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Politik

Gabriel fordert stärkere Außenpolitik

Kay-Alexander Scholz
5. Dezember 2017

Welche internationale Rolle soll Deutschland spielen? Sigmar Gabriel gab bei der Körber-Stiftung eine umfassende Analyse der Lage. Zentral darin: ein anderes Verhältnis zur USA. Eine Umfrage bestätigt seine Sicht.

Deutschland Sigmar Gabriel Berlin Foreign Policy Forum der Körber-Stiftung
Bild: Imago/photothek/F. Gärtner

Zu Beginn seiner mehr als halbstündigen Rede beruhigte Außenminister Sigmar Gabriel die nationalen und internationalen Gäste beim "Forum Außenpolitik" der Körber-Stiftung in Berlin. Es gebe Länder mit Regierungen, aber ohne funktionierende Institutionen. Das sei in Deutschland - trotz der bislang vergeblichen Versuche einer Regierungsbildung - anders. Die Gefahr hier sei eher, dass die Leute sich daran gewöhnten, dass es auch ohne Regierung gut gehe.

Danach aber legte der Außenminister gleich los mit seiner Agenda zukünftiger Außenpolitik, die Analyse und Aufgabenkatalog zugleich war. Gabriels zentrale Message lautete: Entweder Deutschland beziehungsweise Europa gestalte selbst oder aber es werde von anderen in der Welt gestaltet. 

Deutschland hat Komfortzone verloren

Der SPD-Politiker erinnerte daran, dass die Europäische Union "nach innen, nämlich als Projekt für Frieden, Wohlstand und Sicherheit" gegründet worden sei. Außenpolitik sei eine Sache der UN-Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien gewesen. Im transatlantischen Bündnis mit den USA sei Deutschland westlich integriert worden. Auch die Militäreinsätze in Ex-Jugoslawien und Afghanistan seien darüber gelaufen. Die Absage von Ex-Kanzler Gerhard Schröder zum Irak-Krieg 2003 sei eine spektakuläre Ausnahme gewesen. Doch diesen "bequemen Platz an den Linien internationaler Politik" gebe es nun nicht mehr. Deutschland und auch Europa seien kein echter Faktor in der Weltpolitik, auch weil die eigenen Interessen nicht "klar definiert" seien.

Dass Europa ein "sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer sei", glaubte im Übrigen auch die Mehrheit der Kongressteilnehmer, darunter viele Sicherheitsexperten und Politiker. Schon seit 2014 sei Deutschland bereit, mehr zu tun, sagte Ulrike Esther Franke vom European Council on Foreign Affairs im DW-Interview. Minister Gabriel habe in seiner Rede nun aber "noch viel stärker den europäischen Aspekt" betont. Jetzt sei der Zeitpunkt für Europa, geeint zu handeln und zu einem Akteur auf weltpolitischer Ebene zu werden.

Auch nach Trump wird es nicht besser

Die USA seien nicht mehr Garant für gleichberechtigte Abkommen, so Gabriel. Das werde sich auch nicht mehr ändern - auch nicht in der Zeit nach einer Präsidentschaft von Donald Trump, vermutete der Außenminister. Denn die US-Sicht auf Europa habe sich grundlegend verändert: Der Kontinent werde zunehmend vor allem als Wettbewerber, als ökonomischer Gegner wahrgenommen. Und: Europa sei nur noch "eine Region unter vielen". Auch weil es bald keine Mehrheit mit europäischen Wurzeln in den USA mehr geben werde.

Die USA würden zukünftig wohl mal mit dem einen, mal mit dem anderen eine Partnerschaft eingehen. Für die "Statik und das Gewölbe" der internationalen Beziehungen seien sie nicht mehr zuständig. Der deutsche Außenminister sprach aus, was auch viele Deutsche denken. Die Körber-Stiftung als Veranstalter des "Forums Außenpolitik" hat parallel eine Umfrage "The Berlin Pulse" durchgeführt. Generell würde sich das Verhältnis zu den USA wandeln, hieß es von den Studien-Machern. Etwas mehr als die Hälfte bezeichne die deutsch-amerikanischen Beziehungen inzwischen als "eher oder sehr schlecht". 88 Prozent der rund 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten sagten inzwischen, dass die Partnerschaft innerhalb der EU in Zukunft Vorrang habe vor einer Zusammenarbeit mit den USA.

Deutschland sei bewusst, dass nach dem Brexit-Beschluss, die Bereiche Sicherheit und Verteidigung gefördert werden müssten, um eine "starke Post-Brexit-EU-Politik" zu zeigen, sagte EU-Expertin Franke dazu.

"Back and again"

In den Nullerjahren hätte die internationale Gemeinschaft nach der Maxime gehandelt: Globale Probleme brauchen globale Lösungen. Trump, Brexit und Populismus stünden nun für den Trend des "Back and again", sagte Gabriel. Es gehe um die Restauration einer "vermeintlich guten alten Zeit und einer Stärke des Nationalstaates". Aus dem "Anything goes" der Postmoderne sei eine neue "Sehnsucht nach Ordnung, Kontrolle und Hierarchie" entstanden.

Dazu kämen andere Faktoren: Konflikte nähmen zu statt ab. Die Türkei, Russland und China stellten die bisherige globale Ordnung infrage und brächten "regionale Gefüge ins Rutschen". Das Völkerrecht verliere Geltungskraft, wie die Krim-Krise gezeigt habe. Immer mehr Staaten strebten eigene Atomwaffenarsenale an.

Drei Szenarien - und welches Gabriel favorisiert

Kommt es zu einer G-0-Welt, fragte Gabriel - ohne einen Staat mit einer globalen Agenda, dafür aber mit einem freien Spiel der Kräfte? Für Deutschland wäre das "brandgefährlich", weil es "die Grundlagen unserer Sicherheit gefährdet". Oder kommt es zu einer neuen bipolaren Ordnung mit den USA und China als neue Supermächte? Gabriels liebstes Szenario sei eine "G-x-Welt" - irgendwo zwischen G-20 und G-7 - mit mehreren Machtpolen, aber mit einer Machtbalance, Regeln und Strukturen.

Ob es dazu komme, hänge vom Beitrag der EU ab, so Gabriel. Deutschland und die EU dürften nicht mehr an der Seitenlinie stehen, sagte Gabriel und verwendete damit ein Bild aus der Fußballwelt. Doch die Konkurrenz schlafe nicht. Dort, wo sich die USA zurückgezogen hätten, würden andere das Vakuum füllen. So sei Russland im Nahen Osten aktiv und habe im Syrien-Konflikt das Heft des Handelns übernommen. In Afrika würde China aktiv sein. Überhaupt sei China - Stichwort "neue Seidenstraße" - das einzige Land mit einer langfristigen globalen Strategie, glaubt Gabriel.

Warnung vor Anerkennung Jerusalems

Zu den USA müsste ein neues Verhältnis gefunden werden, denn die Amerikaner blieben wichtigster Partner. Doch in "neuen Räumen", die bislang den USA überlassen waren, müsse Europa mehr wagen, auch wenn damit Risiken verbunden seien. Schon jetzt gebe es Interessengegensätze mit den USA.

Bei den US-Russland-Sanktionen habe Deutschland eine andere Ansicht, wenn dadurch deutsche Interessen bei Pipeline-Projekten gefährdet seien. Apropos Russland: Eine Stabilität könne es nur mit und nicht gegen Russland geben, warnte Gabriel. Denn Russland bleibe nun einmal Nachbar Europas. Sanktionen seien eine Sache, aber zugleich gelte es, Dialogkanäle aufrecht zu erhalten.

Sigmar Gabriel: "Sicherheit kann es nur mit und nicht gegen Russland geben"Bild: Imago/photothek/F. Gärtner

Andere Konflikte zeigten sich in bei der Iran-Frage und im Nahen Osten, so Gabriel. Eine Abkehr vom Iran-US-Abkommen würde die Kriegsgefahr in Deutschland erhöhen. Würde die USA, wie aus Washington zu hören sei, Jerusalem - übrigens ohne sich zuvor mit Europa abzustimmen - als Hauptstadt Israels anerkennen, dann wäre das "für den Konflikt kontraproduktiv". Denn eine Lösung des Konflikts könne nur zwischen den beiden Konfliktpartnern vor Ort gefunden werden.

Neue beste Freunde

"Wir brauchen in der EU eine Schubumkehr, um uns vor Trümmern zu bewahren", sagte Gabriel, die entstehen könnten, wenn Spannungen weiter zunehmen sollten. Auch in Europa sei die Frage der nationalen Souveränität aktuell. Entgegen mancher Vorstellungen sei "die EU aber ein Souveränitätsgewinn und kein Verlust", betonte Gabriel.

Der französische Präsident Emmanuel Macron habe die Gefahr einer Abwärtsspirale erkannt und wolle weiteren Krisen vorbeugen. Macron sei deshalb "ein Stück Glück von historischer Dimension".

Eine starke Partnerschaft mit Frankreich scheint derzeit auch bei vielen Deutschen oberste Priorität zu haben. Laut "The Berlin Pulse" sagen 60 Prozent der Deutschen, dass eine außenpolitische Zusammenarbeit mit Frankreich am wichtigsten sei. Im Jahr zuvor hatte noch die USA die Spitzenstellung.

Macrons Vorschläge zu einer vertieften Zusammenarbeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik in der EU aber lehnt laut "The Berlin Pulse" etwas mehr als die Hälfte der Deutschen ab.

Und was sagt die Umfrage über Gabriels Appell einer aktiveren Außenpolitik? 52 Prozent sind für Zurückhaltung in internationalen Krisen, 43 Prozent befürworten ein stärkeres Engagement. Wichtigstes Ziel des deutschen Engagements in der Welt ist für 71 Prozent die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten sowie die Terrorismusbekämpfung. Mit 26 Prozent werden Flüchtlinge als größte Herausforderung für deutsche Außenpolitik gesehen.

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