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Konfliktpotential zwischen Türken und Kurden

Olaf Jansen
16. Oktober 2019

Der Militärgruß der türkischen Fußball-Nationalspieler findet seine Nachahmer im deutschen Amateurfußball. Für junge Deutschtürken und Kurdischstämmige ist es eine schwierige Situation.

Foul im Amateurfußball
Bild: picture-alliance/D. Reinhardt

Die Nachahmer hatten nicht lange gebraucht: Keine 48 Stunden nach dem ersten militärischen Salut der türkischen Fußball-Nationalspieler am vergangenen Freitagabend beim Länderspiel gegen Albanien wurde auch auf einem Herner Kreisligaplatz im Ruhrgebiet soldatisch gegrüßt: Bei der Partie zwischen Türkspor Herne und dem FC Castrop-Rauxel standen die Spieler des Gastgeberteams schon vor dem Anpfiff Spalier - mit den Händen an der Stirn.

Ähnlich martialisch fassten sie im Anschluss offenbar das Fußballspiel auf. Es ging hitzig zur Sache und eskalierte, als der Linienrichter im Verlauf der zweiten Hälfte zwei vermeintliche Fehlentscheidungen gegen die Hausherren traf. Aufgeheizt und voller Wut gingen mehrere Spieler des Teams auf den Unparteiischen los, schlugen und traten auf ihn.

"Gündogan und Can schlechte Vorbilder" 

"Politik hat im Fußball nichts zu suchen. Ganz klar, dass so etwas ein schlechtes Vorbild abgibt, was bis in den Amateurfußball hinein Folgen hat", ordnet Riza Öztürk, Integrationsbeauftragter des Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen für den DFB den Soldatengruß der türkischen Nationalspieler ein. 

Als fatal empfindet Öztürk, der selbst türkische Wurzeln hat, auch das Verhalten der deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Emre Can zum Thema. Die beiden hatten ein entsprechendes Salut-Bild auf Instagram gelikt. "Die haben die Aktion mit ihren Likes sozusagen unterstützt. Das hat definitiv Wirkung bis in den Kreisligafußball hinunter. Es provoziert potenzielle Nachahmer. Da waren die beiden ganz schlechte Vorbilder", findet Öztürk.

Unterschiedliche Sichtweisen

Wenn türkischer Nationalismus in die deutsche Gesellschaft hineinschwappt, fällt gerade jungen Leuten mit türkischer Abstammung die Positionierung schwer. "Wir bekommen hier in Deutschland unsere Informationen ja nur über die Medien. Viele junge Leute hier sind schlecht informiert und lassen sich von ihren Familien oder irgendwelchen äußeren Einflussgebern manipulieren", glaubt Enis O. Er bat uns, seinen Namen zu ändern, weil es in der derzeit angespannten Lage besser sei, sich nicht öffentlich zu äußern.

Türkische Nationalspieler beim EM-Qualifikationsspiel am Montag in FrankreichBild: Getty Images/A. Jocard

Der kurdischstämmige Enis spielt in einem Kölner Vorort in einem Amateurteam Fußball. Beim Training an diesem Abend trifft der 32-Jährige seine Teamkollegen - es sind junge Männer aus vielen Nationen, auch zwei Deutschtürken sind dabei. Einer von ihnen ist Mert U. (Name ebenfalls geändert), dessen Familie aus dem türkischen Konya stammt. "In unserer Familie ist Politik immer ein großes Thema. Wir diskutieren viel darüber und denken, dass die derzeitige Regierung gar nicht so schlecht ist," sagt Mert. "Die Soldaten verteidigen unser Land. Sie machen nur ihren Job", findet der Amateurspieler und kann an dem Soldatengruß der türkischen Fußballer nichts Verbotenes erkennen: "Das ist ein Zeichen des Grußes in die Heimat. Eine Geste der Solidarität. Und wir wundern uns, warum sich zum Beispiel viele Deutsche darüber aufregen."

"Wir sind trotzdem Freunde" 

Für Enis ist der Soldatengruß indes ein "No go", er empfindet ihn als "Provokation" und "als Zeichen der Kriegsunterstützung", wie er sagt: "Egal auf welcher politischen Seite man steht. Dass die Türkei jetzt das Kurdengebiet angreift und darunter Hunderte unschuldige Familien mit Kindern leiden - das darf nicht sein." Hier ein Kurde, dort ein Türke. "Wir sind trotzdem Freunde", sagt Mert, "daran kann der aktuelle Konflikt nichts ändern."

Enis aber hat durchaus Angst, dass sich der Konflikt zwischen Türken und Kurden auch nach Deutschland übertragen könnte: "Es kam ja am letzten Wochenende bei einer Kurdendemonstration in Köln schon zu Zwischenfällen. Die Stimmung ist auf jeden Fall ziemlich aufgeheizt."

Drei NRW-Klubs vor Verbandssportgericht

In Herne gab es am letzten Wochenende schon einen Vorgeschmack auf das, was auch im Amateurfußball in den nächsten Tagen noch kommen könnte. Deutschlandweit haben Amateurverbände bereits reagiert und den Salut-Gruß untersagt. Drei Amateurklubs aus Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen müssen sich wegen des Militärgrußes vor dem Verbandssportgericht verantworten. "Wir lassen uns nicht auf der Nase rumtanzen und von Minderheiten kaputtmachen", begründet Hans-Otto Matthey, Kreisvorsitzender des Fußball- und Leichtathletikverbands Westfalen, das Vorgehen. "Wir wollen vermeiden, dass sich solche Vorgänge wiederholen. Deshalb halte ich es für ein starkes Zeichen des Verbandes, dass die Fälle vor seinem höchsten Sportgericht verhandelt werden." Matthey setzt auf eine abschreckende Wirkung: "Ich gehe davon aus, dass wir am nächsten Wochenende keine politisch geprägten Zwischenfälle haben werden."

Der Bayerische Fußball-Verband (BFV) stellte in einer Mitteilung "ausdrücklich" klar, dass "jeder einzelne Fall zur Anzeige vor dem Sportgericht gebracht wird". Grundlage ist Paragraf 47 a der Rechts- und Verfahrensordnung. Demnach müssten Salut-Jubler "mit empfindlichen Strafen rechnen", hieß es in der Mitteilung. Die Rechts- und Verhaltensordnungen der Landes- und Regionalverbände schreiben klar vor, dass politische Provokationen auf dem Platz untersagt sind und sanktioniert werden können. Das Salutieren der türkischen Nationalspieler in den EM-Qualifikationsspielen gegen Albanien und in Frankreich wird als Bezug auf die umstrittene Offensive türkischer Streitkräfte in Nordsyrien gewertet. Dem widersprach der türkische Sportminister Mehmet Muharrem Kasapoglu: Es habe sich lediglich um eine "schöne Geste" für die Soldaten und ihre Familien gehandelt.

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