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Auf der Flucht droht der Winter

Peter Hille29. Oktober 2015

Der November steht vor der Tür - und damit die Kälte in Europa. Was heißt das für die Menschen auf den Flüchtlingsrouten zwischen Syrien und Deutschland? Korrespondenten der DW berichten von ihren Eindrücken.

Slowenien Flüchtlinge bei Rigonce (Photo: picture-alliance/dpa/M. Hitij)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

"Bald kommen Schnee und Eis. Der Winter rückt näher. Jeder Tag zählt." Mit dramatischen Worten hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in dieser Woche vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. Die drohe, weil die Staaten entlang der Flüchtlingsrouten angesichts des nahenden Winters nicht schnell genug handelten und Notquartiere nicht winterfest machten. Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschen sind weiterhin unterwegs nach West- und Nordeuropa, die meisten davon aus Syrien.

Türkei: "Irgendwo und irgendwie"

Im Nachbarland Türkei schätzt man ihre Zahl auf rund 2,5 Millionen. Ist Ankara darauf vorbereitet, sie im Winter zu versorgen? "Überhaupt nicht", sagt Daniel Heinrich, der zurzeit für die DW im Land unterwegs ist. "Die Situation ist für die Flüchtlinge eine Katastrophe. Hier ist es kalt, wir laufen jetzt schon in Winterjacken herum."

Das Hauptproblem: Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge in der Türkei lebt in Lagern und erhält organisierte Hilfe. "Die Mehrheit hat sich privat Unterkünfte beschafft, wohnt irgendwo und irgendwie", so Heinrich. "Man sieht sehr viele Menschen, die unter Brücken leben. Ich bin durch ein stillgelegtes Industriegelände in Istanbul gelaufen, in dem zahlreiche Menschen hausen. In Zentralanatolien, aber besonders in den Großstädten, habe ich viele bettelnde syrische Kinder auf den Straßen gesehen."

Griechenland: "Kalt und stürmisch"

Ob die Flüchtlinge auch bei Kälte und Nässe versuchen werden, die Ägäis zu überwinden und nach Griechenland zu gelangen? "Wenn das Wetter schlecht wird, gehen die Schlepper mit den Preisen runter", sagt Omaira Gill, die für die DW als Korrespondentin aus Griechenland berichtet. "Deshalb werden weiterhin Menschen kommen. Obwohl das Meer hier von Dezember bis März sehr kalt und stürmisch sein kann."

Raue See bei Lesbos: Trotzdem versuchen weiterhin Tausende, in kleinen Booten die Ägäis zu überquerenBild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Hinzu komme, dass die Registrierung und Flüchtlingshilfe "ziemlich unorganisiert" ablaufe, so Gill. "Da hat sich seit Beginn der Krise nicht sehr viel geändert, die Behörden haben nicht schnell genug gehandelt. Die Hauptlast der Hilfe liegt bei Freiwilligen." Zumindest im Lager Moria auf Lesbos habe sich die Situation etwas verbessert. "Ich war im September dort und jetzt noch einmal. Mittlerweile gibt es zumindest Kunststoffhütten vom UN-Flüchtlingshilfswerk und nicht mehr nur Zelte."

Speziell im Norden des Landes, etwa in Idomeni an der mazedonischen Grenze, könnte die Kälte jedoch bald zur Gefahr werden. Schon jetzt habe es viele Fälle von Unterkühlung unter den Flüchtlingen gegeben. "Wir werden in diesem Winter leider über Flüchtlinge berichten müssen, die den Erfrierungstod sterben", so Gill. "Wir hatten auch schon Winter mit viel Schneefall hier in Griechenland."

Balkanländer: "Zelte auf offenem Feld"

DW-Reporter Nemanja Rujevic war in den vergangenen Wochen unter anderem in Serbien, Kroatien, Slowenien und auch in Ungarn unterwegs. Sein Eindruck: "Man bereitet sich schon vor auf die Kälte." So werde in Kroatien nächste Woche ein sogenanntes Winter-Transitzentrum eröffnet. "Das ist in Slovanski Brod, an der Grenze zu Bosnien. Aber auch dort werden viele Menschen in Zelten schlafen müssen", so Rujevic. Kroatien hat bereits Anfang der Woche Unterstützung durch den europäischen Katastrophenschutz angefordert. Im Auffanglager Opatovac sollen Heizungen die Flüchtlingszelte aufwärmen.

"In Slowenien, in Brezice, habe ich fast nur Zelte auf offenem Feld gesehen. Die Unterkünfte sind meistens nicht winterfest." Das ändert sich auch in den anderen Balkanländern nur langsam. In Serbien wird derzeit das Aufnahmezentrum in Krnjaca winterfest gemacht, in Mazedonien haben die Behörden mit dem Bau einer ersten Baracke als Aufnahmezentrum in Gevgelija begonnen. "Die Helfer geben sich alle Mühe, die Leute machen viel. Aber feste Häuser stehen für die Flüchtlinge hier fast nirgendwo zur Verfügung", sagt Rujevic.

Österreich: "Unbeheizte Tiefgarage"

"Die Leute bekommen, was sie brauchen", sagt Alison Langley, die für die DW aus Österreich berichtet. "Auch wenn es nur eine Decke ist und nicht die beste; sie haben etwas, damit sie nicht frieren." Angesichts der Großzügigkeit und zumeist gut organisierten Hilfe müsse man nicht damit rechnen, dass Flüchtlinge vom Tod durch Erfrieren bedroht seien.

Auch in Rigonce in Slowenien zieht die Kälte einBild: picture-alliance/AA/S. Mayic

In Wien etwa haben die Behörden für durchreisende Flüchtlinge einen Teil des Hauptbahnhofs zur Verfügung gestellt. "Ich habe noch nie etwas ähnlich gut Organisiertes gesehen", sagt Langley. "Es gibt eine Stelle, wo sie Kleidung erhalten, wo sie essen können, wo die Kinder spielen, alles steht zur Verfügung." Allerdings: Für diejenigen, die in Österreich Asyl beantragen wollen, gebe es derzeit nur 17.200 Plätze in Übergangsquartieren. "Erwartet werden aber noch 80.000 Menschen. Das wird nicht reichen." Und nicht überall sei die Lage so gut wie am Wiener Hauptbahnhof. "In Salzburg etwa sind Flüchtlinge in einer unbeheizten Tiefgarage untergebracht, nur zwei Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Was würden Sie da tun?"

Deutschland: "Acht Grad und Sprühregen"

Die meisten tun dies: Sie versuchen, möglichst schnell weiterzukommen nach Deutschland. Das beobachtet DW-Reporter Oliver Sallet am Grenzübergang Achleiten bei Passau: "Gerade sind wieder 60 Busse auf dem Weg hierher aus Österreich." Wenn viele Busse auf einmal ankommen, dann müssen die Flüchtlinge jedoch warten, bis sie auf der deutschen Seite abgeholt werden. Das könne zumindest einige Stunden dauern. "Im Moment geht es noch, bei acht Grad und Sprühregen. Trotzdem ist das schon unangenehm feucht und kühl."

Sobald die Flüchtlinge in der Nähe von Behördenvertretern oder Helfern sind, sei alles gut organisiert, sagt Sallet. "Die Logistik klappt hervorragend, das funktioniert." Wo das nicht der Fall ist, droht Gefahr. "Eine Gruppe von Flüchtlingen hat mir zu verstehen gegeben, dass sie die Nacht auf der Straße verbracht haben, weil sie gestern sehr spät angekommen sind", so Sallet. "Sie haben gesagt, dass sie auf dem Boden geschlafen haben, nur mit den Klamotten, die sie am Körper trugen." Es stehe also zu befürchten, dass irgendwann auch in Deutschland Menschen erfrieren könnten auf der Flucht in die vermeintliche Sicherheit.

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