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Auf der Flucht vor dem Boko Haram-Terror

Adrian Kriesch19. Juni 2014

Fast täglich mordet die Terrorgruppe Boko Haram im Nordosten Nigerias. Immer mehr Menschen verlassen ihre Heimat. Zwei Flüchtlinge berichten gegenüber der DW über die brutalen Zustände.

Nigeria Flüchtlinge aus Borno
Bild: DW

Der alte Mann sitzt nervös auf einem Stein in einem Vorort von Nigerias Hauptstadt Abuja. Er spielt mit seinen Fingern, denen man ansieht, dass er jahrelang als Farmer auf dem Feld gearbeitet hat. Doch das ist jetzt vorbei. Vor wenigen Wochen ist er mit seiner Frau in Abuja angekommen, eine neue Welt für den Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Denn in seinem Heimatdorf im Bundesstaat Borno im Nordosten Nigerias herrscht der Ausnahmezustand. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram räuchert fast täglich ganze Dörfer aus und tötet Zivilisten. Vor zwei Monaten entführte sie fast 300 Schulkinder. "Das ist eine Gruppe Gesetzloser. Alle haben Angst vor ihnen, darum bin ich geflüchtet. Vor meinen Augen haben sie einen Pastor ermordet und andere mit Macheten totgeschlagen", sagt der Mann mit dem müden Gesicht. Als einziger Christ in seiner muslimischen Familie habe er jahrzehntelang ohne Probleme in seinem Dorf gewohnt. Bis sich die Sekte Boko Haram zu einer Terrorgruppe radikalisierte und Jagd auf alle Andersdenkenden machte. Er schäme sich besonders dafür, dass sein Bruder der Gruppe beigetreten sei. "Viele schließen sich Boko Haram an, weil sie Angst haben, sonst umgebracht zu werden. Ich habe meinen Bruder nie wieder gesehen, seit er sich der Gruppe angeschlossen hat.“

Ein Flüchtling aus Borno: "Ich bin nach Abuja geflüchtet, habe nichts mehr."Bild: DW/A. Kriesch

"Das hat mit Religion nichts zu tun – das ist einfach nur barbarisch"

Doch nicht nur Christen leiden unter dem Terror. Seit 2009 wurden mehr als 5000 Menschen von Boko Haram getötet, die Mehrheit sind Muslime. "Das hat mit Religion nichts zu tun – das ist einfach nur barbarisch", sagt Hafsat Maina Mohammed. Die Journalistin und Mutter hat vor zwei Jahren ihre Heimat Borno verlassen, nachdem sie selbst fast bei einem Anschlag ums Leben kam. Jetzt lebt sie mit ihren beiden Kindern in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in der Stadt Kaduna, drei Autostunden von der Hauptstadt entfernt. Immer wieder gibt sie kurzzeitig Familienmitgliedern und Freunden Unterschlupf, die aus dem Krisengebiet flüchten. Bis zu neun Menschen quetschen sich dann in ihre Wohnung.

Beten für Frieden in der Heimat: Hafsat Maina MohammedBild: DW/A. Kriesch

Eine Viertelmillion Menschen auf der Flucht

Etwa 250.000 Nigerianer sind aufgrund des Terrors in der Region um die Stadt Maiduguri auf der Flucht, schätzt die staatliche Katastrophenschutzbehörde NEMA. Mehr als 60.000 Menschen sind in die Nachbarländer Kamerun, Tschad und Niger geflohen. Flüchtlingslager und staatliche Unterstützung für Betroffene gibt es kaum, die meisten suchen bei Familienangehörigen Zuflucht.

Eine schnelle Lösung der Krise ist nicht in Sicht. Ernsthafte Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und Boko Haram fanden bisher nicht statt. Das nigerianische Militär konnte nur wenige Erfolge vermelden. Vielmehr ist es wiederholt dafür in die Kritik geraten, bei Angriffen auf die Zivilbevölkerung nicht einzugreifen.

"Irgendwie muss es weitergehen"

Hafsat Maina Mohammed will ihr Leben jetzt in Kaduna aufbauen und sich für einen stärkeren Dialog zwischen Christen und Muslimen einsetzen. Doch ihre Familie in Borno und die Vergangenheit holen sie regelmäßig ein. "Es bricht mir das Herz. Der Sohn meiner Cousine wurde von Boko Haram entführt und ermordet, weil er nicht mitkämpfen wollte. So etwas bekommt man nicht so leicht aus dem Kopf." Auch der alte Mann in Abuja denkt täglich an das Leiden in seiner Heimat. Für ein Dach über dem Kopf und etwas Essen arbeitet er jetzt als Wachmann. Trotzdem: Er träumt davon, zurückzukehren. Wenn Boko Haram und sein Bruder die Waffen niederlegen, wäre er bereit ihnen zu verzeihen. "Irgendwie muss es ja weitergehen."

Staatliche Unterstützung für Flüchtlinge, wie hier im Bundesstaat Gombe, gibt es nur seltenBild: DW/A. Kriesch
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