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Politik

Atomwaffen: Russland stoppt US-Kontrollen

10. August 2022

Das New-START-Abkommen sieht gegenseitige Atomwaffenarsenal-Kontrollen zwischen den USA und Russland vor. Mit seiner Aussetzung steht der einzig verbliebene nukleare Abrüstungsvertrag auf dem Spiel.

USA, Tucson | ausrangierte US-Atomrakete Titan
Kopf einer ausrangierten US-Atomrakete vom Typ Titan - das New-START-Abkommen verpflichtet Russland und die USA, ihre atomaren Sprengköpfe je auf maximal 1550 zu begrenzenBild: Erich Schmidt/imageBROKER/picture alliance

Russland bemüht sich um eine doppelte Botschaft: Die USA dürften die russischen Atomwaffenarsenale "vorübergehend" nicht mehr kontrollieren. Man werde sich aber an die Bestimmungen des Vertrages halten und wisse seine "einzigartige Rolle" als "wichtiges Instrument zum Erhalt der internationalen Sicherheit und Stabilität sehr zu schätzen", hieß es aus dem russischen Außenministerium. Doch es ist das erste Mal, dass der Kreml die US-Inspektionen suspendiert, und der Schritt zeigt, wie sehr der Ukraine-Krieg die Beziehungen zwischen beiden Ländern belastet.

Eine entspanntere Zeit: Die damaligen Präsidenten Barack Obama (l., USA) und Dmitri Medwedew (Russland) unterzeichneten 2010 das New-START-AbkommenBild: AP

Auslöser des Schritts, legte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow auf der Webseite seines Ministeriums nach, sei gewesen, dass die USA einen Inspektionsbesuch in den nächsten Tagen angekündigt hätten. Das sei vor dem Hintergrund der derzeitigen Spannungen zwischen beiden Ländern eine "offene Provokation" gewesen. Dazu muss man wissen: Die gegenseitigen Kontrollen ruhen seit 2020, nicht wegen geopolitischer Konflikte, sondern wegen der Corona-Pandemie. Darauf wies ein Sprecher des US-Außenamts jetzt noch einmal hin und fügte hinzu, man solle trotz der Spannungen an diesem wichtigen Teil der Zusammenarbeit festhalten.

Russland sieht "einseitige Vorteile" der USA

START steht für Strategic Arms Reductions Treaty, zu deutsch: Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen. Das Abkommen von 2010 verpflichtet beide Länder dazu, ihre atomaren Sprengköpfe jeweils auf maximal 1550 und die Zahl der Trägersysteme wie Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Raketen und Bomber auf je 800 zu reduzieren. Damit das auch passiert, erlaubt der Vertrag, dass jede Seite pro Jahr bis zu 20 Inspektionen im jeweils anderen Land vornimmt.

Die gegenwärtige Situation gebe der amerikanischen Seite "einseitige Vorteile", so sieht es das russische Außenministerium, weil Russland seines "Rechts auf Inspektionen auf dem US-Territorium beraubt" werde.

US-Mehrfachraketenwerfer HIMARS im Einsatz in der Ukraine gegen russisches Militär: Der Krieg an sich ist für Russland offiziell kein Grund für die Aussetzung der KontrollenBild: File Photo/PAVLO NAROZHNYY/REUTERS

Hier kommt der Ukraine-Krieg ins Spiel, allerdings nur indirekt. Der Krieg selbst, in dem Russland als Angreifer und die USA als Unterstützer der Ukraine auf verschiedenen Seiten stehen, ist für Russland kein Grund, die Kontrollen auszusetzen, jedenfalls wird dies nicht als offizielle Begründung angeführt. Moskau verweist lediglich darauf, dass wegen der westlichen Sanktionen russische Kontrolleure große Schwierigkeiten bei der Einreise in die USA haben. Außerdem seien die Mitarbeiter dort durch wieder ansteigende Corona-Infektionen gefährdet. Sollten die derzeitigen Probleme gelöst sein, werde man die Kontrollen in Russland "sofort" wieder zulassen.

Die USA stiegen aus wichtigen Abkommen aus

Das New-START-Abkommen ist der vorläufige Endpunkt einer langen Reihe atomarer Abrüstungsbemühungen zwischen den beiden wichtigsten Atommächten der Erde. Es gab etwa in den 90er Jahren die beiden START-Abkommen. Aber START-I lief 2009 aus, und START-II trat nie in Kraft. Ergebnis war dann das Nachfolgeabkommen New-START.

Bereits in den 70er Jahren hatten die USA und die Sowjetunion nukleare Abrüstungsverträge geschlossen, darunter 1972 den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen. Von diesem traten die USA 2002 einseitig zurück. 2019 unter Donald Trump stieg Washington aus dem Verbot bodengestützter Mittelstreckenraketen, INF, aus. Und 2020 kündigte Trump den Vertrag über den Offenen Himmel, der als vertrauensbildende Maßnahme gegenseitige Aufklärungsflüge erlaubte. Was heute noch bleibt an bilateralen nuklearen Abrüstungsverträgen zwischen den USA und Russland, ist nur noch das New-START-Abkommen.

Protest in Deutschland 2019 mit Putin- und Trump-Masken gegen den amerikanischen Ausstieg aus dem INF-VertragBild: Imago Images/epd/C. Ditsch

Biden will China einbinden

Doch auch seine Zukunft ist ungewiss. New-START gilt vorerst bis 2026; der Vertrag war erst im vergangenen Jahr um die maximale Dauer von fünf Jahren verlängert worden. Und daran soll sich nach russischer Darstellung auch nichts ändern, Ukraine-Krieg hin, Sanktionen her.

Doch was kommt nach 2026? Der russische Außenminister Sergej Lawrow beklagte kürzlich, Washington habe noch keine neuen Verhandlungen angeboten. US-Präsident Joseph Biden sagte vor rund einer Woche, seine Regierung sei zu Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen bereit, Russlands Krieg gegen die Ukraine stelle aber einen Angriff auf die Grundpfeiler der internationalen Ordnung dar. Biden rief auch China auf, an einem Vertrag nach New-START mitzuwirken.

Die Kernwaffenbestände Russlands und der USA übersteigen die der anderen Atommächte bei weitem

Chinas Atomwaffenarsenal ist deutlich kleiner als das der USA und Russlands, das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI schätzt seinen Bestand an Sprengköpfen in seinem jüngsten Jahresbericht 2022 auf 350; China holt aber schnell auf. Und gerade vor dem Hintergrund der Sorgen des Westens, die Volksrepublik könne sich Taiwan gewaltsam einverleiben, ist Biden sehr daran interessiert, Peking in Abrüstungsverhandlungen einzubinden. Das lehnt jedoch Peking ab, bisher aber auch Russland, das in der Vergangenheit argumentiert hat, dann müssten auch die französischen und britischen Atomwaffen einbezogen werden, zusammen knapp 500 Sprengköpfe.

Ein Kernwaffeneinsatz ist wahrscheinlicher geworden

Gegenüber dem Stand in den 80er Jahren im Kalten Krieg, als es weltweit knapp 70.000 atomare Sprengköpfe gab, lagern heute nach SIPRI-Angaben nur noch knapp 13.000 in den Arsenalen. Beruhigen kann der Rückgang nicht. Denn technische Modernisierung gleicht die frühere Masse aus. Kernwaffen sind heute viel zielgenauer. Und die Entwicklung von "Mini-Nukes", die nicht ein ganzes Land zerstören, sondern in einem Gefecht einen geographisch begrenzten taktischen Vorteil bringen sollen, macht einen Einsatz von Atomwaffen heute vielleicht wahrscheinlicher als damals.

Militärparade in Moskau 1985 mit Atomraketen: Damals befanden sich weltweit rund 70.000 Atomsprengköpfe in den Arsenalen. Doch die Welt ist seitdem nicht sicherer gewordenBild: AP

Der jüngste SIPRI-Jahresbericht sah bereits Anfang 2022 "klare Hinweise", dass die Verringerung der weltweiten Kernwaffenarsenale seit dem Ende des Kalten Krieges "zu einem Ende gekommen ist". Und weiter heißt es: "Alle Atommächte sind dabei, ihre Arsenale auszubauen oder zu modernisieren, und die meisten dieser Staaten verschärfen ihre Rhetorik mit Blick auf einen Kernwaffeneinsatz und weisen Atomwaffen eine wichtigere Rolle in ihren Militärstrategien zu. Ein sehr besorgniserregender Trend."

Das war wenige Wochen vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar. Und Moskau hat im Ukraine-Krieg deutlich gemacht, dass es den Einsatz von Atomwaffen nicht ausschließt.