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KonflikteEuropa

Ausländische Kämpfer unterwegs in die Ukraine

Robert Mudge
12. März 2022

Schätzungen zufolge sind Tausende ausländischer Staatsbürger dem Aufruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gefolgt, die Ukraine zu verteidigen. Was für Auswirkungen könnte das haben?

Ehemalige britische Armeeangehörige auf dem Weg in die Ukraine
Ehemalige britische Armeeangehörige auf dem Weg in die UkraineBild: Kai Pfaffenbach/REUTERS

Am 27. Februar, als der Krieg in der Ukraine gerade drei Tage alt war, rief der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter ausländische Staatsbürger dazu auf, die Ukrainer in ihrem Kampf gegen die russische Armee zu unterstützen.

Zuvor hatte sich das Präsidialamt ähnlich geäußert. Am 5. März gab es die Einrichtung einer Website bekannt, die ausländische Staatsangehörige durch das Bewerbungsverfahren für den Beitritt zur Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine führt.

Wie viele ausländische Kämpfer gibt es schon?

Es ist schwierig, an zuverlässige Zahlen zu kommen, doch es wird davon ausgegangen, dass sich bereits Tausende ausländischer Staatsbürger dem Kampf in der Ukraine angeschlossen haben.

"Grobe Schätzungen gehen von etwa 20.000 Personen aus, in der Mehrzahl Europäer und Nordamerikaner. 500 kommen aus Belarus und auch einige japanische Freiwillige sind dabei", sagt Ed Arnold, Forschungsbeauftragter für Europäische Sicherheit am Royal United Services Institute, einer in London ansässigen Denkfabrik, zur DW.

The Kyiv Independent, ein englischsprachiges Medienunternehmen in der Ukraine, veröffentlichte am 7. März auf Twitter ein Bild von Kämpfern mit dem Hinweis, dass Freiwillige aus den USA, Großbritannien, Schweden, Litauen, Mexiko und Indien bei Kiew im Einsatz seien.

Verschiedenen deutschen Medien zufolge sollen bereits bis zu 1000 deutsche Staatsbürger in die Ukraine gereist sein. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums: "Dem Bundesministerium der Verteidigung liegen hierzu im Sinne Ihrer Anfrage keine Erkenntnisse vor."

Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch unterstrich Maximilian Kall, Sprecher für das Bundesinnenministerium, dass er die Zahl 1000 nicht bestätigen könne: "Innerhalb des Schengenraums können die Menschen ungehindert reisen. Wir gehen davon aus, dass es sich um Ukrainer oder Menschen mit mindestens einem deutsch-ukrainischem Hintergrund handelt." Im Hinblick auf Bedenken, dass sich deutsche Rechtsextreme an Kämpfen beteiligen könnten, versicherte Kall: "Die Sicherheitsbehörden haben das sehr genau auf dem Schirm. Sie versuchen durch gezielte Maßnahmen, Ausreisen zu verhindern. Wir wissen nur von einer sehr kleinen, einstelligen Zahl von deutschen Rechtsextremisten, die ausgereist sind."

Hintergrund und Erfahrung

Wer sind nun diese Ausländer, die sich dem Krieg anschließen wollen? Was für einen persönlichen Hintergrund haben sie? Auch wenn überall der Begriff "ausländische Kämpfer" verwendet wird, ist es doch zutreffender, sie als Freiwillige zu bezeichnen. "Sie sind zunächst einmal ausländische Freiwillige, weil sie sich einem Staat anschließen, einer staatlichen Mobilisierung. Ein ausländischer Kämpfer ist jemand, der sich einem Aufstand anschließt, einer Rebellion durch nichtstaatliche Akteure", führt Kacper Rekawek, Postdoktorand am Zentrum für Extremismusforschung (C-REX) in Oslo, gegenüber der DW aus.

Was ihren persönlichen Hintergrund betrifft, so sieht der sehr unterschiedlich aus. Einige derer, die sich für den Kampf melden, verfügen nur über wenig oder überhaupt keine militärische Erfahrung. "Ich schaue mir manche dieser Gruppen an und sehe darunter Jungs, die absolut unerfahren sind", meint Rekawek.

Wer keine militärische Erfahrung vorweisen kann, wird vermutlich mit logistischen Aufgaben wie dem Transport von Nachschub oder Personal an die Front betraut. "Jemand mit einem Führerschein der Klasse C ist wahrscheinlich als LKW-Fahrer von größerem Nutzen als im Kampf an der Front. Wo sie hinkommen, hängt davon ab, wo die ukrainischen Einheiten mit ihnen aufgestockt werden können. Das Problem dabei ist, dass die meisten natürlich kein Ukrainisch sprechen, also packt man sie nach Nationen in Teams. Alle Freiwilligen aus Großbritannien bilden dann zum Beispiel eine britische Einheit", so Arnold. 

Für die Ausbildung bleibt nur wenig ZeitBild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance

Wie gut ausgebildet die freiwilligen Kämpfer sind, unterscheidet sich ebenfalls von Fall zu Fall. Es wird Freiwillige geben, die keinerlei militärische Erfahrung haben und sich innerhalb weniger Tage die Grundlagen zum Beispiel im Umgang mit Waffen aneignen müssen. Aber auch für kampferprobte Veteranen dürfte dies eine völlig neue Erfahrung werden.

"Hier handelt es sich um einen Konflikt zwischen zwei Staaten. Ich habe von Veteranen vor Ort gehört, die sagen, dass sie in vier Tagen mehr Munition verschossen haben als in vier kompletten Einsätzen im Irak und in Afghanistan. Mit dieser Art von Konflikt sind sie nicht vertraut", sagt Arnold, der selbst als Infanterieoffizier in der britischen Armee in Afghanistan diente.

Gibt es eine Eignungsprüfung?

Auch unter idealen Umständen ist es schwierig, Menschen, die der Armee beitreten wollen, gründlich zu überprüfen. Mitten in einem Krieg ist es nahezu unmöglich. "Die Ukraine hat nicht 20 Millionen Offiziere zur Verfügung, die auf sie warten. Aber es gibt Abläufe und ich denke, die laufen auch nach der Ankunft der Freiwilligen in der Ukraine weiter. Sie werden vor Ort beobachtet, denn das Letzte, was die Ukrainer brauchen können, sind Ausländer, die Unruhe stiften", betont Rekawek, der zu westlichen Extremisten in der Ukraine geforscht und viel zum Thema veröffentlicht hat.

Diese Sorge rührt aus der jüngeren Geschichte und den Erfahrungen der Ukraine. Die Anwesenheit ausländischer Kämpfer, auch solcher mit einem extremistischen Hintergrund, ist für das Land nichts Neues. Seit 2014 haben Schätzungen zufolge mehr als 17.000 Kämpfer aus über 50 Ländern sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite am Krieg im Donbass teilgenommen.

Rekawek macht jedoch klar, dass die Lage diesmal etwas anders ist. Zwar ist es wichtig, nachrichtendienstlichen Hinweisen zu Einzelpersonen mit extremistischem Hintergrund nachzugehen, die sich möglicherweise auf eine Reise ins Kriegsgebiet vorbereiten. Doch die Situation vor Ort zeichnet ein anderes Bild. "Vom Asow-Regiment [einer rechtsextremen paramilitärischen Gruppe] selbst habe ich gehört, dass 20 Leute von Asow für den Einsatz an der Front vermittelt wurden. Also 20 der 20.000 ausländischen Staatsangehörigen, die anscheinend unterwegs sind", unterstreicht Rekawek.

Bereit, ihr Leben zu riskieren: Freiwillige Kämpfer für die Ukraine Bild: Abdulhamid Hoşbaş/AA/picture alliance

Die Art des Konflikts, ein Krieg zwischen zwei Staaten, hat auch einen Einfluss darauf, wer bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen. "Die Fähigkeiten, die jetzt in der Ukraine am meisten gefragt sind, setzen eine militärische Ausbildung, Kenntnisse im Umgang mit spezieller Ausrüstung oder der Organisation von zivilem Widerstand voraus. Ich denke, dass Personen, die diese Fähigkeiten besitzen und bereit sind, ihr Leben zu riskieren und in die Ukraine zu reisen, eher nicht zu extremistischen Überzeugungen neigen", erklärt Egle E. Murauskaite, leitende Wissenschaftlerin und Simulationsentwicklerin für das ICONS-Projekt an der Universität von Maryland, per E-Mail gegenüber der DW.

Ist das legal?

Eine Frage taucht dabei immer wieder auf: Dürfen sich ausländische Freiwillige rechtlich überhaupt den Kämpfen anschließen? In den vergangenen Tagen haben mehrere europäische und baltische Staaten wie Litauen und Lettland gesetzliche Notfallmaßnahmen verabschiedet, die es Einzelpersonen ermöglichen, sich dem Krieg anzuschließen.

"Die Ukraine hat zudem vor einigen Jahren Vorschriften erlassen, dank derer ausländische Kämpfer innerhalb weniger Monate nach Antragstellung die ukrainische Staatsbürgerschaft zuerkannt bekommen und so ganz offiziell als Ukrainer auf ukrainischer Seite kämpfen können", erklärt Murauskaite, die sich gegenwärtig in Litauen aufhält, wo sie für komplexe politisch-militärische Krisensimulationen in Europa zuständig ist.

Die Position der britischen Regierung ist weniger eindeutig. Außenministerin Liz Truss äußerte kürzlich, die Menschen könnten "ihre eigenen Entscheidungen treffen". Nur kurz darauf wies der frühere Generalstaatsanwalt Dominic Grieve jedoch darauf hin, dass eine solche Teilnahme durch ein Gesetz von 1870 verboten sei, das das Verhalten britischer Staatsbürger bei Kriegshandlungen in anderen Ländern regelt. Zum Glück für die etwa 3000 Briten, die von 1936 bis 1939 im spanischen Bürgerkrieg kämpften, wurde dieses Gesetz damals jedoch ignoriert.

Gegenüber der DW bekräftigt ein Sprecher des britischen Außenministeriums mit Blick auf die aktuelle Situation: "Wir raten davon ab, in die Ukraine zu reisen. Jeder, der in Konfliktgebiete reist, um dort illegalen Aktivitäten nachzugehen, muss bei seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich damit rechnen, dass Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden."

Für Rückkehrer könnten bestimmte Gesetze gelten, abhängig davon, wie sie sich während ihres Aufenthalts in der Ukraine verhalten haben, erklärt Arnold: "Das wird jedoch keine Abschreckungswirkung haben. Diese Leute sind der Überzeugung, dass sie nicht strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie dorthin gehen und eine Arbeit leisten, die im Großen und Ganzen der politischen Linie ihres Landes folgt. Oder dass die Strafe nicht sehr hoch ausfällt, wenn sie denn belangt werden."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

 

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