Fast zwei Jahre reiste Johann Wolfgang von Goethe durch Italien. 1816 veröffentlichte er seine Reisetagebücher. Sie begründeten die Italiensehnsucht der Deutschen und gehören bis heute für viele ins Reisegepäck.
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Der deutsche Romantiker E.T.A. Hoffmann (1776 -1822) schildert das wilde Treiben des römischen Karnevals in den buntesten Farben, ohne je einen Fuß in die ewige Stadt gesetzt zu haben. Sein Zeitgenosse Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) beschreibt den Karneval aus eigenem Augenschein: als ein "Fest, das dem Volk nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt". Der Dichter erlebt keine Prozession, keine Festbeleuchtung am Petersdom und kein Feuerwerk an der Engelsburg, welche die Obrigkeit den Römern als Spektakel organisieren. Sondern den Karneval als "Zeichen, daß jeder so töricht und toll sein dürfe, als er wolle, und daß außer Schlägen und Messerstichen fast alles erlaubt sei."
Auf Italienreise wie Goethe
Von 1786 bis 1788 erfüllte sich Goethe einen Lebenstraum und reiste nach Italien. Seine Notizen werden als "Italienische Reise" zum Bestseller. Bis heute pilgern Touristen auf seiner Route durch Italien.
Bild: picture-alliance/D. Kalker
Brenner
Am Anfang sind die Alpen. Das gilt für jeden Nordeuropäer, der nach Italien will. Vier große Übergänge führen über das Gebirgsmassiv hinweg. Goethe wählte den Brenner-Pass. Mit der Postkutsche reiste er via München und Innsbruck seinem Sehnsuchtsland entgegen. Zwei Tage brauchte er. Von München zum Brenner sind es heute nur zweieinhalb Stunden. Ohne Stau versteht sich.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/S. Derder
Gardasee
Gleich hinter den Alpen und schon in einer anderen Welt. Der Gardasee ist für Nordeuropäer der Inbegriff des Südens. Tiefblaues Wasser umgeben von Bergen, mildes Klima, pittoreske Städtchen, üppige Vegetation, gutes Essen. Besonders bei Deutschen ist der Gardasee beliebt. Goethe erlebte hier neben aller Faszination ein unfreiwilliges Abenteuer: Er wurde fälschlicherweise als Spion verhaftet.
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Malcesine
Zu Goethes Zeiten waren die Orte am Seeufer nur mit dem Boot oder über abenteuerliche Pfade zu erreichen. Auch Malcesine. Heute ist es das touristische Zentrum des Gardasees. Goethe begegnet man auf Schritt und Tritt. Ein Denkmal, viele Gedenktafeln und ein Museum erinnern an den Besuch des Dichters. Auch das Hotel San Marco schmückt sich mit einer Marmortafel. Dort hat er übernachtet.
Goethe ist Bildungsreisender. Der Besuch des Amphitheaters von Verona wird zu seiner ersten Begegnung mit einem Monument der Antike. Goethe staunte, wie gut es erhalten war. Und das ist es immer noch. Die Arena von Verona bietet 22.000 Zuschauern Platz. In den Sommermonaten finden hier die berühmten Opernfestspiele statt.
In Venedig bleibt Goethe zwei Wochen. Als Kind hatte er mit einer Gondel gespielt, die sein Vater von einer Reise mitgebracht hatte. Nun durchstreift er selbst auf Gondeln die Lagunenstadt und kann sich nicht satt sehen. Venedig gehört heute zu jenen Städten, die an der Liebe ihrer Besucher fast ersticken. In der Hochsaison kommen 130.000 Touristen auf etwa 55.000 Einwohner.
Am 1. November 1786 kommt Goethe in Rom an und schreibt: "Ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!" Er wird vier Monate bleiben, mit einem Maler zusammenziehen, viel feiern, viel schreiben, erotische Abenteuer erleben und seine Sehnsucht nach der Antike stillen. Die Faszination der "Ewigen Stadt" lockt heute viele Millionen Touristen jährlich nach Rom.
In Neapel räumt Goethe mit dem in Deutschland verbreiteten Gerücht auf, die Italiener seien Müßiggänger. Die Neapolitaner lieben ihn dafür. Er schwärmt von den Farben der Stadt, dem Essen, den Gerüchen. Heute stinkt Neapel gelegentlich zum Himmel: Die Stadt hat ein ungelöstes Müll-Problem. Und sie ächzt unter ihren mafiösen Strukturen.
Bild: picture-alliance/Photoshot
Vesuv
Die Einheimischen nennen ihn den "Bucklingen". Der Vesuv über dem Golf von Neapel ist einer der bekanntesten aktiven Vulkane der Welt. 79 n. Chr. begruben Asche und Lava des Vesuv die Stadt Pompeji unter sich. Goethe zog dieser Vulkan magisch an. Er war gleich mehrmals oben. Heute werden Touristen mit Bussen zum Krater gebracht.
Die Liste der Orte, die Goethe auf Sizilien besucht hat, ist lang. Besonders begeistert ihn die Vielfalt der Vegetation. Heute weiß man, dass auf Italiens größter Mittelmeerinsel über 3000 Pflanzenarten wachsen. Und immer wieder überwältigen Goethe die Ausblicke. Der Monte Pellegrino ist für ihn das "schönste Vorgebirge der Welt".
Bild: picture-alliance/Udo Bernhart
Taormina
Goethe gilt als einer der ersten Touristen Taorminas an der Ostküste Siziliens. Heute ist er der berühmteste Urlaubsort auf Sizilien. Goethe besuchte das antike Teatro Greco mit Blick auf den Vulkan Ätna. Wie hier Naturkulisse und Architektur verschmelzen, berührte ihn zutiefst. Heute erleben Besucher hier Konzerte und Opernabende - und geraten dabei ins Schwärmen wie einst Goethe.
Bild: picture-alliance/ZB/W. Thieme
Dolce Vita
Auf vieles war Goethe vorbereitet, auf eines nicht - das italienische Lebensgefühl. Die Lässigkeit der Italiener, ihr Optimismus, ihre Sinnlichkeit. "La dolce Vita", das süße Leben wird seine eigentliche Entdeckung. Er findet die Worte, die Italiener verehren ihn dafür. In Deutschland entfacht er mit seinem Reisebericht eine Italiensehnsucht, die bis heute anhält.
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Auf ins Land, wo die Zitronen blühen
Von 1786 bis 1788 erfüllte sich Goethe einen Lebenstraum: eine Reise nach Italien. Seine Notizen werden als "Italienische Reise" zum Bestseller. Bis heute pilgern Touristen auf seiner Reiseroute durch Italien.
Dem Dichter offenbarte sich eine neue Welt. Und doch dauerte es 30 Jahre, bis er seine Erinnerungen herausbrachte. Im Oktober 1816 erschien der erste Band seines Reiseberichts, der "Italienischen Reise".
Dabei wandelte Goethe bereits auf ausgetretenen Pfaden deutscher und britischer Italien-Reisender, als er mit 37 Jahren von einer Kur in Karlsbad in den Süden aufbrach. "Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte" - so beginnt der erste Band der "Italienischen Reise".
Goethe befand sich 1786 in einer Lebenskrise, die Amtspflichten am Weimarer Hof ermüdeten ihn, die Beziehung zur verheirateten Charlotte von Stein blieb unerfüllt. Er reiste inkognito als Maler unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller über den Brenner, Venedig und die Toskana nach Rom. Dort nahm er Zeichenunterricht bei seinem Malerfreund Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und zog mit ihm zusammen.
Weimarer Dichterfürst als Aussteiger in Italien
In Erinnerung an gemeinsame Ausflüge entstand 1787 dessen Gemälde "Goethe in der Campagna": Der Dichter inmitten antiker Ruinen in einer Hügellandschaft, sichtbares Sinnbild deutscher Italien-Sehnsucht. Die halb liegende Haltung Goethes wirkt dabei auf den ersten Blick bequemer als sie wohl in Wirklichkeit war. Eine andere Tischbein-Zeichnung dagegen zeigt den Dichter wahrlich entspannt: auf einem Sofa mit Schuhen an den Füßen quer über der Lehne. Zu sehen ist sie im Museum "Casa di Goethe" in Rom, in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung von Tischbein und Goethe.
Wenn heute Italiener in die "Casa di Goethe" kommen, interessieren sie sich für den "homo universalis Goethe, den vielseitigen Autor des Faust", wie Maria Gazzetti erklärt, Leiterin des Museums in der Via del Corso. Deutsche hingegen suchten "Goethe den Erfinder der Italien-Sehnsucht, denjenigen, der eine Weile ausgestiegen ist, um Anderes zu erleben".
Rom galt Goethe als "Hauptstadt der Welt"
In Rom bewunderte Goethe nicht nur antike Skulpturen, die er wegen ihrer Nähe zu den griechischen Originalen studierte. Er fand auch erotische Abenteuer. Eine Zeichnung zeigt ihn, wie er auf seinem Bett in der Künstler-WG unter den strengen Augen eines Juno-Kopfes "das verflixte zweite Kissen" richtet.
Goethe habe in Rom "die Antike, die Natur und den Eros als Naturkraft wieder entdeckt", sagt der italienische Germanist Mauro Ponzi von der römischen Sapienza-Universität. In den "Römischen Elegien", in denen der Dichter seine erotischen Erlebnisse verarbeitet, taucht der Name "Faustina" auf. Sie war wohl eine römische Wirtstochter.
Die meiste Zeit seines Italien-Aufenthalts verbrachte der Dichter in Rom. Später ging es für ihn weiter südlich, nach Neapel. Vor allem aber drängte es Goethe nach Sizilien, das als ehemalige griechische Kolonie mit seinen Tempeln die größte Nähe zum antiken Ideal versprach: "Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem."
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
In Italien sei Goethe zwei Jahre lang glücklich gewesen, habe die vielleicht glücklichste Zeit seines Lebens verbracht, meint der Goethe-Experte Marino Freschi: "Wegen der Landschaft, der Befreiung aus dem Amt und aus der Verbindung mit Frau von Stein, wegen Kultur, Kunst, Kreativität, wegen des Meeres - und wegen Faustina".
Die Italien-Sehnsucht treibt noch heute unzählige Deutsche auf den Spuren Goethes gen Süden. Die Vorstellungen von einem Leben im Zeichen von Genuss und Freiheit, nicht eingezwängt von Konventionen und Pflichten, üben unvermindert Anziehungskraft aus.