Auf literarischer Mission
26. Dezember 2002Günter Grass ist begeistert. In Jemen erlebt der Schriftsteller regelrechte Glücksmomente: "Diese Mischung aus wunderbarer Landschaft und Einöde und dann wieder fruchtbare Täler. Überall Reste alter und erhaltene Kultur. Und dann die Menschen, die Offenheit in den Gesichtern, die Individualität in den Gesichtern, das sind ja alles Dinge gegen unsere Vorstellungen, die wir von den Fundamentalisten übernommen haben - als sei das eine feindliche Masse, als finde ein Kampf der Kulturen statt. Das ist absolut nicht der Fall," schwärmt Grass.
Allah und Günter Grass
Mit dem Jemen hat sich Grass kein einfaches Land ausgesucht: Das arabische Land zählt zu den zehn ärmsten der Welt. Günter Grass mit seinem Namen für den guten Ruf des Jemen einsetzen. Nicht einfach, denn der Jemen gilt als Operationszentrum des Terrornetzwerkes Al Quaida. Doch Grass will den Austausch. Und so hat man ihn noch nie gesehen: begeistert, geradezu euphorisch, tanzt er in Jemens Hauptstadt Sana'a. "Im Namen Allahs - willkommen sei Günter Grass", tönt es aus einer Moschee. Und wie der allerhöchste Staatsgast wird Grass hofiert und mit allen erdenklichen Ehren überschüttet.
Einsatz für die Meinungsfreiheit
Doch es gibt einen kleinen Eklat: Der Gastgeber, Staatspräsident Ali Abdallah Saleh, will ihm den höchsten Orden der Republik Jemen an die Brust heften. Doch Grass durchbricht alle Vorschriften des Protokolls. Er fällt dem Staatspräsidenten ins Wort - und setzt sich für einen Autor ein, der den Jemen verlassen hat, weil er sich bedroht fühlt: "Ich weiß, es gibt ein Gerichtsurteil gegen diesen Autor und gegen dieses Buch. Aber, Herr Präsident, Gerichtsurteile sind eine Sache. Die Literatur hat auf Dauer gesehen den längeren Atem."
Grass brüskiert seine Gastgeber - und kommt doch mit seiner schonungslosen Offenheit gut an. Als Gast kann er die Dinge aussprechen, die die Künstler vor Ort so nicht sagen können. Der politisch engagierte Schriftsteller spricht aus Erfahrung: "Ich habe das früher in den Ostblockländern erlebt. Wenn ich eingeladen war, habe ich Dinge ausgesprochen, die sie nicht aussprechen konnten. Aber die wurden dann gesagt."
Tabuthemen in der Diskussion
Doch manche arabische Schriftsteller begreifen das Vorgehen der angereisten deutschen Delegation allerdings als Bevormundung und Schulmeisterei. Drei Tage lang diskutierte Grass mit arabischen Autoren, darunter auch mit bekennenden Islamisten. Als Grass erklärt, man könne sowohl Freund der Araber als auch ein Freund Israels sein, erhebt sich feindliches Zischeln und wütender Protest. Der Anti-Zionismus gehörten zu den festen Riten der arabischen Rhetorik, auch und gerade unter den Intellektuellen.
Grass fordert ebenso die Trennung von Kirche und Staat und eine offene Diskussion über Erotik und Sexualität. Er will offen über den Körper diskutieren, über Pornographie und Blasphemie - und stößt auf Widerspruch. So springt die Diskussion hin und her. Und doch: der Dialog gelingt und hat fruchtbare Konsequenzen: Jemenitische und deutsche Schriftsteller werden in kürze einen Austausch beginnen, über das Literarische Kolloquium in Berlin.
Rückkehr garantiert
Günter Grass möchte wieder in den Jemen zurückkehren - zu einem Kongress über die Probleme wiedervereinigter Länder. Denn auch der Jemen hat 1990 seine Wiedervereinigung erlebt. Bis dahin war er in einen Nord- und einen Südteil gespalten. In mancher Hinsicht, so erklärt man Grass, sei die Einheit dort heute besser verwirklicht als in Deutschland.
Eins aber hat sich auf dieser Reise mit Sicherheit gezeigt: der Jemen ist nicht allein der Staat ohne Recht und Gesetz, als der er zuweilen dargestellt wird. Es ist vielmehr ein zauberhaftes, großartiges Reiseland, mit einer alten Kultur, in der Bauwerke geschaffen wurden, die zu den sieben Weltwundern der Antike gehörten. Der Staat Jemen lässt sich nicht auf die Basis für Al Quaida Kämpfer reduzieren. Und Günter Grass will von nun an die Trommel rühren, damit der Westen das Land endlich zur Kenntnis nimmt.