1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Reise

Auf dem Amazonas durch Brasilien

13. März 2018

6992 Kilometer fließt der Amazonas durch den Regenwald Südamerikas. Auf der "Autobahn" des Dschungels ist alles unterwegs: Nahrungsmittel, Baumaterialien, Menschen. Eine Entdeckungsreise auf dem längsten Fluss der Erde.

Reportage Flussfahrt auf dem Amazonas
Bild: DW/L. Stege

In der brasilianischen Kleinstadt Tabatinga am Dreiländereck Brasilien-Peru-Kolumbien gehe ich mit weiteren 95 Passagieren an Bord der Esmeralda. Das Ziel: Manaus. Der Weg: rund 1500 Kilometer auf dem Amazonas, vier Tage lang.

Kartoffeln, Kaffee und Kokain

Er wirkt nervös und starrt auf seinen Rucksack, den der Hund gerade mit seiner Schnauze angestoßen hat. Kyril Kaufmann wird von einem brasilianischen Polizisten samt Rucksack zur Seite genommen. "Aufmachen!" sagt der Beamte auf Portugiesisch. Der Physikstudent aus der Schweiz folgt der Anweisung und nach kurzem Durchsuchen findet der Polizist eine Plastiktüte mit Blättern. "Sind das Kokablätter?" Kyril nickt. Der Polizist kippt den Inhalt der Tüte in den Fluss, macht den Rucksack wieder zu und lässt den 22-jährigen auf das Schiff. Der Schweizer ist aus Peru eingereist. Kokablätter, die schon die Inkas vor Hunderten von Jahren kauten, sind dort legal - hier in Brasilien allerdings nicht. Und dem feinen Geruchssinn des Drogenspürhundes entgehen weder die Blätter, noch das illegale Produkt, das aus ihnen gewonnen wird. "Auf dem Boot haben wir vorhin schon 20 Kilogramm Kokapaste gefunden", sagt mir José Almeida von der brasilianischen Bundespolizei. Die Paste ist ein Zwischenprodukt bei der Herstellung von Kokain. Der Fund sei nicht ungewöhnlich, meint der Beamte, denn jeden Tag werde auf den Booten, die hier Passagiere und Ladung aufnehmen, bis zu 30 Kilogramm der verbotenen Substanz gefunden.

Drogenspürhund in TabatingaBild: DW/L. Stege

Am frühen Nachmittag legen wir ab. All die kleinen Orte entlang des Amazonas müssen mit alltäglichen Dingen beliefert werden. Deshalb stehen auf dem untersten Deck mehrere Säcke mit Kartoffeln, Wasserkanister, Bananenstauden, Kaffee und sogar ein paar Kartons mit Chips. Auch im tiefsten Dschungel möchte offenbar niemand auf Snacks verzichten."Wir transportieren alles", sagt mir der etwas grummelig wirkende Kapitän der Esmeralda, Alcy Alves. Nach dieser Antwort wundert es mich kaum noch, als ich einen eingeschweißten Wäschetrockner hinter den Bananen erkenne. Auf den beiden oberen Decks ist insgesamt Platz für knapp 300 Hängematten. Die meisten Passagiere dösen bereits, leicht schaukelnd in ihrem Netz - während links und rechts vom Schiff langsam der Regenwald vorbeizieht.

Alcy Alves, Kapitän der EsmeraldaBild: DW/L. Stege

Landgang im Nirgendwo

Die Flasche ist leer und geht direkt über Bord. Immer wieder kann ich nicht nur Passagiere, sondern auch Leute von der Crew dabei beobachten, wie sie Essensreste, Glas- und Plastikflaschen in den Amazonas werfen. Dabei muss ich an den Zettel mit den Verhaltensregeln auf dem Schiff denken, den mir die Besatzung zu Beginn der Reise in die Hand gedrückt hat. Punkt 6: Wirf keinen Müll in den Fluss. Und genau diesen Müll sehe ich gerade neben mir am Ufer, als ich vorsichtig über eine wacklige Planke an Land gehe. Ich bin in Caité. Ein Ort, den ich später auf der Karte nicht finden kann. Hier stehen rund 30 Holzhäuser auf Pfählen direkt am Amazonas - irgendwo zwischen Tonantins und Belezas.

Paddler auf dem AmazonasBild: DW/L. Stege

Kapitän Alves und ich sehen vom Ufer aus die Esmeralda vorbeifahren. Eine halbe Stunde vorher hatten wir das wesentlich schnellere Beiboot des Schiffs genommen, um nach Caité vorauszufahren. "Das mache ich hier jedes Mal so und hole mir Fisch bei einem Freund ab", sagt der 67-Jährige. Während Alves jetzt in einem der Holzhäuser verschwindet, laufe ich ein Stück am Ufer entlang. Plötzlich rollt ein Ball auf mich zu und ich sehe ein paar Jugendliche auf einem kleinen Fußballplatz. Ungeschickt, in meinen Flipflops wankend, trete ich den Ball zurück zum Feld. Dann pfeift jemand - aber es ist kein Schiedsrichter, sondern Kapitän Alves, der mich zurück zum Beiboot zitiert. Wir müssen wohl jetzt los, um die Esmeralda wieder einzuholen. "Das sind Tambaqui", sagt er, als ich bei ihm ankomme. Und wie schwere Steine schlagen die fünf Knochenfische auf den Holzplanken des Bootes auf. Jeder ist angeblich zehn Kilogramm schwer. "Und das sind noch die Kleinen", sagt der Kapitän, wirft den Motor an und ich meine, ein Lächeln in seinem Gesicht erkennen zu können.

Fußballfeld in Caité am AmazonasBild: DW/L. Stege
Tambaqui, 10 Kilo Knochenfisch aus dem AmazonasBild: DW/L. Stege

Verpasster Ausstieg

Schlafmaske und Ohrenstöpsel haben nicht geholfen. Ich quäle mich früh am Morgen aus meiner Hängematte. Eine gemütliche Schlafposition konnte ich nachts nicht finden, Kinder liefen an Deck hin und her und neue Passagiere kamen lärmend an Bord. Die Nächte in einer Kabine mit Koje sind zwar etwas teurer, aber deutlich ruhiger.

Passagier Kyril Kaufmann aus Lausanne, SchweizBild: DW/L. Stege

Jennifer Smith schaut auf ihr Handy. Sie hat gerade andere Sorgen als eine ungemütliche Hängematte. Auf einer Karte kann die junge Frau mit geflochtenem Zopf dank GPS-Signal sehen, wie sich die Esmeralda immer weiter von Alvarães entfernt. Dort hätte sie mit ihrem Mann Richard Smith von Bord gemusst. "Wir wollten dann weiter nach Tefé und dann eine Woche tief in den Dschungel, um Flora und Fauna kennenzulernen", sagt mir der 30-Jährige durch seinen dichten Bart. "Wir haben beide unsere Jobs bei Twitter in London gekündigt und sind jetzt sechs Monate auf Reisen in Südamerika." Und im Moment sieht es so aus, als ob diese Reise das Paar direkt nach Manaus führt – und nicht in den Urwald. Denn: "Ab jetzt legen wir nicht mehr an", verrät mir Kapitän Alves und trinkt in aller Ruhe seinen Kaffee.Die Smiths haben ihren Halt in Alvarães verpasst. Der fand allerdings nicht regulär mit Anlegen statt, sondern lediglich optional über das Beiboot. "Das haben wir doch durchgesagt", ergänzt Alves, der sich offenbar bei seinem Frühstück gestört fühlt. Dass weder Jennifer noch Richard Portugiesisch sprechen und deshalb diese Durchsage nicht verstanden haben, scheint Alves nicht zu interessieren. Doch plötzlich springt er auf und zeigt auf ein Schiff, das uns entgegenkommt. "Das fährt direkt nach Tefé!" ruft der Kapitän und läuft auf die andere Seite der Esmeralda. Während Alves das Beiboot klarmacht, stopft das Paar aus England seine Hängematten zügig in die Rucksäcke. Kurz darauf hüpfen beide in das Boot und der Kapitän bringt die Passagiere zum anderen Schiff - und damit wieder auf ihre ursprünglich geplante Reiseroute. Nach dieser hastigen Exkursion sehe ich Alves wenig später wieder beim Frühstück. Ich rufe ihm nur vorsichtig ein "Danke" zu, um ihn nicht erneut zu stören.

Kurz vor Manaus, hier fließt der Rio Negro in den AmazonasBild: DW/L. Stege
Richard und Jennifer Smith aus London, EnglandBild: DW/L. Stege

Das grün-braune Wasser des Amazonas vermischt sich jetzt mit dem schwarzen Wasser des Rio Negro. Dort, wo die beiden Flüsse aufeinandertreffen, liegt Manaus. Die Esmeralda legt frontal an und die Passagiere verlassen das Schiff über die geöffnete Klappe am Bug.

Kapitän Alcy Alves hat sich offenbar extra für dieses Ereignis einen khakifarbenen Overall der brasilianischen Handelsmarine angezogen. Er steht vorne und gibt seiner Besatzung Anweisungen. Ich bitte den Kapitän um ein Foto. "Schon wieder?" Alves lächelt tatsächlich - allerdings erst, nachdem ich das Foto geschossen habe. An der Gangway treffe ich Kyril Kaufmann wieder. Wo es denn jetzt hingehe, frage ich den Schweizer beim Verlassen der Esmeralda. Kyril setzt seinen Rucksack auf, zieht den Riemen fest und grinst. "Keine Ahnung." 

Lukas Stege Reporter und Moderator bei der DW seit 2016.
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen