Insektengifte schaden Bienen und Hummeln. Die EU hatte deshalb drei besonders schädliche Insektizide verboten. Jetzt aber entdeckten Forscher bei einem Ersatzstoff ebenfalls Gefahren.
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Als möglicher Ersatzstoff für hochgiftige Insektizide galt bislang Sulfoxaflor. Er soll Pflanzenschädlinge töten, nützliche Insekten aber verschonen. In der EU ist der Wirkstoff bereits zugelassen, Anträge auf ihren Einsatz liegen den einzelnen Mitgliedsstaaten bereits vor.
Sulfoxaflor schädigt die Fortpflanzung
Forscher der Royal Holloway University of London nahmen in einer Studie Sulfoxaflor nun genauer unter die Lupe. Das Team um Harry Siviter setzte für die Studie 25 Hummel-Völker zwei Wochen lang Sulfoxaflor in den gleichen Konzentrationen aus wie sie beim Einsatz auf Feldern auftreten würden.
Schon nach zwei bis drei Wochen wurde deutlich: Bei den Hummelvölkern, die mit Sulfoxaflor in Kontakt gekommen waren, ging der Nachwuchs - im Vergleich mit unbehandelten Hummeln - um insgesamt 54 Prozent zurück.
Würde der Ersatzstoff eingesetzt, könne das Langzeitfolgen für die Bestände haben, ähnlich wie bei Neonikotinoiden, schreiben die Forscher in der aktuellen Ausgabe des britischen Fachmagazins "Nature".
Zulassungspraxis in der Kritik
Für Pestizidexperten sind die Ergebnisse der Studie keine Überraschung. "Auch Sulfoxaflor ist ein systemisches Nervengift, wird von der Pflanze aufgenommen und hat eine ähnliche Wirkung auf die Insekten wie die nun in der EU verbotenen Neonikotinoide", erklärt Pestizid- und Bienenexpertin Corinna Hölzel von der Umweltorganisation BUND.
Hölzel kritisiert in diesem Zusammenhang auch die bisherige Zulassungspraxis in der EU. Dort verließen sich die Behörden nur auf die Studien der Chemieunternehmen und nicht auf zusätzliche, unabhängige Studien.
Auch dass keine Langzeiteffekte für Tier- und Umwelt bei den Zulassungsverfahren berücksichtigt und geprüft würden, sei ein großes Defizit, so Hölzel zur DW. Das gleiche gelte für die Wechselwirkungen verschiedener Chemikalien, die auf Äckern eingesetzt würden.
Weil der Einsatz von Neonikotinoiden und ähnlich wirkenden Insektengiften auch nützlichen Insekten schade und damit zum massiven Verlust der Artenvielfalt beitrüge, forderten 233 Forscher im Juni im Wissenschaftsmagazin Science ein weltweites Verbot dieser Mittel.
Für die industrielle Landwirtschaft mit viel Monokultur wäre dies eine große Herausforderung. Sie müsste sich umorientieren und wieder mit traditionellen Methoden arbeiten, wie zum Beispiel mit Fruchtfolgen, kleineren Feldern, Hecken und Blühwiesen. "Das ist möglich, und es wird in der biologischen Landwirtschaft auch so praktiziert. Synthetische Pestizide lassen sich so vermeiden", so Hölzel.
Chemieunternehmen wie Bayer und Syngenta halten sehr wenig von einem Verbot dieser Insektizide. Deshalb hatten sie gegen das EU-Verbot von besonders schädlichen Neonikotinoiden geklagt. Das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg wies diese Klage im Mai ab.
Tiere leiden unter Pestiziden
Der Einsatz von Gift gegen Unkraut und Schädlinge in der Landwirtschaft ist ein großes Problem für das Ökosystem: Denn auch Pflanzen und Tiere leiden darunter, werden krank oder sterben gar aus.
Bild: NABU/ H. May
Wo sind die Insekten geblieben?
In der industriellen Landwirtschaft gibt es immer weniger Insekten. Experten stellten fest, dass die Anzahl der Insekten in den letzten 25 Jahren in vielen deutschen Regionen um bis zu 80 Prozent abgenommen hat. Die gesamte Nahrungskette gerät dadurch aus dem Gleichgewicht.
Bild: NABU/ H. May
Stille in der Natur
Heuschrecken können sehr viel Lärm machen. Vor allem älteren Menschen dürfte die Geräuschkulisse noch gut bekannt sein. Heute ist es dagegen sehr still geworden auf dem Acker. Vielen Grashüpfern fehlt der Lebensraum, da Gräser und Wildkräuter mit Pflanzengiften beseitigt werden.
Bild: CC 2.0/Carl Wirth
Schrumpfender Lebensraum
Wenn Ackerkräuter nicht mehr wachsen, fehlt Insekten die Nahrung, was sich wiederum auf die Feldvögel auswirkt. Deshalb gingen die Bestände der Vögel in der deutschen Agrarlandschaft dramatisch zurück. Im Vergleich zu den 1980er Jahren sank zum Beispiel die Anzahl von Rebhühnern um über 90 Prozent. In vielen Regionen gibt es diese Feldvögel mittlerweile gar nicht mehr.
Bild: picture alliance/Reiner Bernhardt
Langzeitwirkungen
Fledermäuse leiden doppelt unter Pestiziden: Zum einen gibt es weniger Insekten, zum anderen konzentrieren sich die Ackergifte im Fettgewebe der Tiere. Im Winter wird dieses sogenannte Speicherfett abgebaut, sodass die Pestizide freigesetzt und ins Hirn gelangen. Die Kommunikationsfähigkeit und das Immunsystem können so gestört werden.
Bild: picture-alliance/dpa/K. Bogon
Nachzucht gestört
Ackergifte gelangen mit dem Regen in die Gewässer. Auch hierdurch wird das Ökosystem stark gestört. Kröten leiden besonders: Aus ihren befruchteten Eiern schlüpfen in den Gewässern die Kaulquappen. Durch Pestizide wird deren Entwicklung gestört - der Nachwuchs wird mit Missbildungen geboren oder stirbt. Zudem nehmen Kröten durch ihre dünne Haut die Ackergifte leicht auf.
Bild: picture alliance/blickwinkel/J. Fieber
Mehr Missbildungen
Der dänische Schweinezüchter Ib Pedersen dokumentierte mit mehreren Zehntausend Schweinen das Verhältnis von Glyphosat im Sojafutter und die Rate an Missbildungen. Er stellte fest, dass bei einem höheren Anteil von Glyphosat im Futter die Anzahl der missgebildeten Ferkel höher ist. Diese Beobachtung bestätigen auch Studien.
Bild: Andreas Rummel
Leben ohne Rückstände
Unter dem Insektizid DDT litt vor allem auch der Seeadler. Er gehört zu den größten Greifvögeln Mitteleuropas und war fast ausgerottet. Seit den 1970er-Jahren ist die Anwendung von DDT in den meisten Industrieländern verboten. Der Seeadler hat davon profitiert - die Population erholt sich wieder.