillgelegt, so Hanns Günther Hilpert, China-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im DW-Interview. "Das ist natürlich eine riskante und besorgniserregende Strategie, denn die direkten Gesprächskanäle sollen ja dazu dienen, möglichen Missverständnissen, die eine Konfrontation auslösen könnten, vorzubeugen. Der heiße Draht, wie man ihn nennt, ist ja im Zweifel das letzte Mittel, das Schlimmste zu verhüten." Klar sei, dass China versuche, auf diese Weise diplomatischen Druck auf die USA auszuüben.

Die Entscheidung in Peking, den Hörer nicht abzunehmen, sei aber auch eine innenpolitische Botschaft, sagt Hilpert. Die Staats- und Parteiführung wolle dem heimischen Publikum auf diese Weise Stärke demonstrieren und zeigen, dass es sich dem amerikanischen Druck nicht beugen werde. "Das kommt in der nationalistischen Atmosphäre des Landes natürlich sehr gut an."

Auch Johann Fuhrmann, Büroleiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Peking, sagt, die Regierung präsentiere sich nach innen als entschlossen. Zugleich aber versuche sie auf ihre Weise, Spannung aus dem Fall zu nehmen. "Das tut sie etwa, indem sie dem Abschuss des Ballons eine humoristische Note zu geben versucht. So erschienen in den Medien Karikaturen eines den Ballon angreifenden Kampfjets. Man gibt den Chinesen zu verstehen: Schaut, was die US-Regierung für ein Aufheben um einen harmlosen Ballon macht".

Neue US-Sanktionen

Doch je mehr Informationen ans Licht kommen, desto stärker gerät die Regierung in Peking in Erklärungsnot. Am Donnerstag meldeten amerikanische Medien unter Berufung auf einen hochrangigen Mitarbeiter des US-Außenministeriums, China habe mit einer Flotte von Spionageballons  mehr als 40 Länder auf fünf Kontinenten ins Visier genommen. Die Ausrüstung des Ballons habe "eindeutig der nachrichtendienstlichen Überwachung" gedient und stimme nicht mit der Ausrüstung von Wetterballons überein. Als erste konkrete Reaktion auf den Ballon-Flug wollen die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen den Hersteller des Ballons erlassen, der direkte Beziehungen zur Volksbefreiungsarmee haben soll.

Bergung des abgeschossenen Ballons im Atlantik: Ausgerüstet zur "nachrichtendienstlichen Überwachung"?Bild: U.S. Fleet Forces/U.S. Navy photo/REUTERS

China-Experte Hilpert von der SWP meint dennoch: Die Krise um den abgeschossenen Ballon werde medial zwar stark ausgefochten, allerdings sei sie längst nicht so ernst wie die Spannungen um Taiwan. "Denn China könnte dort jederzeit übergriffig werden; zwar nicht unbedingt durch eine Invasion, wohl aber eine Blockade. Und dann muss man sehen, wie die USA reagieren. Das ist viel kritischer als die Krise um den Spionageballon."

Insbesondere nach dem Taiwan-Besuch der damaligen Vorsitzenden des US- Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im August vergangenen Jahres sind die Sorgen um eine Konfrontation zwischen China und der Insel gestiegen. China habe das Überfliegen der Mittellinie zwischen Taiwan und dem Festland  zum Normalfall gemacht, sagt Ivy Kwek, China-Expertin der Nichtregierungsorganisation "International Crisis Group". Dadurch verkürze sich die Reaktionszeit der taiwanischen Luftwaffe, was das Risiko einer Eskalation und unerwünschter Zwischenfälle zwischen den beiden Militärs erhöhe. "Diese Situation wird noch prekärer, wenn man bedenkt, dass es derzeit keinen Mechanismus für das Krisenmanagement zwischen China und Taiwan gibt, was zu einer hohen Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen der gegenseitigen Absichten führen könnte", wird Ivy Kwek vom Nachrichtenportal Channel News Asia zitiert.

Das Risiko einer Eskalation zwischen China und Taiwan erhöhe auch die Gefahr einer amerikanisch-chinesischen Konfrontation, sagt Hanns Günther Hilpert. Diese hätte allerdings katastrophale Folgen, für beide Seiten und unbeteiligte Dritte. Deshalb hätten beide Seiten an einer militärischen Konfrontation kein Interesse. "Ihnen ist klar, dass sie bei einer militärischen Auseinandersetzung verlieren würden. Auch der ökonomische Kollateralschaden  wäre gewaltig, und zwar nicht nur für diese beiden Staaten, sondern weite Teile der Welt. Auch darum gibt es ein internationales Interesse, die Krise möglichst einzuhegen."

Gutes bewirken durch Spionage

Zu diesen Bemühungen könnte ausgerechnet die Krise um den abgeschossenen Spionageballon beitragen, sagt Johann Fuhrmann von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dass die USA und China einander ausspionierten, sei nicht zwangsläufig schlecht, zitiert er eine Überlegung des Politologen Wolfgang Merkel. "Denn wenn die eine Seite weiß, was die andere tut und daraus Rückschlüsse auf deren Intentionen ziehen kann, verschafft das ja auch eine gewisse Sicherheit und Kalkulierbarkeit, die dann das Schlimmste - nämlich eine offene Konfrontation - verhindern kann."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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