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Vom Fernsehkoch zum Volksverhetzer

Esther Felden | Anne Höhn
30. März 2021

Attila Hildmann war früher erfolgreicher Fernsehkoch und Kochbuchautor. Heute ist er einer von Deutschlands radikalsten Corona-Verschwörern und hat sich in die Türkei abgesetzt, um einem Haftbefehl zu entgehen.

Attila Hildmann
Attila Hildmann im Sommer 2020 bei einem Protest gegen Corona-Maßnahmen in BerlinBild: Imago Images/C. Thesing

Aus sicherer Entfernung sendet er Hassbotschaften in Richtung Deutschland, im Stunden- oder sogar Minutentakt. Um die 500 Nachrichten hat Attila Hildmann in seinen Kanal beim Messenger-Dienst Telegram gepostet, seit in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass er sich von Deutschland in die Türkei abgesetzt hat. Textnachrichten, Audiobotschaften, Videos. Fotos, auf denen er mit Waffe posiert und zielt.

Wiederholt ruft er seine fast 120.000 Follower dazu auf, Gewalt gegen den deutschen Staat anzuwenden und das "Regime zu entmachten".

Vor allem aber hetzt Hildmann unverhohlen gegen Juden, die er als "Untermenschen" und "Abschaum" beschimpft. Immer wieder stellt er auch Umfragen in seinem Kanal: Sehen seine Abonnenten Juden als Menschen an, oder als "lügende raubende Parasiten"? Mehr als 2500 Abonnenten nehmen an der Umfrage teil. Fast 60 Prozent wählen die zweite Antwortmöglichkeit aus.

30. Mai 2020: Im Verlauf des Jahres wird Hildmann immer radikaler - hier nimmt er an einer Anti-Corona- Demo mit anschließendem Autokorso teilBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Hildmann wurde als autodidaktischer Autor von veganen Kochbüchern erfolgreich. In den vergangenen zwölf Monaten entwickelte er sich zu einem gefährlichen Einpeitscher, stellt Pia Lamberty fest. Die Sozialpsychologin hat gerade zusammen mit einem Kollegen das "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" gegründet, kurz CeMAS. Deutschlandweit haben sich zahlreiche Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten zusammengetan, um ein Frühwarnsystem gegen digitale Verschwörungsideologien, Desinformationen und Rechtsextremismus zu entwickeln.

Lamberty warnt vor dem Einfluss, den Hildmanns Worte auf andere haben könnten. In seinen Posts verwende er immer wieder Kriegsrhetorik. Die darin enthaltene Botschaft: Wir befinden uns im Krieg, da sind auch kriegerische Mittel erlaubt. "Solche Narrative in Kombination mit seinem offenen Antisemitismus können Menschen eben genau dazu animieren. Digitaler Hass hat reale Konsequenzen."

Vom übergewichtigen Teenie zum veganen Starkoch

Geboren wird der heute 39-Jährige in Berlin als Sohn türkischer Eltern, die ihn als Baby zur Adoption freigeben. Hildmann wächst bei deutschen Adoptiveltern auf, sein Ziehvater stirbt, als er 19 Jahre alt ist. Als Ursache macht Hildmann dessen übermäßigen Fleischkonsum aus und zieht Konsequenzen: Er stellt seine Ernährung auf vegan um, beginnt Sport zu treiben und nimmt nach eigenen Angaben 30 Kilogramm ab. 

Erfolgreicher Vegan-Koch Attila Hildmann

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Ab 2009 schreibt er vegane Kochbücher, die sich bis heute zusammengenommen über eine Million Mal verkauft haben. Hildmann bekommt positive Kritiken in etablierten Medien, die ihn größtenteils als willensstarken Macher porträtieren, der sein Dümpel-Dasein in einen gesunden und erfolgreichen Lebensstil gewandelt hat. "Ich bin von einem antriebslosen Fettsack zu jemandem geworden, der Menschen in großem Maßstab motivieren kann", sagt Hildmann 2014 in einem Zeitungsinterview.

Sind die Kritiken weniger positiv, wird der selbsternannte "Veganer-König" schon mal aggressiv: 2017 eröffnet Hildmann einen veganen Imbiss, der kurz darauf eine kritische Rezension erntet. Hildmann schreibt in einem Facebook-Post, dass er der Journalistin "am liebsten Pommes in ihre Wannabe-Journalistinnen-Visage gestopft" hätte. 

Hildmann nutzt seine Profile in den sozialen Medien vor allem, um sich und seine veganen Produkte zu bewerben. Ab März 2020 ändert sich das, er hat ein neues Thema: Die Corona-Pandemie.

Wendepunkt Corona

Mit dem neuen Thema kommt auch eine neue Lieblingsplattform: Den Messenger-Dienst Telegram. 118.000 Menschen haben seinen Kanal dort derzeit abonniert.

Bild: Telegram

"Dann schreiben wir mal Geschichte."

So wuchtig meldet Attila Hildmann sich dort am 28. April 2020 zum ersten Mal zu Wort. Dahinter drei farbige Kreise: in schwarz, rot und weiß. Die Farben der Reichsflagge. Sie gilt heute als ein Erkennungszeichen von Rechtsextremen und Reichsbürgern in Deutschland. Mehr als 70 Posts, Fotos und Audiobotschaften feuert er allein am ersten Tag in seinem neu geschaffenen Kanal ab. Ein Vorgeschmack auf das, was in den Monaten danach kommt.

Bei Telegram kann er sich bis heute frei austoben. Im Gegensatz zu anderen Social-Media-Plattformen, die mittlerweile mehr oder weniger konsequent gegen seine Inhalte vorgehen. Bei Instagram wird sein Konto ganz gesperrt, bei YouTube ist Hildmann teilweise blockiert, denn seine Inhalte wurden immer radikaler.

Provoziert hat Hildmann auch in der Vergangenheit schon: 2015 - eine Zeit, als Geflüchtete zu tausenden nach Deutschland strömen - nennt er die Integration hierzulande ein "heikles Thema" und warnt davor, dass sie zu "einer aktuellen Selbstverstümmelung deutscher Werte und Kultur" führen würde. Seine Aussagen seien aber immer derber geworden, "möglicherweise auch mit dem Ziel, durch das Schockmoment und Überschreiten von Grenzen wieder kurzfristig größere Aufmerksamkeit zu bekommen", erklärt Pia Lamberty.

Das Motiv Aufmerksamkeitssuche sieht auch Miro Dittrich, der künftig ebenfalls unter dem Dach von CeMAS forscht und auf rechtsextreme Online-Kulturen und Antisemitismus im Internet spezialisiert ist. Durch den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 sei dem erfolgreichen Koch von einem Tag auf den anderen "die Geschäftsgrundlage entzogen" worden - und gleichzeitig fehlte dadurch auch ein gewisses Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit. In seinem Telegram-Kanal habe Hildmann dann "eine Community gefunden, die ihn eben mit Aufmerksamkeit belohnt".

Doch Hildmann textet sich immer tiefer in seinen hasserfüllten Rausch hinein - und überschreitet dabei auch juristische Grenzen.

Bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin wird Attila Hildmann (Bildmitte) festgenommen - im Verlauf des Jahres wird er bei ähnlichen Veranstaltungen noch mehrfach vorübergehend in Gewahrsam genommenBild: DW/D. Vachedin

Letzter Ausweg: Flucht in die Türkei

Seit Mai 2020 laufen bei der brandenburgischen Polizei Anzeigen gegen Hildmann wegen Volksverhetzung ein, im Juni übernimmt der Staatsschutz die Ermittlungen. Dennoch passiert lange Zeit nichts. Ein verheerendes Signal, meint Pia Lamberty: "Er hat gesehen, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden ihn nicht sanktionieren. Rein strategisch musste er dann seinen Antisemitismus nicht mehr verschleiern, da er keine Konsequenzen befürchtet hat."

Im November 2020 wird Hildmanns Wohnung erstmals von Staatsschützern der Brandenburger Polizei durchsucht. Beschlagnahmt werden mehrere Computer, Laptops, Mobiltelefone sowie weitere Speichermedien. Kurze Zeit später werden die Daten und Dokumente bei der Staatsanwaltschaft Berlin gebündelt. Diese leitet Ermittlungen unter anderem "wegen dringenden Verdachts der Volksverhetzung" ein.

Doch bevor die Ermittlungen zu einem Ergebnis führen, taucht Hildmann im Februar 2021 unter.   

Die Datensammlung sei noch immer in der Auswertung, sagt ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf Nachfrage. Bei jeder Aussage müsse entschieden werden, ob der Verdacht auf Strafbarkeit bestehe oder er noch von der Meinungsfreiheit gedeckt werde. Das dauert.

Am 25. März bestätigt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft, dass Hildmann sich in der Türkei aufhält, und erlässt einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Fernsehkoch, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Am selben Tag bestätigt Hildmann auf seinem Twitteraccount seinen Aufenthaltsort:

Bild: twitter.com

Die gelungene Flucht hat Auswirkungen auch auf Hildmanns Fangemeinde, die ihn jetzt dafür feiert, dass er erfolgreich Katz und Maus mit den deutschen Behörden spielt. "Prinzipiell ist es sehr peinlich für die Sicherheitsapparate, dass man hier so lang geschlafen hat und ihn hat entkommen lassen. Der Weg, den er eingeschlagen hat, war schon lange offensichtlich. Man hätte früher reagieren müssen, und das ist blamabel", meint Dittrich.

Auf die Frage, ob Deutschland ein Auslieferungsgesuch an die Türkei stellen könnte, um den Haftbefehl auszuführen, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, das stelle sich als schwierig dar, da Hildmann auch türkischer Staatsbürger ist. Es bleibt letztlich beim Inhalt des Tweets der Generalstaatsanwaltschaft in der Causa Hildmann - mit zeitnaher Vollstreckung des Haftbefehls sei nicht zu rechnen, so die Behörden.

Bild: twitter.com

 

Auf den Tweet der Berliner Generalstaatsanwaltschaft sendet Hildmann lediglich "sonnige Grüße aus der Türkei".

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