Audi geht auf die Dörfer
23. April 2014Viel Korruption bedeutet in China in einem bestimmten Marktsegment auch viel Konsum und damit Wirtschaftswachstum. Und dieses Wachstum fragt nicht, woher das Geld kommt. Ganze Branchen bekommen diesen volkswirtschaftlichen Zusammenhang derzeit zu spüren. Luxushotels mit ihren Sterneköchen, Wein- und Spirituosenhersteller und so manch andere Luxusgüterhersteller leiden unter einer Konjunkturkrise, seit Präsident Xi Jinping bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr der Korruption den Kampf angesagt hat.
Die Nachfrage nach Haifischflossen oder Tigerfleisch ist um bis zu 90 Prozent eingebrochen. Die Pariser Edelschnapsmarke Remy Cointreau hat in China ein Drittel weniger Cognac verkauft und die Londoner Firma Diageo, Produzent von Johnny Walker Scotch und Smirnoff Wodka, beklagt einen Einbruch von 20 Prozent. Auch vielen Uhrenherstellern und Designermarken geht es nicht viel besser – die China-Umsätze sinken. Und nicht nur die, denn viele Chinesen haben die Produkte auf ihren Dienstreisen eingekauft, die nun auch gestrichen sind.
Insofern schadet der Kampf gegen den Kaderfeudalismus auch der europäischen Wirtschaft. Deswegen allerdings zu protestieren traut sich niemand. Nicht einmal der französische Verband für Hochprozentiges. Denn, was Präsident Xi durchsetzt, nützt natürlich auch der Wirtschaft. Kader, denen das Prassen verboten wurde, arbeiten (hoffentlich) mehr. Doch das allein würde den Einbruch nicht ausgleichen. Und dass seltene Tiere nun nicht mehr so oft im Kochtopf landen, ist nur ein kleiner positiver Nebeneffekt.
Viel wichtiger ist: Xis Politik führt zu einer Umschichtung, aus der die Luxusindustrie am Ende sogar gestärkt hervorgehen kann. Denn das Bestechungsgeld, das nun nicht mehr angenommen werden darf, ist woanders als verfügbares Einkommen im Portemonnaie. Es dauert halt nur einige Zeit, bis diejenigen, die die Gelder bisher gezahlt haben, davon überzeugt sind, dass die Antikorruptionskampagne auch von Dauer ist und sie das Geld nicht mehr für faule Geschäfte einplanen müssen.
Luxuskonsum wird umgeschichtet
Es wird also weiter gekauft werden, nur eben von anderen. Die Zeichen stehen gut, dass künftig zwar immer weniger Politiker, dafür aber immer mehr Unternehmer konsumieren werden. Dafür spielt der materielle Besitz bei ihnen eine viel zu große Rolle. Dinge wie das neueste Smartphone, eine Handtasche oder das eigene Luxusauto sind für das Lebensgefühl vieler Chinesen weiterhin sehr wichtig. Luxusgüter sind dabei noch immer der Gipfel des Glückes. Und diejenigen, die sich die Originale nicht leisten können, begnügen sich einstweilen mit Kopien, doch nur bis das Geld für ein Original reicht.
Deswegen sollten sich die Markenhersteller nicht über die Kopien aufregen. Während die Westler vom Original zur guten Kopie wechseln, weil das Geld nicht mehr so locker sitzt, wechseln die Chinesen zum Original, sobald es geht. Die Zeit, in denen sie Kopien kaufen, ist im Grunde nichts anderes als Markentraining für den Ernstfall des Wohlstandes. Deswegen stört es auch niemanden, dass im Pekinger Ausgeh- und Shoppingviertel Sanlitun die größten Fakemarkets und die größten Kaufhäuser mit den Originalen kaum 200 Meter auseinander liegen. Sie arbeiten am Ende eben Hand in Hand.
Wachstumsstrategie Binnenkonsum
Auch ein anderes Projekt des chinesischen Präsidenten spült den Luxusherstellern mittelfristig neue Kunden ins Haus. Xi will Chinas Wirtschaft umbauen. In den letzten drei Dekaden war das Land wirtschaftlich so erfolgreich, weil Millionen chinesischer Arbeiter zu Niedriglöhnen für den Rest der Welt produziert haben. Künftig will die Regierung dagegen den Binnenkonsum fördern und so das eigene Volk zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor machen. Damit das gelingt, müssen die Gehälter der Massen steigen. Und wenn dann die Mittelschicht immer besser aufgestellt ist, verlangt auch sie nach dem schönen Leben.
Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die teuren Marken eine neue Basis von Kunden finden. Und die sind dann eben nicht mehr nur aus Shanghai und Peking. An den Filialnetzen der Luxusgüterhersteller sieht man deutlich, wieviel Luft noch nach oben ist. Die italienische Designermarke Prada beispielsweise hat allein in Peking und Shanghai je drei von ihren insgesamt acht chinesischen Shops. Die rund 100 chinesischen Städte, die mehr Einwohner als Berlin haben, gehen derzeit noch leer aus. Die Autoindustrie ist in dieser Hinsicht Vorreiter. Audi beispielsweise macht jeden Tag einen neuen Showroom im Hinterland auf und geht also gewissermaßen auf die Dörfer. Aber sind es eben Millionendörfer.