Zwischen Coolness und Konfusion: Junge chinesische Fotografen verorten sich in einem Land, das sich so schnell verändert wie kaum ein anderes. Eine Ausstellung in München wirft ein Licht auf China jenseits von Corona.
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Junge Fotografie aus China
"About Us" - eine Münchner Ausstellung gewährt Einblicke in eine wenig bekannte Kunstszene Chinas. Die Alexander Tutsek-Stiftung in München zeigt eine Auswahl von Fotoarbeiten von 14 Künstlerinnen und Künstler.
Bild: Ren Hang
Yang Fudong, International Hotel No. 11, 2010
Yang Fudong (geb. 1971) ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Chinas und zählt zu den Pionieren der chinesischen Videokunst. Seine Arbeiten werden in den renommiertesten Museen der Welt ausgestellt. In seinen Fotografien inszeniert er die Gegensätze zwischen den aktuellen sozialen Bedingungen in China und den klassischen kulturellen Mustern.
Bild: Yang Fudong
Wang Ningde, Some Days No. 4, 1999
Wie Szenen aus dem Drama eines Stummfilms wirkt die Schwarz-Weiß-Serie "Some Days" (entstanden zwischen 1999 und 2009) von Wang Ningde (geb. 1972): Er fotografierte all seine Protagonisten mit geschlossenen Augen - Ausdruck von Traum oder Alptraum, Meditation oder Flucht, surrealen Zwischenwelten des Glücks oder der Resignation.
RongRong, East Village Beijing, 1994 No. 20, 1994
RongRong (geb. 1968) hält die künstlerischen Aktivitäten des Beijing East Village Kollektivs fest, einer Gruppe junger Künstler, der er angehörte. Er dokumentiert deren alltägliches Leben, bevor das Pekinger Viertel 1995 zwangsweise geräumt wurde. Seine Bilder versteht er als ästhetischen Widerstand gegen das gewaltsame Eindringen der Staatsmacht.
Bild: RongRong
Zhang Xiao, Mother and Neighbours - Shift series, 2015
Zhang Xiao (geb. 1981) hält ihre persönlichen Erinnerungen fest, als seien ihre Werke historische Zeugnisse jener Vergangenheit selbst. In verblassenden Schwarz-Weiß- sowie Sepiatönen, mit Kratzern und anderen Gebrauchsspuren versehen, wirken sie wie Fundstücke. "Mother and Neighbours" gehört zu einer Serie von collagierten Bildfragmenten über Kindheit und Heimat, die auf Polaroids basiert.
Bild: Zhang Xiao
Liang Xiu, Fringe of Society, Male Roles, Female Roles, 2016
Die junge Fotografin Liang Xiu (geb. 1994) rückt mit ihren Bildern die Ränder der Gesellschaft in den Fokus - fern der großen Städte. Sie stellt Fragen nach der Rolle der Frau und nach sexueller Orientierung,sie thematisiert ökonomische Ungleichheit und irritiert kokett, ironisch und kritisch mit ihren Bildern von unangepassten, empfindsamen Individuen.
Bild: Liang Xiu
Gao Mingxi, Cain & Abel #2, 2016
Die Fotografien von Gao Mingxi (geb. 1992) sind künstlerische Kompositionen, die wie Zeichnungen oder Gemälde wirken, auch weil sie mehr der Vorstellungskraft des Künstlers entspringen als einer beobachteten Realität. Inhalte und Motive sind Mythen, Märchen und literarischen Überlieferungen der Religionen entliehen. Bei "Cain & Abel" liegt sein Interesse auf der Analyse der menschlichen Natur.
Bild: Gao Mingxi
Ren Hang, Untitled 22, 2012
Ren Hang (1987 – 2017) erzählt in seinen Farbfotografien vom Gefühlsleben seiner Generation. Sie handeln von jungen Frauen und Männern, von Freundschaft, Liebe, Angst und Einsamkeit. Mit der Inszenierung ihrer Nacktheit und seiner Darstellung der Geschlechterrollen rührt er an Tabus der traditionalen chinesischen Gesellschaft.
Bild: Ren Hang and Blindspot Gallery
Ren Hang, Untitled 10, 2011
Ren Hang hat sich im Alter von 29 Jahren selbst getötet. Da war er schon einer der außergewöhnlichsten jungen Fotografen Chinas mit Einzelausstellungen in der ganzen Welt: New York, Los Angeles, Tokyo, Amsterdam oder Leipzig. In seinen Fotos arrangiert er meist nackte Körper, einzeln, zu mehreren nebeneinander oder übereinander liegend in merkwürdigen Posen, im Freien, aber auch in Innenräumen.
Bild: Ren Hang
Chen Wei, In the Waves #2, 2013
In großformatigen Farbfotografien sucht Chen Wei (geb. 1980) die Gedanken und Gefühle seiner Generation auszudrücken. Sorgfältig über lange Zeit inszeniert, surreal in Licht und Farben, erschafft er fiktive Gegenwelten, nächtliche Fluchtorte der Sehnsucht. Er erfindet Räume und inszeniert sie in einem Filmstudio, bittet seine Darsteller zu posieren, zu übertreiben, als seien sie berauscht.
Bild: Chen Wei
Chen Wei, Dance Hall (Blueness), 2013
Chen Wei arrangiert eine Stimmung der Melancholie und Vereinzelung. Diese teils deprimierenden Situationen entsprächen den Erfahrungen der jungen Menschen, sagt der Künstler. Der leere Raum von "Dance Hall" erscheint wie ein Bühnenbild, wie eine verlassene Szene, die in der Abwesenheit von Menschen eine eher unheimliche Atmosphäre ins Bild setzt.
Bild: Chen Wei
10 Bilder1 | 10
In Bayern mit seinen vergleichsweise strengen Corona-Regeln durften als erste Kultureinrichtungen ab Mitte Mai Museen wieder öffnen. In der Alexander Tutsek Stiftung ist jetzt mit "About Us" junge Fotografie aus China zu sehen, mit Werken international bekannter Künstler wie Chen Wei, Ren Hang oder Yang Fudong und außerhalb Chinas noch weitgehend unbekannten Arbeiten wie die von Gao Mingxi oder Liang Xiu.
Siebzig Fotografien aus den letzten zwanzig Jahren von vierzehn chinesischen Künstlerinnen und Künstlern präsentiert die Schau, Fotografie, mit denen sie auf den radikalen Wandel der chinesischen Gesellschaft reagieren. Die Themen dieser neuen Generation von Künstlerinnen und Künstlern kreisen um Selbstwahrnehmung, subjektive Erfahrungen und alltägliche Lebensformen. Es geht um Erinnerung und Geschichte, Melancholie und Widerstand, Traum und Vision, Körper und Individualität - und der allen gemeinsame Nenner ist die Suche nach der eigenen Identität. Wie kann man in einem Land, das sich so rasant verändert wie China, sich selbst verankern?
Selbstinszenierung zwischen Depression und Coolness
Die Fotos zeigen Wunschvorstellungen und Ängste, Isolation und Lebenslust, Neugierde und Depression, sie zeugen von Coolness und Konfusion ihrer Autoren. Die Kunsthistorikerin Aysegül Cihangir, die an der von der von Dr. Eva-Maria Fahrner-Tutsek, der Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, kuratierten Ausstellung mitgewirkt hat, betont die nicht-dokumentarische Selbstinszenierung, die in vielen Bildern zu beobachten ist. "Menschen werden arrangiert, mal in der Natur, mal im Stadtraum, dann in Innenräumen und dann gibt es auch einzelne Portraits wie in einer Studiosituation." Auch das Titelbild zeige einen jungen Mann, der sich selbst inszeniert, in einem Kostüm mit Perücke und einem schönen Ring am Finger.
Geradezu körperlich spiegeln sich die komplexen Gefühls- und Erfahrungswelten einer jüngeren Generation in den Fotografien des Künstlers und Lyrikers Ren Hang, der seine Landsleute mit Aktbildern provozierte. Er war schon ein international etablierter Künstler, als er sich 2017 in Peking mit nur 29 Jahren das Leben nahm. Aktuell widmet ihm auch das italienische Centro Pecci in der Nähe von Florenz eine Ausstellung. Seine extrem durchkomponierten Bilder von meist nackten Menschen in akrobatischen und verrenkten Posen wurden oft zensiert. Sie zeigen rebellische Jugendliche, die sich mit ihren Körpern und ihrer Sexualität den Normen und Kontrollzwängen der chinesischen Gesellschaft verweigern.
Erinnerungen dokumentieren
Andere Künstler erzählen stiller vom sozialen Wandel, indem sie wie beispielsweise Zhang Xiao versuchen, persönliche Erinnerungen festzuhalten und so das verschwindende kulturelle Erbe zu dokumentieren. Ob aber in dokumentarisch anmutender Schwarz-Weiß-Ästhetik oder als dramatische Inszenierung in Farbe, aus allen Bildern sprechen die Lebenserfahrungen der Kunstschaffenden selbst.