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Auch in Kroatien steht das Völkerrecht über dem nationalen Recht

27. September 2002

- DW-Interview mit kroatischem Völkerrechtsexperten zur möglichen Klage vor dem Verfassungsgericht gegen die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Bobetko

Köln, 26.9.2002, DW-radio / Kroatisch

Kroatiens Premier Ivica Racan hat erklärt, dass wegen der Anklage des internationalen Kriegsverbrechertribunals gegen General Janko Bobetko ein Verfahren vor dem kroatischen Verfassungsgericht eingeleitet wird. Dabei beruft er sich auf Artikel 3 des Verfassungsgesetzes über die Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, ICTY. Der Dozent für Verfassungsrecht an der Juristischen Fakultät in Zagreb Dr. Sinisa Rodin legte den möglichen verfassungsrechtlichen Schutz in diesem Falle dar. Rodin verweist darauf, dass die rechtliche Grundlage der völkerrechtlichen Verpflichtung der Republik Kroatien zur Kooperation mit dem ICTY die Resolution 827 des UN-Sicherheitsrates bildet. Zum völkerrechtlichen Aspekt erklärte Dr. Rodin folgendes: "Die Regelung ist alt und allgemein völkerrechtlich akzeptiert, dass Staaten sich nicht auf nationale Rechtsvorschriften – seien sie auch auf verfassungsrechtlichem Niveau - berufen können, um der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen zu entgehen. Dies ist auch im Artikel 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention festgelegt. Die Staaten müssen ihre internationalen Verpflichtungen in gutem Glauben (bona fide) erfüllen. Unter den Begriff Staat fallen alle Zweige der Staatsgewalt, die Exekutive, die Legislative und die Jurisdiktion".

In Kroatien ist die Umsetzung der internationalen Verpflichtung zur Kooperation mit dem ICTY durch das Verfassungsgesetz über die Kooperation mit dem ICTY gesetzlich geregelt. Darin ist auch die Ausführung der Verpflichtungen festgelegt, die für die Republik Kroatien aus der genannten UN-Resolution hervorgehen. In dem Artikel 3, auf den sich Premier Racan beruft, steht unter anderem, dass die Republik Kroatien einem Kooperationsersuchen oder einer Ausführung einzelner Beschlüsse des ICTY nachkommt, wenn dies auf den entsprechenden Bestimmungen des Statuts, Verfahrensregeln und Beweisen des ICTY beruht und wenn sie nicht gegen die Verfassung der Republik Kroatien verstoßen. Das Ersuchen wird der Regierung zugestellt und diese leitet es an die zuständigen Staatsorgane weiter. Haftbefehle werden dann vom Ermittlungsrichter des zuständigen Komitatsgerichts ausgestellt.

Rodin zufolge ist in Kroatien der verfassungsrechtliche Schutz durch eine Verfassungsklage sowie durch abstrakte und konkrete Überprüfungen der Verfassungsmäßigkeit gewährleistet. Ferner bestehe die Möglichkeit, gegen einzelne Akte der Regierungsgewalt und gegen Urteile der Komtiatsgerichte Verfassungsklage einzureichen. Und in diesem Sinne sollte auch die Bestimmung des Verfassungsgesetzes interpretiert werden, nach dem die Kooperation lediglich zulässig ist, wenn sie nicht gegen die Verfassung der Republik Kroatien verstößt. Daher ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit des Verfahrens der Staatsorgane und sogar der Regierung überprüft wird. Der Experte für Verfassungsrecht Sinisa Rodin fügte dem noch hinzu: "Das Verfassungsgericht schützt auch das Rechtssystem der Republik Kroatien. Es kann über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes über andere Rechtsvorschriften urteilen und jede natürliche und juristische Person kann dies vorschlagen. Das Verfassungsgericht kann darüber urteilen, ob Verfassungsgesetze formell mit der kroatischen Verfassung übereinstimmen. Aus der bisherigen Praxis ist nicht möglich zu folgern, ob das Verfassungsgericht über die materielle Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsgesetze urteilen kann, allerdings ist diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen".

Der Artikel 37 des Verfassungsgesetzes über das Verfassungsgericht ermöglicht, dass ein Urteil des Verfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des ICTY-Kooperationsgesetzes auch ein Komitatsgericht fordern kann. Denn wenn das Gericht im Verfahren feststellt, dass das Gesetz, das angewandt werden sollte, nicht verfassungskonform ist, wird das Verfahren gestoppt, und das Gericht wendet sich an das Verfassungsgericht. Allerdings räumt Dr. Rodin ein: "Die rechtliche Wirkung der Urteile des Verfassungsgerichts habe keinen Einfluss auf den Umfang oder Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Kroatien übernommen hat". (md)