So funktioniert das Rettungs-Recht
7. Januar 2014Seit Jahrtausenden fahren die Menschen zur See - und ebenso lang fährt eine gewaltige Urangst mit ihnen: Hilflos zu sein im Angesicht von Wellen, Sturm und Eis, das Ruder kaputt, das Ufer weit weg. Seit dem 20. Jahrhundert aber sind die Seefahrer nicht mehr nur in Gottes Hand: Der Funkverkehr und internationale Abkommen machen Rettungsaktionen einfacher als früher.
Gut zu beobachten ist das derzeit am Südpol: Seit Heiligabend steckt ein russisches Schiff im Eis der Antarktis fest- und nun kommt auch das chinesische Rettungsschiff nicht mehr weiter. Ein australisches Spezialschiff ist in der Nähe, ein US-amerikanischer Eisbrecher angefordert. Und die Weltöffentlichkeit drückt dem ungewöhnlichen Großmächtequartett die Handschuhdaumen.
Auf See ist Helfen Pflicht
"In der Gefahrensituation auf See hilft man sich gegenseitig", sagt der Kieler Seerechtsexperte Uwe Jenisch. "So ist es von alters her Gewohnheitsrecht in der Schiffahrt, seit der Antike eigentlich schon." Inzwischen sei das auch rechtlich festgeschrieben, erklärt der Professor am Institut für Internationales Recht im DW-Gespräch: "Es gibt das Seerechtsübereinkommen, das in Artikel 98 eine allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung in Seenotfällen formuliert."
Mehr als 160 Staaten haben diese Abmachung unterzeichnet. Schiffe mit der Flagge dieser Staaten müssen nun jedem schnelle Hilfe leisten, der in Seenot ist. Mit einer Ausnahme: Niemand muss sich und sein Schiff in Gefahr bringen, um anderen zu helfen.
Guter Brauch auf See
Was aber, wenn ein Kapitän so gewissenlos ist und einen Notruf wegen der damit verbundenen Kosten und Mühen lieber überhört? Weil jeder Umweg tonnenweise Bananen im Laderaum verfaulen lässt? Weil bei jeder Verzögerung das Forschungsprojekt platzt? Solche Fragen regelt ein zweiter internationaler Vertrag: das Abkommen SOLAS, eine Abkürzung für "Safety of Life at Sea" - "Schutz des menschlichen Lebens auf See". "Die Staaten sind demnach verpflichtet, ihren Seeleuten diese Hilfeleistungspflicht gesetzlich vorzuschreiben", sagt Jenisch. Wer nicht hilft, dem drohen hohe Strafen. "Aber abgesehen vom Rechtlichen ist es auch guter Brauch und auch selbstverständlich auf See", sagt Jenisch, der selbst lange zur See gefahren ist, "das ist so ähnlich wie beim Bergsteigen."
Dieses System selbst- und bedingungsloser Hilfe funktioniert - das zeigt ganz gut der folgende Fall, von dem 2011 das "Abendblatt" aus der alten Seefahrer-Stadt Hamburg berichtet: Ein Containerschiff, mehr als 300 Meter lang. Kapitän Georg Rohwer steuert den Giganten von Oman nach Malaysia, als er den Notruf hört: Drei Männer sind weit vor Sri Lanka in schwerste See geraten, ihre kleine Segeljacht wird nicht mehr lange schwimmen. Zwei andere Schiffe sind näher dran als Rohwers mehr als 100 Meilen entfernter Frachter. Aber die anderen Schiffe haben nicht die Technik, um die Verunglückten zu bergen. Also ändert Kapitän Rohwer den Kurs. Das Unwetter, dass die Jacht zerfetzt hat, kann ihm nicht viel anhaben - aber große Mühen und Kosten bereitet die Rettungsaktion dennoch. Als ihn die Zeitung anruft, sagt er trocken: "Ich habe nur meine Pflicht getan."
Die Seenotretter
In der Pflicht sind immer auch die Küstenstaaten. Sie müssen, so heißt es in den Abkommen, einen "wirksamen Such- und Rettungsdienst" betreiben. Deutschland hat diese Aufgabe an einen Verein übertragen, die "Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger" (DGzRS). Oder auch: "Die Seenotretter"- denn so meldet sich Sprecher Christian Stipeldey am Telefon. Er ist besonders stolz darauf, dass sein Verein zwar öffentliche Aufgaben erfüllt, aber seit der Gründung vor fast 150 Jahren ohne öffentliches Geld auskommt. Im Jahr 2012 etwa hat die DGzRS mehr als 34 Millionen Euro Spenden gesammelt.
Viel Geld, mit dem viel Gutes getan wird: Die Gesellschaft betreibt 54 Rettungswachen mit 60 Schiffen, auf allen steht "SAR" - "Search and Rescue". Zu mehr als 2000 Einsätzen rücken die Helfer Jahr um Jahr aus, mal muss gelöscht werden und mal verarztet, mal repariert und mal geborgen. Wenn es um Leib und Leben geht, ist der Einsatz für die Geretteten natürlich kostenlos - wenn die DGzRS aber wie ein Abschleppservice der Meere ausrückt und technische Hilfe leistet, dann bittet sie die Schiffseigner auch um Geld.
Gestritten wird erst nach der Rettung
Dass geholfen wird, ist also weltweit selbstverständlich. Wenn gestritten wird, dann erst hinterher - und dann meist um Geld. Seerettung ist nämlich teuer, ob nun aus Sturm oder, wie derzeit in der Antarktis, mit dem Hubschrauber aus dem Packeis.Grundsätzlich sei der Verursacher schadenersatzpflichtig, sagt Uwe Jenisch. Aber wer ist das in diesem speziellen Fall? Das russische Schiff? Die australische Firma, die es gechartert hat? "Vielleicht wird man auch an die Passagiere denken, die da diese Reise auf sich genommen haben", sagt Jenisch, als er darüber spricht, von wem die Retter sich die Kosten zurückholen könnten. "Es ist eben nicht ganz ungefährlich, in die Antarktis zu reisen." Die Havarie des russischen Schiffs und die Einsätze der Spezialschiffe aus Australien, China und den USA werden - wie viele andere Seerettungen auch - noch lange die Juristen beschäftigen.
Bald aber wird sich an den Polen der Erde ohnehin manches ändern - Grund dafür sind internationale Verhandlungen in London. "Dort ist ein 'Polar Code' in Arbeit", erzählt Jenisch, "also ein neues, internationales Regelwerk für die Schiffahrt in eisbedeckten Gebieten." Bereits 2015 sei mit schärferen Sicherheitsvorschriften zu rechnen, sagt er: "Die Schiffe müssen besser ausgerüstet sein, sie müssen Eisbrecherfähigkeiten haben, auch die Luftrettung muss organisiert werden. Das ist ja alles noch in den Anfängen, wenn man an die Arktis oder Antarktis denkt."