Aufgewühlte Flüchtlingsinsel Lampedusa
17. März 2009Die Männer vor dem Eisentor am Hafen reden alle durcheinander. Sie sind Hoteliers und Gastronomen. Und sie sind wütend. Keiner will seinen Namen nennen. Zu oft haben die angereisten Journalisten aus aller Welt sie schon als Rassisten bezeichnet. Die Männer sind vom Verein „SOS Isole Pelagie“. Das winzige Lampedusa ist die größte der pelagischen Inseln. Der Verein protestiert dagegen, dass das abgelegene Lampedusa von der Regierung in Rom vernachlässigt wird, vor allem finanziell. Einer der Hoteliers beklagt im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass Rom sich nur beim Thema „illegale Einwanderer“ an Lampedusa erinnert. „Wir leben hier alle vom Tourismus“, klagt er, „aber
wer will schon auf einer Flüchtlingsinsel mit Polizei und Militär Urlaub machen?“
Militarisierung eines Mini-Felsens
Zurzeit ist das Verhältnis zwischen Einwohnern und Sicherheitskräften auf dem winzigen Felsbrocken im Mittelmeer drei zu eins. Männer in Uniform bevölkern die Hotels und Bars und Strände. Sie rauschen mit ihren Einsatzwagen über die Insel. Sie sind überall. Die Inselbewohner fordern, dass die Sicherheitskräfte verschwinden. Sonst gebe es auf Lampedusa „Krieg“, sagen die Aktivisten von SOS Isole Pelagie provozierend. Aber auch weniger erhitzte Gemüter sind der Meinung, dass Rom die vielen Sicherheitskräfte vor allem deshalb geschickt hat, um die 6000 aufmüpfigen Lampedusani in Schacht zu halten.
Ankunft am Hafen
Unten an der abgesperrten Mole hat ein Kreuzer der italienischen Finanzpolizei angelegt. Die Besatzung bringt 70 junge Menschen an Land. Die meisten der Boots-Flüchtlinge sind dieses mal aus westafrikanischen Ländern. Nur ein paar Stunden vorher hat die Crew 65 Nordafrikaner gerettet. Alle waren von Libyen aus mit maroden Kähnen Richtung Lampedusa in See gestochen. Lampedusa’s Bürgermeister Bernardino de Rubeis eilt herbei. Er darf das Eisentor passieren. Er sagt, dass er alle Menschen verstehen könne, die vor Hunger und Krieg fliehen. Tunesier gehören in seinen Augen allerdings nicht dazu. „Die haben doch inzwischen eigentlich ganz gute Chancen, im eigenen Land klarzukommen, die müssen hier nicht herkommen.“
Der Bürgermeister verlangt mehr Hilfe
De Rubeis erinnert außerdem an ein Abkommen, das Ministerpräsident Silvio Berlusconi schon vor Monaten mit dem libyschen Präsidenten Gaddafi geschlossen habe. Darin hätten die beiden gemeinsame italienisch-libysche See-Patrouillen und schärfere Kontrollen in Libyen vereinbart. „Aber da passiert gar nichts“, klagt der Inselbürgermeister.
Gefängnisinsel mit Abschiebezentrum
Stattdessen ist in Rom etwas passiert. Da hat die Regierung zur Jahreswende entschieden, dass die Migranten Lampedusa nicht eher Richtung Festland verlassen dürfen, bis ihr Status geklärt ist. Lampedusa soll ein Abschiebe-Zentrum für so genannte illegale Einwanderer werden. Nur noch Asylbewerber und Flüchtlinge sollen die Insel verlassen dürfen. Der Bürgermeister findet das unmöglich und bittet die Europäische Union um Hilfe. Die EU solle Rom zur Vernunft bringen und die laufenden Bauarbeiten stoppen. „Wir können das doch gar nicht leisten. Ein Abschiebelager ist auf Lampedusa nicht möglich. Es gibt hier kein Gericht und keine Rechtsanwälte. Hier können keine Asylverfahren durchgeführt werden. Wenn wir diese Menschen weiter hier festhalten, ohne dass die Voraussetzungen stimmen, dann ist das gesetzeswidrig.“ Bernardino de Rubeis verlangt, dass alles wieder so wird wie früher. Bisher waren die Migranten nur für wenige Tage auf der Insel. Dann wurden sie nach Sizilien oder auf das italienische Festland gebracht.
Menschenunwürdige Unterkünfte für Flüchtlinge
Die neue Politik der Regierung Berlusconi hat besonders in der Anfangsphase für katastrophale Zustände im zentralen Auffanglager der Insel gesorgt. Es kann für wenige Tage maximal 850 Menschen beherbergen. Aber zu Spitzenzeiten waren dort im Januar 1800 Menschen eingepfercht. Die Zustände waren so schlimm, dass die Migranten für kurze Zeit ausbrachen und gemeinsam mit den Inselbewohnern protestierten. Später setzten sie dann einen Teil des Lagers in Brand. Inzwischen soll die Lage wieder besser sein. Das hat auch EU-Justizkommissar Jacques Barrot nach einem Besuch am 13. März bestätigt. Aber Journalisten ist der Zutritt weiterhin ausdrücklich verboten.
Journalisten müssen draußen bleiben
An der abgesperrten Mole haben sich die Gemüter inzwischen wieder beruhigt. Der 85-jährige Fischer Giovanni Bilecci erzählt, dass er die Migranten früher eigenhändig gerettet und versorgt hat, als Polizei und Militär noch nicht im Einsatz waren und als es auf Lampedusa noch keine Lager gab.
Der alte Fischer kann die jungen Migranten verstehen. „Die wollen ein besseres Leben“, sagt er und erzählt, dass einer seiner Brüder nach Kanada ausgewandert ist. „Wir machen es doch nicht anders. Wir sind früher ausgewandert und wir wandern heute noch aus. So ist die Welt.“