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PolitikEuropa

Ungarischer Politiker stürzt über Corona-Sex-Party

Barbara Wesel
1. Dezember 2020

Am Wochenende löste die belgische Polizei eine Sex-Party in Brüssel auf wegen Verstoßes gegen die Corona-Vorschriften. Unter den Gästen: Jozsef Szajer, ein Europa-Abgeordneter der ungarischen Regierungspartei Fidesz.

Belgien Polizeieinsatz in der Nacht
Bild: John Thys/AFP/Getty Images

Beobachter der europäischen Hauptstadt beklagen manchmal, sie sei langweilig, weil man so wenig von Affären und Sexskandalen hört. Doch die gibt es auch in Brüssel - nur finden sie hinter normalerweise verschlossenen Türen statt. Ausgerechnet Corona hat das geändert.

Seit dem zweiten Lockdown Ende Oktober gilt in Belgien eine nächtliche Ausgangssperre und Treffen von mehr als vier Personen sind verboten. Im Prinzip darf nur jeweils eine weitere Person pro Haushalt eingeladen werden, der sogenannte "Knuffelkontakt". Partys, ob mit oder ohne Sex, können also legal nur noch im engsten Familienkreis stattfinden.

Ungar an der Regenrinne

Die belgische Polizei musste am vergangenen Freitag nicht weit laufen, um ihren Einsatzort in der Rue des Pierres zu erreichen, wo sich Tür an Tür die Bars der Brüsseler Schwulenszene finden. Das Hauptquartier der Ordnungshüter ist nur ein paar Straßenecken entfernt. Nach einer Beschwerde von Nachbarn wegen "nächtlicher Ruhestörung" nahmen sich die Polizisten eine Wohnung im ersten Stock vor, die über einer der im Lockdown verwaisten Kneipen liegt.

Etwa 20 Leute wurden dort "bei einer privaten Party" ertappt, die von belgischen Medien als "Orgie" bezeichnet wird. Sie erwähnen auch einen offenbaren Mangel an Kleidung bei den überwiegend männlichen Teilnehmern. Die Polizei stellte ordnungsgemäß die Identitäten der Teilnehmer fest, wobei sich zwei von ihnen mit Diplomatenpässen auswiesen, verhängte Bußgelder und löste das derzeit illegale Vergnügen auf. 

Abgeordnete Szajer (2016): Mehr als nur ein "Knuffelkontakt"?Bild: Jean-Francois Badias/dpa/picture alliance

Einer allerdings versuchte auf spektakuläre Art den Ort des Geschehens zu verlassen: "Ein Passant berichtete der Polizei, dass ein Mann über die Dachrinne zu flüchten versuchte. Seine Hände waren blutig, vielleicht durch den Fluchtversuch. In seinem Rucksack fand man Drogen und er konnte keinen Ausweis vorlegen. Er wurde später in seiner Wohnung anhand eines Diplomatenpasses als S.J. identifiziert", wird in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft die Szene vor Ort beschrieben. Brüsseler Medien berichten in diesem Zusammenhang sogar von einem "nackten Flüchtenden".  

Hinter dem Kürzel S.J. verbirgt sich Jozsef Szajer, langjähriges Mitglied der ungarischen Regierungspartei Fidesz und Vertrauter von Premier Viktor Orban. Szajer war einst als kämpferischer Fraktionsführer seiner politischen Gruppe im Europaparlament bekannt, der wegen der umstrittenen Mitgliedschaft von Fidesz in der Europäischen Volkspartei immer wieder in politische Kämpfe mit Kritikern verwickelt wurde.

Szajer-Vertrauter Orban: Angriff auf LGBT-RechteBild: picture-alliance/dpa/AFP Pool/J. Thys

Inzwischen hat sich Szajer in einer offiziellen Stellungnahme für seinen Fehltritt und seine Teilnahme an der illegalen Party entschuldigt: "Ich bedauere tief, dass ich gegen die Covid-Regeln verstoßen habe, es war unverantwortlich. Ich werde die entsprechende Strafe entrichten."

Er entschuldige sich bei seiner Familie, seinen Kollegen, seinen Wählern und bitte darum, seinen Fehler vor dem Hintergrund von dreißig Jahren "harter politischer Arbeit" zu bewerten und diesen nicht seinem Land oder seiner Partei zuzurechnen. Auch räumte Szajer ein, dass die Polizei bei ihm eine Ecstacypille gefunden habe. Er leugnet jedoch, mit der illegalen Droge etwas zu tun zu haben.

Ein verdienter Abgeordneter

Das Geständnis erklärt das Rätsel von Szajers unerwarteter Rücktrittserklärung vergangenes Wochenende, die per Pressemitteilung bei den EU-Journalisten eingegangen war. Darin war vage die Rede von "persönlichen Gründen" und vom Bedauern seiner Kollegen im Europaparlament. Die Teilnahme am täglichen politischen Kampf sei für ihn seit einiger Zeit ein "zunehmender Stress" geworden, schrieb der ungarische Abgeordnete da.

Niemand hatte zu dem Zeitpunkt erwartet, dass Szajer während des Corona-Lockdowns bei einer illegalen Sexparty Entspannung suchen würde. Erst an diesem Dienstag klärte sich der Hintergrund der Geschichte auf, die von Kritikern des konservativen Politikers und seiner Partei auf Twitter nicht ohne Schadenfreude kommentiert wird.

In anderen Posts auf Social Media wird Szajer "Heuchelei" vorgeworfen, weil er in Brüssel ein freies Sexleben genieße und zu Hause in Ungarn LGBT-Rechte untergrabe. Tatsächlich will der ungarische Politiker 2011 maßgeblich an einer Verfassungsänderung mitgearbeitet haben, in der die Ehe in Ungarn allein als Verbindung zwischen Mann und Frau festgeschrieben wurde.

Seit Jahren machen sich Premier Viktor Orban und seine Fidesz-Partei zunehmend für sogenannte "christliche Werte" sowie die traditionelle Familie stark und greifen LGBT-Rechte als Auswuchs liberalen westlichen Gedankenguts an, das man bekämpfen müsse.

Sex-Party-Veranstaltungsort in der Rue des Pierres in Brüssel: Nächtliche Ruhestörung durch OrgieBild: Laure Dieffembacq/BELGA MAG/AFP/Getty Images

Jozsef Szajer ist mit einer bekannten Juristin verheiratet, die Richterin an Ungarns oberstem Gericht ist, und hat eine Tochter. Seine Partei hatte den Rücktritt ihres prominenten Mitglieds am Montag auf ihrer Facebook-Seite zunächst noch ganz ohne Hinweis auf private Verstrickungen kommentiert: Szajer habe maßgeblich dazu beigetragen, "dass der ungarische bürgerliche Konservativismus und die Christdemokratie ihren rechtmäßigen Platz in der europäischen politischen Szene einnehmen konnten". Das klingt nach einem anständigen politischen Nachruf. 

Am Dienstag dann, nach der öffentlichen Bloßstellung, änderte sich der Ton von Fidesz radikal. Seine Fraktion im Europaparlament kommentierte lapidar, Szajer habe die "einzig richtige Entscheidung getroffen". Man erkenne diese Entscheidung an, auch dass er sich bei seiner Familie und seinen Wählern entschuldigt habe. Damit scheint das Ende von Szajers politischer Karriere besiegelt. Spott und Gelächter über einen der ihren wurde wohl für die Fidesz-Abgeordneten, die sich ungerührt seit Jahren über alle Ermahnungen wegen der schwindenden Rechtsstaatlichkeit in Ungarn hinwegsetzen, am Ende zu einer unerträglichen Belastung.

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