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Die Suche nach dem neuen China-Kurs

25. November 2021

Die Parteispitzen von SPD, Grünen und FDP haben ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Ein zentrales Thema taucht erst am Ende auf: Das Verhältnis zu China. Ein Kurswechsel im Umgang mit Peking ist überfällig.

Flaggen China Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/O. Spata

Wenn es nach dem geht, was die Protagonisten der sogenannten Ampel bisher angekündigt haben, dann wird es zu einem anderen Kurs gegenüber autoritären Staaten wie Russland oder China kommen. Das haben verschiedene Vertreter vor allem aus den Reihen der Grünen mehrfach unterstrichen.

Aber wie will die neue Bundesregierung die in den 16 Jahren unter Angela Merkel gewachsene enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China mit einer härteren Gangart gegenüber Peking in Einklang bringen? Wird es zu einer Abkehr vom wirtschaftspolitischen Pragmatismus der Merkel-Jahre kommen?

Welche Folgen eine offene Kritik an der Menschrechtslage in China haben kann, wissen australische Unternehmen nur zu gut. Spätestens, seit Peking wichtige Importgüter wie Kohle aus "Down Under" mit einem Importbann belegt hat.

Wenn Annalena Baerbock die nächste deutsche Außenministerin wird, steht ihr ein Balance-Akt bevor: Die Co-Vorsitzende der Grünen muss die Forderungen ihrer Partei nach einer härteren Linie gegenüber Russland und China in Menschenrechtsfragen mit der pragmatischen Haltung eines Bundeskanzlers Olaf Scholz in Einklang bringen. Und der dürfte eher keine Konfrontation mit Moskau oder Peking im Streit um die Ukraine oder Taiwan riskieren.

Protest gegen die Verfolgung Oppositioneller in Hongkong Bild: Liau Chung-ren/Zumapress/picture alliance

Menschenrechtler gegen Wirtschaftsvertreter?

Prominente Politiker der Grünen, allen voran der von Peking mit einem Einreiseverbot belegte Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, haben immer wieder gefordert, dass Deutschland gegenüber China einen selbstbewussteren Ton anschlagen soll. Doch wie die von Annalena Baerbock im Wahlkampf geforderte "werteorientierte Außenpolitik" mit den wirtschaftlichen Interessen deutscher Exportunternehmen in China zusammengehen soll - das lässt sich im Koalitionsvertrag höchstens erahnen.

Dass die künftige Außenpolitik der Ampel erst auf Seite 143 von insgesamt 177 Seiten umrissen wird, legt nahe, dass sie bei den Verhandlungen der drei Parteien keine so herausragende Rolle gespielt hat, wie die Klima-, Sozial und Digitalisierungspolitik.

Der designierte Kanzler Olaf Scholz äußerte sich nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages am Mittwoch (24.11.) auch nur auf Nachfrage zur künftigen Außenpolitik des Ampel-Bündnisses gegenüber der DW - mit einem Bekenntnis zu Europa und dem transatlantischen Schulterschluss mit den USA.

"Die Welt wird sich verändern, sie wird multipolar", erklärte Scholz. "Das heißt, es gibt viele starke Staaten und Mächte in der Welt, die Einfluss nehmen auf das künftige Geschehen. Nicht nur die USA und China, wie manche diskutieren, auch viele andere Nationen des aufsteigenden Asiens: Korea, Japan, Vietnam, Indonesien, Malaysia, Indien zum Beispiel. Starke Länder aus Afrika und aus dem Süden Amerikas werden ihre Stimme deutlich machen im Hinblick auf das künftige Weltgeschehen."

G2-Szenario: Welche Folgen hätte es für Deutschland, wenn die USA und China die globalen Regeln unter sich ausmachen?Bild: Yue Yuewei/Xinhua/AP Photo/picture alliance

Kurswechsel nötig

Was aber geschieht, wenn die Welt nicht multipolar wird, sondern von den zwei Polen USA und China so dominiert wird, dass Deutschland zwischen den beiden globalen Schwergewichten quasi eingeklemmt wird? Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung untersucht die Herausforderungen, die auf die deutsche Wirtschaft zukommen. In dem Papier werden "Globalisierungsszenarien" entworfen, die es alle für die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft in sich haben. Bei allen fünf Zukunftsvarianten, die zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) entworfen wurden, wird der Gegenwind für Deutschland beim globalen Kräftemessen stärker.

Da wird eine Welt entworfen, in der eine ganz andere Variante von G2 herrscht. Und die hat rein gar nichts mit den Regeln für Geimpfte oder Genesene in der Coronakrise zu tun. Das G2-Szenario der Bertelsmann-Studie beschreibt eine Welt, in der die USA und China die Regeln weitgehend unter sich ausmachen. Weil die EU unfähig ist, mit einer Stimme außen- und wirtschaftspolitisch gegenüber Peking aufzutreten. Auch das Szenario "Welt in der Dauerkrise" lässt für die Exportnation Deutschland nichts Gutes erwarten.

Dass Deutschlands Interessen beim Szenario eines "Kalten Friedens", in dem die USA, Europa und China das Weltgeschehen maßgeblich bestimmen, noch relativ gut gewahrt werden können, spricht Bände.

Der Berliner China-Think Tank Merics hat vor einigen Wochen den aktuellen Stand der Dinge in Chinas Außen- und Wirtschaftspolitik zusammengefasst. In ihrer Untersuchung Course correction: China's shifting approach to economic globalization unterstreichen die Autoren die Entschlossenheit der Entscheidungsträger in Peking, immer stärker die Spielregeln der wirtschaftlichen Zusammenarbeiten mit seinen internationalen Partnern zu diktieren - mit erheblichen Auswirkungen für deutsche Unternehmen in China.

Wie offen wird Chinas riesiger Binnenmarkt künftig für ausländische Partner sein? Bild: picture-alliance/dpa/Imaginechina/S. Xiaoming

Peking verstärkt die Festung China

Chinas veränderte Sicht der globalen wirtschaftlichen Integration bedeutet nach Einschätzung der Merics-Forscher, "dass ausländische Unternehmen in China Zugang zu einem Markt erhalten, der einer Festung gleicht, die derzeit noch verstärkt wird." Ausländische Unternehmen in China seien "de facto auf dem Weg", stärker zu einer chinesischen Unternehmung zu werden und nicht - wie bisher - als Bestandteil globaler Lieferketten in die Weltwirtschaft integriert zu werden. "Sie koppeln sich nicht von China ab, sondern entkoppeln vielmehr ihre China-Geschäfte von ihren globalen Geschäften", lautet die Analyse der Berliner China-Experten. Und das ist nur eine der zentralen Folgen der neuen chinesischen Wirtschaftsdoktrin, der Dual Circulation, der Zwei Kreisläufe.

Deutschland und China als Schicksalsgemeinschaft

Am Beispiel der deutschen Auto- und Maschinenbauer wird deutlich, wie abhängig deutsches Wirtschaftswachstum von einer gut laufenden chinesischen Konjunktur ist. Werden im Reich der Mitte besonders viele deutsche Produkte gekauft, sorgt das in Deutschland für sprudelnde Gewinne und sichert den Wohlstand im Land.

"Hätten die Chinesen in den vergangenen Jahren nicht so viele Autos und Maschinen bei uns gekauft, wäre es unserer Wirtschaft nicht so gut gegangen. Es besteht eine Korrelation zwischen chinesischem und deutschem Wirtschaftswachstum. Eine unbequeme Wahrheit, aber eben eine Wahrheit. Wollen wir diese in der Nach-Merkel-Ära aufs Spiel setzen?" fragte vor kurzem der China-Kenner und Publizist Wolfgang Hirn in einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung.

Verstärkte Zusammenarbeit mit Wertepartnern in Asien? Nur ein Teil der ASEAN-Staaten ist demokratisch Bild: John Thys/AFP/Getty Images

Schulterschluss mit Wertepartnern

Die Ampel-Parteien wollen - so steht es im Koalitionsvertrag - den Schulterschluss mit den USA und mit "Wertepartnern wie Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea vorantreiben". Gemeinsame Werte wie Demokratie und Menschrechte sollen bei der künftigen Außenpolitik der Ampel damit stärker in den Vordergrund rücken.

"Wir wollen und müssen unsere Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten. Auf der Grundlage der Menschenrechte und des geltenden internationalen Rechts suchen wir die Kooperation mit China, wo immer möglich", schreiben die Ampel-Partner weiter. Was aber kommt auf Deutschland und Europa zu, wenn Peking auf eine Kooperation nach den werteorientierten Spielregeln der Ampelparteien lieber verzichtet? Die Antwort auf diese Frage würde einen Koalitionsvertrag sprengen.

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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