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Auf der Suche nach dem verloren Gelb

Matthias Frickel (z. Zt. in Rio de Janeiro)10. Juli 2014

Vor zwei Tagen noch trug ganz Brasilien stolz das Trikot der Selecao. Rio strahlte gelb. Über Nacht ist die Farbe aus der Stadt verschwunden. Unser WM-Reporter Matthias Frickel auf der Suche nach dem verlorenen Gelb.

Schaufensterpuppe mit Selecao-Trikot (Foto: DW/M. Frickel)
Bild: DW/M. Frickel

Seit meiner Ankunft in Rio dachte ich die Stadt sei ein einziges Gelb. Die Sonne lachte und jeder zweite Brasilianer steckte in einem knallgelben Shirt der Selecao. An jeder zweiten Ecke leuchteten mir die Trikots, Käppis und Miniröcke entgegen, die die Farbe der brasilianischen Nationalmannschaft transportieren. Die Leute lachten und trugen mit Stolz die Hemden ihrer Helden. Unzählige Neymars, Alte, Junge, Dicke, Dünne, Schöne und Hässliche bevölkerten die Straßen Rios.

DW-WM-Reporter Matthias FrickelBild: DW/M. Frickel

An Tagen, an denen die Selecao antrat, konnte man meinen, die Regierung hätte einen Trikotzwang verhängt, so sehr bestimmte die Farbe den Alltag. Soll das jetzt alles vorbei sein? Seit 1953 ist das Gelb die Trikotfarbe der Selecao. Nach der traumatischen Niederlage im WM Finale 1950 im heimischen Maracana gegen Uruguay hatte der brasilianische Verband beschlossen, die Selecao dürfe nie wieder in den bis dahin üblichen weißen Trikots antreten. Aus einem Wettbewerb für ein neues Trikot ging unter 201 Teilnehmern der Vorschlag des damals 19-jährigen Aldyr Garcia Schlee als Sieger hervor. Seitdem trägt die Selecao weiße Stutzen, himmelblaue Hosen und eben diese berühmten kanariengelben Trikots. Auch wenn die Selecao dieses Jahr mit der Tradition gebrochen hat und in weißen Hosen auflief, das gelbe Trikot ist heilig. Nur wie lange noch?

Der Himmel weint

Heute weint der Himmel und kein Mensch trägt mehr ein Trikot der Selecao. Quasi über Nacht ist das Gelb aus der Stadt verschwunden. Die seit Dienstag tränengetränkten Shirts der Selecao wandern für eine lange lange Zeit in die Waschmaschine. Wer weiß, welche Farbe sie haben werden, wenn die Brasilianer sie nach vier Jahren wieder aus der Trommel ziehen?

In ganz Rio habe ich heute nur einen einzigen einsamen Kerl getroffen, der das einst stolze Gelb wie zur Schmach weiter tragen muss. Der Mann kann nichts dafür. Schließlich hat er einen steifen linken Arm und bewacht einen Andenkenladen, in dem in naher Zukunft sicher nur Touristen nach dem einst lebensfrohen Trikot der Selecao verlangen.