Schlaganfälle und Demenz
10. Mai 2019"Je häufiger ein Mensch einen Schlaganfall erleidet, desto größer ist das Risiko, dass er an vaskulärer Demenz erkrankt", sagt Professor Wolf-Rüdiger Schäbitz, Neurologe am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Typisch für eine vaskuläre Demenz ist, dass der Patient nach einem Schlaganfall Gedächtnisstörungen hat, kognitive Einschränkungen oder auch unter Konzentrationsschwierigkeiten leidet.
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Schlaganfall nach Schlaganfall
Allein in Deutschland sind etwa 260.000 Menschen jedes Jahr betroffen. Oft bleibt es nicht bei nur einem Schlaganfall. "Das trifft auch dann zu, wenn der Betroffene optimal behandelt wird", sagt Schäbitz. "Es ist nicht selten, dass Patienten mehrere Schlaganfälle haben. Statistisch steigt damit auch das Risiko, eine Demenz zu entwickeln. Nach einem ersten Schlaganfall liegt die Wahrscheinlichkeit bei etwa zehn Prozent, nach mehreren kann sie bis auf 40 Prozent ansteigen", erklärt Schäbitz, der auch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft leitet.
Demenz ist nicht gleich Alzheimer
Bei Demenz denken die meisten wohl zu allererst an Alzheimer und daran, dass sich Demenz langsam und schleichend entwickelt. Bei Morbus Alzheimer ist das in der Tat auch so. Aber es gibt wesentliche Unterschiede zu der vaskulären Demenz, die durch einen Schlaganfall entstehen kann.
Dabei werden jeweils einzelne Bereiche des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen. Es sind Regionen, die für verschiedene Funktionen zuständig sind. Bei Alzheimer hingegen ist das gesamte Gehirn von der Degeneration betroffen.
Der "klassische" Schlaganfall
Ein Schlaganfall äußert sich vor allem durch eine halbseitige Lähmung. So kann der Betroffene eine Körperseite nicht mehr bewegen, nicht mehr steuern und auch nicht mehr kontrollieren – ein ganz typisches Erkennungsmerkmal. Ersthelfer sollten das sogenannte FAST-Schema (Face, Arms, Speech, Time) - wie im nebenstehenden Video gezeigt - anwenden, um beim Verdacht auf einen Schlaganfall keine wertvolle Zeit zu verlieren.
"Durchblutungsstörungen im Gehirn können in einer Region liegen, die beispielsweise die Motorik steuert oder die Sprache", sagt Professor Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung am Klinikum der Universität München.
Auch das Sehvermögen kann beeinträchtigt sein. Es kommt zu entsprechenden Ausfällen. "Es gibt Regionen im Gehirn, die konkret mit Gedächtnisfunktionen zu tun haben. Viele kleinere Schlaganfälle spielen sich im hinteren Teil des Gehirns ab und stören die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Hirnregionen. Zusammen bilden sie das, was wir unter geistigen Fähigkeiten verstehen", so Dichgans weiter.
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Weniger Schlaganfälle – seltener vaskuläre Demenz
Bluthochdruck ist ein wesentlicher Risikofaktor für einen Schlaganfall und damit auch für Demenz. "Nur 50 Prozent der Menschen, die Bluthochdruck haben, wissen überhaupt etwas davon. Von ihnen sind 50 Prozent in Behandlung und davon wiederum erhalten 50 Prozent eine adäquate Therapie", erläutert Dichgans. Da verschenke man natürlich ein unglaubliches Potenzial.
Das gilt sowohl für die Zahl der Schlaganfälle als auch für die Folge-Erkrankung, nämlich Demenz. Erhöhtem Blutdruck kann jeder vorbeugen: Mindestens 30 Minuten Bewegung – täglich! Vernünftige Ernährung, Übergewicht reduzieren, mit dem Rauchen aufhören. Einfache Maßnahmen, die aber höchst wirksam sind, und das ist wissenschaftlich erwiesen. Aber an entsprechender Aufklärung mangelt es noch immer.
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Es betrifft uns alle
Viele Menschen verdrängen das Thema Demenz, weil sie glauben, dass es sie - noch - nicht betrifft. Der Neurologe Dichgans widerspricht dem, und sagt, wir sollten viel aufmerksamer für die Menschen um uns herum sein. Auch er hatte ein persönliches Schlüsselerlebnis: "Ich bin einmal bei uns durch die Nachbarschaft gelaufen als ich plötzlich aus dem Fenster Hilfeschreie hörte", berichtet der Arzt. Er ist der Sache nachgegangen, und es stellte sich heraus, dass es einen Notfall in einem Haus gab, wo mehrere schwer demente Alzheimer-Patienten wohnten. "Ich wurde als Arzt kurzfristig reingebeten, um zu helfen. Da wurde mir bewusst, dass diese Probleme in unserer direkten Nachbarschaft existieren, in Häusern, an denen ich wochen- und monatelang vorbeigelaufen war."
Prävention als oberstes Gebot
Und wir werden in unserer Gesellschaft immer häufiger mit Demenz zu tun haben, denn die Bevölkerung wird immer älter. "Große Kontinente wie Asien, insbesondere Indien und China, sind zwar weit entwickelt, hinken aber teilweise erheblich hinterher, wenn es darum geht, auf den Lebensstil zu achten und auf die vaskulären Risikofaktoren", sagt Dichgans. Viele präventive Maßnahmen und Mittel stehen zur Verfügung, um die Gefäße zu schützen. Aber oftmals werden diese Möglichkeiten von Patienten, aber auch von Ärzten nicht angenommen.
"Es ist notwendig, die Öffentlichkeit und die Politik darauf aufmerksam zu machen, dass Prävention wichtig ist. Wir haben eine Verantwortung in diesem Bereich, auch in der Forschung. Wir müssen auf allen Ebenen investieren", ist Dichgans überzeugt. "Es betrifft Epidemiologie, es betrifft Grundlagenforschung, und es betrifft die klinische Forschung, Anwendungs- und Versorgungsforschung. Es werden noch enorme Probleme auf uns zukommen." Die müssen gelöst werden. Und dabei gelte: "Vorbeugen ist besser als Heilen."