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Gesellschaft

Zum Abschuss freigegeben

20. November 2019

Der Umgangston in sozialen Netzwerken ist rau, das ist bekannt. Doch was rechte Akteure mittlerweile auf Twitter betreiben, geht darüber hinaus. Wer sich gegen sie stellt, hat nicht nur mit Beleidigungen zu rechnen.

Symbolbild | Twitter
Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Seit einigen Tagen geht es auf Twitter heiß her zwischen "Don Alphonso" und seinen Unterstützern auf der einen Seite und eher linksgerichteten, feministischen Usern und solchen mit Migrationshintergrund auf der anderen. Auslöser war der Tweet des "Welt"-Kolumnisten Rainer Meyer, der sich hinter dem Alias "Don Alphonso" verbirgt. Darin rät er seinen Followern, Acht zu geben, wer ihnen folge, und liefert gleich das Profil von Alex Urban mit. Die Folge: Der Account von Urban, der für Organisationen arbeitet, die sich gegen Hetze und Desinformation einsetzen, wurde von Meyers teilweise rechten Anhängern digital überrannt.

Meyers Vorgehen hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Unter anderem meldeten sich die Publizistinnen Margarete Stokowski und Sibel Schick zu Wort. Auch Jasmina Kuhnke alias "Quattromilf" mischte sich ein und wurde prompt selbst zur Zielscheibe. Abgesehen davon, dass Meyer in einem Antwort-Tweet an sie von Leuten, "die bald die Quittung bekommen", sprach, wurde sie einige Stunden später "überrollt mit rassistischem und faschistischem Gedankengut, Beleidigungen, Drohungen, sogar Morddrohungen“, so die Comedy-Autorin im DW-Gespräch.

"Solche Leute nehmen in Kauf, dass etwas passiert"

So erschreckend das ist - eine neue Erfahrung sind Wortmeldungen dieser Art für Kuhnke nicht. Diese Entgrenzung beunruhigt auch Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena: "Dinge, die vorher eindeutig rechtsradikalen Akteuren wie etwa der Identitären Bewegung zuzuordnen waren und eher im Verborgenen passiert sind, sind heute viel stärker mit einer rechtskonservativen Öffentlichkeit verzahnt. Es gibt die Tendenz, dass jemand, der öffentlich renommiert ist, vorangeht, unerwünschte Personen im Grunde markiert und zum Abschuss freigibt, und sich dann Rechtsradikale darauf stürzen."

Matthias Quent: Keine neue ErfahrungBild: picture-alliance/dpa/B. Schackow

Der Kolumnist Stephan Anpalagan, der sich mit einem Text über Meyer ebenfalls in die aktuelle Debatte eingebracht hat und als schwarzer Publizist selbst von Diskriminierung rechter Kreise betroffen ist, findet: "Wenn reichweitenstarke Meinungs-Multiplikatoren wie Rainer Meyer oder etwa Erika Steinbach oder Matthias Matussek so etwas schreiben, dann nehmen sie bewusst in Kauf, dass etwas passieren kann. Sie wissen um das teilweise aggressive oder sogar gewaltbereite Publikum in ihrer Followerschaft." Anpalagan spricht von Todeslisten rechter Kampf- oder Hooligangruppen, die sich unter anderem aus solchen Diffamierungs-Tweets nähren würden.

Wenn der Hass in die reale Welt schwappt

Mit "passieren" meint er, dass die Folgen von Hass und Hetze im Internet auch Konsequenzen im analogen Leben haben - wie im Mordfall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, so Anpalagan. Der Christdemokrat war 2015 durch eine Aussage zu Flüchtlingen zum Feindbild der rechtsextremen Szene geworden. Vor seiner mutmaßlichen Ermordung durch einen Rechtsextremisten sei der Hass auf Lübcke online immer wieder neu entfacht worden, erklärt Anpalagan, unter anderem von der ehemaligen CDU-Politikerin und nun Vorsitzenden der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach.

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Quent erklärt: "Walter Lübcke war sicherlich ein Extremfall. Dennoch wissen wir von vielen Angriffen auf JournalistInnen, von beschmierten Hauseingängen, Drohbriefen oder etwa Anrufen bei Familienangehörigen." All das schüchtere Menschen ein, bringe sie zum Schweigen.

Will sich nicht entmutigen lassen: Jasmina Kuhnke alias QuattromilfBild: Marvin Ruppert

Für Jasmina Kuhnke ist der Rückzug aus den sozialen Netzwerken allerdings keine Option: "Ich habe keine Angst, weil ich mir keine Angst machen lassen will. Das ist eine ganz klare Entscheidung. Denn das wäre genau das, was die wollen." Was ihr allerdings schon Sorgen bereite, gibt sie zu, sei die Sicherheit der Menschen, mit denen sie zusammenlebe.

Auch Stephan Anpalagan denkt trotz des bedrohlichen Szenarios nicht ans Aufhören; er schreibe, um aufzuklären, und in der Hoffnung, "vielleicht sogar dem ein oder anderen, der sich in diesem Sumpf befindet", doch noch einen anderen Weg aufzuzeigen.

Handlungsbedarf der Netzwerke und der Politik

Der Grund, warum gerade Twitter gerne als Hass-Maschine benutzt wird, liegt wohl unter anderem darin, dass die Plattform laxer gegen Hassrede und Beschimpfungen vorgeht als etwa mittlerweile Facebook. Quent erklärt: "Bei Facebook haben sehr weitreichende Community-Standards dazu geführt, dass rechtsradikale Gruppen und Akteure runtergeflogen sind. Auf Twitter findet dagegen kaum Moderation statt, es gibt auch keine wirklich transparenten Ansprechpartner in Deutschland."

Das hat Jasmina Kuhnke am eigenen Leib erfahren. "Man fühlt sich alleingelassen, wenn man wüste Beschimpfungen oder Vergewaltigungswünsche gemeldet hat, und dann die Nachricht erhält, dass dieser Inhalt nicht rechtswidrig ist." 

Auch die Politik steht bezüglich des Kampfes gegen Hassrede in der Kritik. Zwar hatte sich die EU-Kommission 2016 mit Facebook, Microsoft, YouTube und Twitter auf einen freiwilligen Verhaltenskodex geeinigt. In Deutschland sind Betreiber sozialer Netzwerke seit 2017 gesetzlich dazu verpflichtet, Hassbotschaften und Fake News innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

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Doch in der Praxis müssen Betroffene oft herbe Beschimpfungen hinnehmen, wie eine gescheiterte Klage der Grünen-Abgeordneten Renate Künast kürzlich zeigte. Ein Gericht kam in ihrem Fall zu dem Urteil, dass Facebook-Kommentare wie "Stück Scheiße" und "Geisteskranke" "keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen" darstellten. "Es braucht aus meiner Sicht bessere Gerichtsurteile, die sich auf die Seite derjenigen stellen, denen geschadet wurde", so Quent.

Angesichts des rechtsextremistisch motivierten Anschlags in Halle im Oktober brachte die Bundesregierung zuletzt ein Maßnahmenpaket gegen rechte Gewalt auf den Weg; bis Ende des Jahres soll dazu ein Gesetzesentwurf vorliegen. Vor allem die Wirksamkeit der geplanten Schritte gegen Gewaltandrohungen im Internet hat die Opposition aber bereits angezweifelt.

Dies ist eine aktualisierte Version eines früheren Artikels.

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