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Auslaufmodell Atomkraft

Gero Rueter12. Juli 2013

Haben Atomkraftwerke eine Zukunft? Die Kosten, die Konkurrenz und die Stimmung in der Gesellschaft deuten auf den Niedergang hin. Das belegt auch der neue World Nuclear Industry Status Report.

Anti-Atom Proteste in Tokyo am 28. Oktober 2012. (REUTERS/Yuriko Nakao)
Bild: Reuters

Saubere und günstige Energie - als solche wurde die Atomkraft noch in den 1970er Jahren angepriesen. Experten der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) sagten der Atomkraft damals eine goldene Zukunft voraus: Bis zum Jahr 2000 sollten danach weltweit 3600 bis 5000 Gigawatt (GW) an Nuklearkapazität vorhanden sein. Ende 2012 betrug die Kapazität mit 366 GW jedoch kaum ein Zehntel und durch 35 abgeschaltete Reaktoren in Japan lag die Produktion weltweit unter 335 GW.

Die Atomkraft scheint ihren Höhepunkt weltweit hinter sich zu haben. "Die Tendenz des Abstiegs hat sich ganz eindeutig durch die Katastrophe von Fukushima beschleunigt", sagt der unabhängige Atomexperte Mycle Schneider im DW-Interview. Schneider dokumentiert die Entwicklung der Atomkraft seit dreißig Jahren und gibt den World Nuclear Industry Status Report heraus. Der im Juli vorgelegte Report 2014 belegt den stetigen Niedergang der Atomwirtschaft durch schlichte Fakten: 1993 lieferten 430 Reaktoren rund 17 Prozent des weltweiten Strombedarfs, Ende 2012 arbeiteten dagegen nur noch 375 Reaktoren, deren Stromanteil bei zehn Prozent lag. Die Menge des produzierten Atomstroms ging innerhalb der letzten sechs Jahre um zwölf Prozent zurück.

Atomexperte Mycle SchneiderBild: Serge Ollivier

Zu teuer und zu riskant

Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen wird immer weniger in neue Atomkraftwerke (AKW) investiert. So stieg auch der deutsche Energiekonzern RWE, einer der größten Europas, aus mehreren Projekten für neue Atomkraftwerke aus. "Für RWE als privatwirtschaftliches Unternehmen sind Neubauten von Kernkraftwerken kein geeignetes Geschäftsmodell. Die Kostenrisiken sind zu groß", sagt Thomas Birr im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Chef-Stratege von RWE nennt die Gründe: "Kernkraft ist eine sehr teure Art Energie zu erzeugen. Sie hat sehr lange und kostspielige Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten. Wenn sie heute entscheiden zu bauen, egal wo auf der Welt, dann können sie frühestens in zwölf bis 15 Jahren Erträge erwirtschaften."

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament kommentierte am 11. Juli den dort vorgestellten Report und sieht als Grund für den Niedergang der Atomwirtschaft die mangelhafte Wirtschafltichkeit. "Die Kostenschätzungen für neue Atomkraftwerke wurden in den letzten zehn Jahren von 1000 US-Dollar pro Kilowatt installierter Leistung auf 7000 US-Dollar erhöht", sagte Harms vor dem EU-Parlament.

Neue AKWs nur mit Staatshilfe möglich

Auch Rating-Agenturen halten die Atomkraft als ein riskantes Geschäft und haben deshalb in den letzten fünf Jahren einige Unternehmen der Nuklearbranche abgewertet. Lobend äußerte sich die Agentur Moody´s über die Entscheidung deutscher Energieunternehmen, die Pläne für Neubauprojekte in Großbritannien aufzugeben und bewertete auch die Ankündigung von Siemens positiv, sich aus dem Geschäft mit der Atomenergie vollständig zurückzuziehen.

Dreimal so teuer wie geplant: Reaktor in Olkiluoto (Finnland)Bild: picture-alliance/dpa

Nach Einschätzung des Atomexperten Schneider sind neue Atomkraftwerke auf dem freien Markt nicht mehr rentabel. "Sie sind nur noch dort denkbar, wo auch der Wille da ist, Staatsgelder zu verwenden oder Garantien zu geben, wie das im Sonderfall China und begrenzt in Russland heute möglich ist."

China ist laut Schneider derzeit das einzige Land, das massiv in neue Reaktoren investiert. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima gab es eine Baupause, derzeit wird jedoch wieder an 28 Reaktoren gebaut. Allerdings wird auch sehr viel mehr Geld in erneuerbare Kraftwerke investiert, betont Schneider, um die Relation in China zu beschreiben. "Schon vor Fukushima wurde hier etwa fünf Mal so viel wie in Atomkraft investiert. 2012 hat Windkraft allein in China und Indien mehr Strom erzeugt als die Atomenergie."

Wind und Sonne statt Atom

Ein Grund für den globalen Abwärtstrend der Atomkraft liegt auch im Aufstieg der erneuerbaren Energien. Die Erzeugungskosten für Wind- und Sonnenstrom sind in den letzten Jahren gefallen und deutlich preiswerter als die Atomenergie. Daneben können Wind-, Solar- und Biogasanlagen in kurzer Zeit geplant und aufgebaut werden.

Weltweit wurden zwischen 2004 und 2011 nach Schätzungen von Schneider 120 Milliarden Dollar in die Atomkraft investiert. Allein im Jahr 2012 lagen die Investitionen in erneuerbare Energien mit 244 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch. Und der Trend vor allem zu Wind- und Solarstrom wird sich nach Ansicht von Experten in den nächsten Jahren noch weiter beschleunigen.

1954 begann die Nutzung der Atomkraft, für etwa 2050 wird das Ende prognostiziert

Politik mit Informationsdefizit

Trotz hoher Kosten und Risiken halten einige Regierungen an ihren atomaren Ausbauplänen fest. Schneider nennt beispielsweise den Mangel an Informationen und an konsequenter Politik zur Entwicklung der Alternativen Energien als Gründe. Mit Blick auf Länder wie Großbritannien und Polen sieht er jedoch wenige Chancen, dass dort noch Atomkraftwerke gebaut und vor allem fertig gestellt werden, weil "diese Projekte nicht konkurrenzfähig sind".

Die Schwierigkeit, noch neue Atomkraftwerke zu bauen, beobachtet auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament Rebecca Harms. Das Bestreben Großbritanniens und anderer EU-Länder, neue Atomkraftwerke mit einer Einspeisevergütung finanziell zu fördern, sieht sie als Beleg für die fehlende Rentabilität der Atomenergie. Für die Durchsetzung solch einer Förderung sieht Harms in der EU jedoch keine Mehrheit.

Der Anteil von Atomstrom sinkt

Ein Umdenken beobachtet Schneider im eigentlichen Atomland Frankreich. "Auf absehbare Zeit wird es keine Neubauten geben." Präsident Hollande kündigte an, den Anteil von Atomstrom von derzeit 75 Prozent auf etwa 50 Prozent im Jahr 2025 zu senken. Die staatliche Energieagentur geht davon aus, dass bis 2030 34 der 58 Atomreaktoren im Land abgestellt werden können, auch ohne Anstieg der Treibhausgasemissionen.

Derzeit liegt das weltweite Durchschnittsalter aller Reaktoren bei 28 Jahren. Bei einer Betriebsdauer von 40 Jahren würden in den nächsten zwei Jahrzehnten sehr viele Reaktoren vom Netz gehen. Nach Einschätzung von Schneider wird die Zahl der Neubauten auch in den kommenden Jahren weiter sinken und mit ihr die Atomstromproduktion. 1993 war der Anteil von Atomkraft an der globalen Stromproduktion mit 17 Prozent am höchsten, heute liegt er bei etwa zehn Prozent. Im Jahr 2030, so die Prognose von Schneider, wird er unter fünf Prozent liegen.

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