Auf der sicheren Seite
10. Mai 2025
Vor genau zwei Wochen ist Papst Franziskus beigesetzt worden – anders als seine Vorgänger nicht im Petersdom, sondern in der Kirche Santa Maria Maggiore. Die Begründung für diesen ungewöhnlichen Schritt hat in gewisser Weise mit dem Tag zu tun, den wir morgen, am 11. Mai, feiern: Muttertag. Franziskus wollte nicht bei Petrus, dem manchmal vielleicht etwas furchteinflößenden Hausherrn im Vatikan ruhen, sondern bei der milden, warmherzigen Mutter Maria.
In seiner Autobiografie „Hoffe“, die im vergangenen Herbst erschienen ist, erzählte Franziskus davon, dass er schon früher oft vor dem Marienbild in Santa Maria Maggiore, seiner Lieblingskirche, gebetet hat, erst als Kardinal bei seinen regelmäßigen Rom-Besuchen und später als Papst: „Ich betete darum, dass Maria mich als Mutter begleitet, mir sagt, was ich tun soll, und über meine Gesten wacht. Mit der Madonna bin ich auf der sicheren Seite“, schrieb er.
Und auch im Tod wollte er auf dieser sicheren Seite sein, nah bei Maria: „Man wird mich dorthin bringen, ganz in die Nähe der Regina della Pace, zu der ich immer um Hilfe gebetet habe und von der ich mich mehr als hundert Mal habe umarmen lassen.“
Es ist ein wunderbares Bild, das Franziskus hier von Maria, der Mutter Jesu, und irgendwie auch von Müttern im allgemeinen zeichnet: Sie begleiten, geben Rat, wachen über ihre Kinder, sie vermitteln Sicherheit, Geborgenheit – und sie umarmen. Wer bräuchte das nicht? Offenbar auch ein alter Papst!
Natürlich ist dieses Bild auch sehr klassisch und wird manchem etwas gegen den Strich gehen. Weil Frauen natürlich viel mehr sind als Kuschelkissen und weil Väter natürlich auch umarmen können. Und doch ist auch etwas Wahres dran. Es hat wohl seinen Grund, warum etwa sterbende Soldaten im Krieg nach ihren Müttern riefen und warum der Tod der eigenen Mutter ein besonders tiefer Einschnitt ist. Die körperliche Nähe, die ein Babys zu seiner Mutter hat, zumal zu einer stillenden Mutter, hinterlässt lebenslange Spuren.
Wahrscheinlich hat dieses Urvertrauen, das sich über Jahrtausende in unsere DNA eingeprägt hat, eben auch in der Religion Spuren hinterlassen, in der christlichen vor allem. Da wurde Gottvater oft eher als strenger Richter gesehen, als „Herr hoch oben“, vor dessen Größe und Erhabenheit man sich etwas fürchten kann. Und deshalb tat es gut, Maria zu haben, eine Fürsprecherin, eine Mutter, die ihre Kinder vor dem Vater in Schutz nimmt und die den Kummer anderer Mütter verstehen kann. Marienverehrung – besonders auch im Marienmonat Mai – hat hier ihre menschlichen Wurzeln.
Maria so zu sehen – als Mutter, als Fürsprecherin – dagegen ist nichts einzuwenden. Solange man dieses Bild nicht absolut setzt. Als wäre Maria nicht auch eine Kämpferin gewesen, die die Mächtigen vom Thron stürzen und die Reichen leer ausgehen sehen will – so erzählt es zumindest das Lukasevangelium. Und solange man nicht Maria als Begründung nimmt, um alle Frauen auf die Rolle der fürsorglichen Hausfrau und Mutter festzunageln. Als gäbe es in der Bibel nicht auch Richterinnen und Heerführerinnen wie Debora und Judith, denen das Volk Israel keine Kinder, sondern militärische Siege verdankt. Die angeblichen „Charismen der Frau“ – Liebe, Sorge, Fruchtbarkeit – auszunutzen, um Frauen auch und gerade in der Kirche klein und von Macht und Einfluss fernzuhalten, kann man deshalb nicht religiös begründen.
Auch der Muttertag als ganz weltliches Fest unterliegt diesen Versuchungen. So wurde er schon viel zu oft ideologisch missbraucht, um etwa ein Bild der „deutschen Mutter“ zu formen oder Frauen auf eine politisch gewollte Funktion zurechtzustutzen. Vielleicht hinterlässt er deshalb bei manchen ein so zwiespältiges Gefühl.
Und dennoch: Das Gefühl des verstorbenen Papstes Franziskus, bei der Madonna, der Mutter Jesu, auf der sicheren Seite zu sein, hat etwas Faszinierendes und verweist auf ein zutiefst menschliches Bedürfnis - nach Nähe, nach Geborgenheit, nach jemandem, der begleitet, rät, schützt. Wer auch immer es sei.
Zur Autorin
Susanne Haverkamp (59) ist Theologin und Journalistin und stammt aus dem Ruhrgebiet. Heute lebt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern mit ihrem Mann in Osnabrück. Über den Glauben in zeitgemäßer Art und Weise zu reden und zu schreiben, ist ihr seit Studienzeiten ein Anliegen.Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet