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Politik

Auf Patrouille im Grenzland zu Belarus

27. Juli 2021

Immer mehr Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten kommen illegal über Belarus nach Litauen. Das EU-Land ist zunehmend überfordert. Aus der Grenzregion berichtet Alexandra von Nahmen.

Litauen Grenzschutz
DW-Reporterin Alexandra von Nahmen mit den litauischen Grenzbeamten Vitautas und Justas an der belarussischen GrenzeBild: Alexandra von Nahmen /DW

Litauen meldet Flüchtlingsnotstand

03:21

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Vorsichtig tastet sich Justas durch das Unterholz. Über das Gesicht hat er sich eine braune Ski-Mütze gezogen; mit der Taschenlampe leuchtet er in den dunklen Wald hinein. Seit Stunden schon ist der 22-jährige Grenzschützer mit einem Kollegen auf Patrouille.

"Vor drei Tagen wurde der Zaun hier durchgeschnitten", sagt Justas, "um so einfacher die Grenze zu überqueren." Eigentlich wollten die Grenzschützer an diesem Abschnitt nur kurz anhalten. Dann aber hörten sie ein lautes Rascheln im Unterholz. Nun wartet Vitautas im Wagen, während Justas die Gegend zu Fuß durchforstet. Aber es bewegt sich nichts mehr.

An der Grenze herrscht Funkstille

Über fast 680 Kilometer verläuft Litauens Grenze zu Belarus. An manchen Stellen trennt die beiden Länder lediglich ein niedriger Holzzaun oder gar nur ein überschaubarer Wassergraben. Den zu überwinden scheint ein Kinderspiel.

Früher war die Grenze zu Belarus vielerorts kaum bewacht. Doch mittlerweile hat Litauen damit begonnen, aufwändigere Grenzzäune zu bauen.Bild: Janis Laizans/REUTERS

Bisher war dies kein großes Problem für Litauen. Gerade mal 79 Menschen überquerten nach offiziellen Angaben 2020 illegal die Grenze - es waren vor allem Belarussen, die vor dem Lukaschenko-Regime flohen. In diesem Jahr sind es bereits mehr als 2500 Menschen - und sie stammen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak oder aus afrikanischen Staaten. Die meisten von ihnen kamen in den letzten zwei Monaten.

Erst am Vortag haben die litauischen Grenzschützer in diesem Abschnitt sechs Personen festgenommen. Die Bilder der Überwachungskamera zeigen, wie sich die illegalen Grenzgänger gegenseitig helfen, über den Zaun zu springen, und kurz danach Rast machen. Sichtbar ist auch ein Mann auf der anderen Seite, höchstwahrscheinlich ein belarussischer Grenzbeamter, der der Gruppe Handzeichen gibt, als sich eine litauische Patrouille der Stelle nähert.

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel machte sich vor wenigen Wochen selbst ein Bild der Lage vor Ort.Bild: Petras Malukas/AFP/Getty Images

"Früher haben wir mit den belarussischen Grenzschützern gut zusammengearbeitet", erzählt Justas. "Jetzt aber ignorieren sie uns einfach. Früher haben wir Informationen geteilt, die wir bei unseren Patrouillen gesammelt haben. Jetzt herrscht häufig Funkstille."

Lukaschenkos Rache an der EU?

Litauens Regierung macht Belarus und seinen autoritären Herrscher Alexander Lukaschenko für den sprunghaften Anstieg der illegalen Migration an der Grenze verantwortlich. Lukaschenko wolle sich für die EU-Sanktionen gegen sein Regime rächen, heißt es in Vilnius.

Es gebe Augenzeugenberichte über Uniformierte ohne Abzeichen, die den Menschen vor ihrem Grenzübertritt die Pässe abnehmen, die Daten in ihren Handys löschen, und sie dann an die Grenze führen, sagt Mantas Adomènas, Litauens stellvertretender Außenminister, gegenüber der DW.

Belarus lässt Migranten nach Litauen passieren: Gespräch mit Jakob Wöllenstein, KAS

04:20

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Sein Land könne höchstens 5000 Menschen aufnehmen. "Natürlich wollen wir ihnen nicht erlauben, weiter nach Westen zu reisen. Ihr Ziel ist ja meist Deutschland. Aber wenn die Zahlen steigen, werden wir nicht genug Kapazitäten haben. Wir werden sie gehen lassen müssen", so Adomènas. Eine erstaunlich deutliche Warnung an andere EU-Länder.

Die Stimmung wird aggressiv

Die Stimmung in der litauischen Bevölkerung werde zunehmend kritisch und sogar ausländerfeindlich. Das beobachtet Leva Čičelyte, die als Projektleiterin der Caritas seit fünf Jahren mit Flüchtlingen und Migranten in der Grenzregion arbeitet. "Die Einheimischen denken, da kommen Terroristen zu uns."

Warum Menschen aus dem Irak, Afghanistan oder dem Kongo nach Litauen kommen, verstehen auch die Grenzschützer Justas und Vitautas nicht. Vor allem können sie nicht nachvollziehen, wie man sich mit Kindern auf so eine gefährliche Reise begeben kann. Die beiden haben ihren Wagen auf einem Hügel geparkt. Von dort aus suchen sie mit Hilfe von Nachtsichtgeräten die Gegend ab.

"Die Leute sagen, sie wollen ein besseres Leben. Aber in Wahrheit wollen sie nur Geld", sagt Vitautas, der seit sechs Jahren beim Grenzschutz arbeitet. Das sei seine persönliche Meinung, fügt der 29-Jährige hinzu. Dabei haben viele der Flüchtlinge selbst viel Geld gezahlt, um sich von Schleusern an die litauisch-belarussische Grenze bringen zu lassen. 

An der zunehmend ausländerfeindlichen Stimmung im Land seien auch die Politiker schuld, sagt Leva Čičelyte sichtlich bewegt. "Sie stellen die ganze Sache nur negativ dar, anstatt uns Mut zu machen." Erst am vergangenen Wochenende demonstrierten Bewohner eines Grenzortes gegen die Errichtung eines neuen Heims für Geflüchtete.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben

In Rukla, einem kleinen litauischen Städtchen am Flussufer der Neris, gibt es schon länger eine Flüchtlingsunterkunft - Auffangstelle für die, die es über die Grenze geschafft haben. Von außen wirkt die Anlage eher trostlos. Ein paar Kleinkinder spielen hinter dem Tor. Ein Familienvater aus dem Irak, der gemeinsam mit seinem Sohn die Reise antrat, erzählt, er hätte 1200 Dollar für einen Flug nach Minsk und eine Hotelunterkunft bezahlt. Von Minsk aus ging es weiter an die litauische Grenze. Nun stecke er hier fest.

Vorläufige Endstation Vydeniai - Viele Flüchtlinge sitzen in Flüchtlingslagern wie diesem in Litauen fest und wissen nicht, wie es weitergehen sollBild: Mindaugas Kulbis/AP Photo/picture alliance

Ein anderer Mann – er sagt, er komme ursprünglich aus Bagdad – schildert, wie er in einer größeren Gruppe nachts die Grenze überquerte. Irgendwann sagten die Belarussen, die sie führten: "Da ist Litauen. Rennt!" Ob die Männer Uniformen trugen? "Nein", sagt der Iraker, "sie haben Zivilkleidung getragen. Ihre Gesichter konnte ich nicht erkennen", fügt er hinzu.

Die Zwölf-Stunden-Schicht der beiden Grenzschützer Justas und Vitautas neigt sich langsam dem Ende zu. Im Morgengrauen steigt Nebel auf entlang ihrer Patrouillenroute. Worauf es jetzt ankomme? "Wir sind hier, um die EU-Außengrenze zu sichern", sagt Justas entschlossen und seufzt. Morgen wird er wieder die Nachtschicht übernehmen.