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PolitikEuropa

Journalisten-"Safari" an Polens Ostgrenze

Agnieszka Hreczuk Szudzialowo
27. Januar 2022

Seit Monaten ist die polnische Seite der Grenze zu Belarus für Ortsfremde, Flüchtlingshelfer und Medien tabu. Jetzt durften erstmals wieder Journalisten in die Sperrzone - bewacht von Grenzschützern. Die DW war dabei.

Polen | Sperrzone  an der Grenze zu Weißrussland
Polnische Grenzschützer und Journalisten unterwegs in der Sperrzone an der Grenze zu BelarusBild: Agnieszka Hreczuk/DW

Auf der Hauptstraße von Szudzialowo laufen Soldaten zwischen dem Dorfladen und zwei Containerlagern hin und her wie auf einer Ameisenstraße. Einige tragen Sturmhauben. In den Händen halten sie Tüten mit Brötchen oder Cola. Die Waffen der Uniformierten lassen Besucher leicht erschaudern.

Die Einheimischen haben sich nach fünf Monaten an den Anblick gewöhnt, sagt Hania, die in einem Nachbardorf lebt. "Am Anfang habe ich das mit Krieg in Verbindung gebracht, aber jetzt reagiere ich gar nicht mehr." Manche Nachbarn fühlten sich sogar sicherer, seit die Soldaten hier seien, meinen, diese könnten sie verteidigen. Gegen wen? Gegen Migranten. Oder gegen Lukaschenko. Oder Putin. Egal, Hauptsache ist: Die Einheimischen fühlen sich beschützt.

Im Fenster des Gesundheitszentrums hängt der kurze Slogan "Danke". Jeder hier weiß, wem das gilt. Daneben, an einem Zaun in der Dorfmitte, hängt ein Transparent mit der Aufschrift "#muremzamundrem". Das heißt auf Deutsch "Wir stehen hinter Euch wie eine Mauer". Gemeint sind die Soldaten.

Szudzialowo ist ein Dorf im Osten Polens, ein knappes Dutzend Kilometer entfernt von der Grenze zu Belarus. Gleich hinter dem Ort beginnt die Sperrzone, in der seit dem 2. September 2021 Ausnahmezustand herrscht. Seitdem darf die Gegend nur noch von Anwohnern, Versorgungsunternehmen, Rettungsdiensten, Polizei und Militär betreten werden. Flüchtlingshelfern, Journalisten und humanitären Organisationen einschließlich des Roten Kreuzes ist der Zutritt untersagt.

"Embedded" in die Sperrzone

Immerhin: Seit Anfang Dezember 2021 lassen die Behörden wieder Medienvertreter zu "journalistischen Besuchen" in das Ausnahmezustandsgebiet an der Grenze zu Belarus. Polnische Journalisten, die die Region derart "embedded" besucht haben, sprechen von einer "Safari": einer streng kontrollierten Tour mit festgelegter Route, bei der die Teilnehmenden das Grenzgebiet durch das Autofenster "kennenlernen" dürfen. Wir fahren mit.

"Wir bedanken uns für euren Dienst und den Schutz unserer Grenze" steht auf diesem Plakat in SzudzialowoBild: Agnieszka Hreczuk/DW

In Szudzialowo erhalten wir Ausweise, die es uns erlauben, uns zu einer bestimmten Zeit und nur in Begleitung polnischer Grenzschützer in der Sperrzone aufzuhalten. Dann steigen wir in einen Militärjeep. Der rast über Landstraßen, quer durch gefrorene Felder, als ob wir verfolgt würden. Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten hier offenbar so wenig wie andere Verkehrsregeln. Der uniformierte Fahrer trägt eine Maske über dem Gesicht und bleibt die ganze Fahrt über stumm. Wenn wir Fragen stellen, verweist er auf die Pressesprecherin des Grenzschutzes, die in einem Jeep sitzt, der vor unserem fährt.

Vom Stacheldraht- zum Hochzaun

Die Sprecherin entscheidet, wo wir halten und was wir sehen werden. Erste Station: Soldaten stehen auf einem Feld vor einem Stacheldrahtzaun. Früher, so die Sprecherin, habe man an der Grenze keine derartigen Sperranlagen gebraucht, weil man gut mit den belarussischen Grenzern zusammengearbeitet habe. In einem privaten Gespräch erzählt sie sogar von gemeinsamen Kanufahrten. Aber jetzt würden die Kollegen auf der anderen Seite zusammen mit Migranten Drahtabsperrungen durchschneiden und polnische Soldaten mit Spiegeln blenden, um illegale Grenzübertritte zu ermöglichen. Daher werde der Stacheldrahtzaun bald durch einen Hochzaun ersetzt.

Soldaten vor dem Stacheldrahtzaun nahe der Ortschaft Usnarz GornyBild: Agnieszka Hreczuk/DW

Dieser Hochzaun, im Volksmund "die Mauer" genannt, ist seit dem 24. Januar 2022 offiziell im Bau. Er soll aus fünf Meter hohen, mit Stacheldraht versehenen Pfosten bestehen und mit Bewegungsmeldern und Infrarotkameras ausgestattet werden. Die Kosten für die 180 zu befestigenden Kilometer belaufen sich auf ca. 355 Millionen Euro. Umweltschützer und Anwohner protestieren längst gegen die Anlage, denn der Zaun wird den Urwald an der Grenze durchschneiden - und damit den Lebensraum vieler wilder Tiere zerteilen.

Mitteilungen an die Migranten

Wir halten vor einem Auto, das mitten in einem Feld steht. Aus dem Lautsprecher auf dem Dach erschallen auf Englisch, Französisch, Arabisch und einem kurdischen Dialekt immer wieder Mitteilungen. Die Migranten auf der belarussischen Seite der Grenze seien betrogen worden. Der Grenzübertritt nach Polen sei strafbar. Sie sollten in Belarus' Hauptstadt Minsk zurückkehren.

Die Reste des Lagers der afghanischen Flüchtlinge nahe Usnarz GornyBild: Agnieszka Hreczuk/DW

Wir erreichen Usnarz Gorny. In der Nähe dieses Dorfes kampierten Flüchtlinge aus Afghanistan im Sommer 2021 zwei Monate lang auf der belarussischen Seite der Grenze - auf beiden Seiten blockiert von polnischen und weißrussischen Beamten. Sie wurden von Aktivisten und Anwälten unterstützt, beantragten Asyl, wurden aber nicht auf polnisches Territorium gelassen.

Angst vor dem Grenzschutz

Geblieben sind Überreste des wilden Lagers: Zelte, Decken, Taschen. Aufgeräumt wurde hier nicht. "Das dürfen wir nicht, die Sachen sind auf der belarussischen Seite", erklärt die polnische Polizeisprecherin. So wurde auch im Sommer 2021 argumentiert, um zu erklären, warum Polen den Menschen im Wald nicht helfen konnte.

Jeeps des polnischen Grenzschutzes in der Sperrzone an der Grenze zu BelarusBild: Agnieszka Hreczuk/DW

Jetzt ist es hier menschenleer. "Eines Tages waren sie weg, wahrscheinlich wurden sie von weißrussischen Behörden abgeholt", vermutet die Polizeisprecherin. Im Oktober 2021 berichtete der polnische Grenzschutz, eine Gruppe Afghanen hätten den Zaun nach Polen durchbrochen und seien festgenommen wurden.

Nach Angaben von Aktivisten wurde Pfefferspray gegen die Migranten eingesetzt. Dann sollen sie nach Weißrussland zurückgetrieben worden sein. Was weiß die Polizeisprecherin? "Jeder, der Hilfe braucht, wird sie bekommen", sagt sie auf unsere Frage hin, "und jeder, der einen Asylantrag stellen will, kann das tun".

Agata Ferenc lächelt ironisch, als wir ihr von der Aussage der Sprecherin erzählen. Die Frau mit den braunen Dreadlocks arbeitet für die Stiftung Ocalenie (Rettung), die sich für Flüchtlinge einsetzt. Sie war in Usnarz Gorny, bevor das Gebiet gesperrt wurde. Seitdem versucht sie mit einigen Mitstreitern, von außerhalb der Zone zu helfen.

Nach wie vor erhalten die Flüchtlingshelfer pro Tag etwa ein Dutzend Anrufe von Hilfsbedürftigen, die irgendwo an der Grenze festsitzen. "Zuerst bitten sie uns meistens, nicht den Grenzschutz zu informieren", berichtet Agata Ferenc. "Sie wissen, dass die Grenzer sie zurück nach Belarus schicken, wenn sie sie finden."