Aufschrei im Tennis nach WADA-Dopingdeal mit Jannik Sinner
18. Februar 2025
Worauf haben sich die WADA und der italienische Tennisstar Jannik Sinner geeinigt?
Der Tennis-Weltranglisten-Erste wird nur für drei Monate gesperrt. Er war im Frühjahr 2024 - am 10. März beim Masters-Turnier in Indian Wells in den USA und am 18. März während des Trainings - positiv auf die verbotene Substanz Clostebol getestet, aber nicht gesperrt worden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zog deswegen vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) und forderte zunächst eine Sperre von ein bis zwei Jahren. Der CAS wollte Mitte März über den Fall verhandeln. Nun zog die WADA ihren Einspruch zurück.
Sie erkenne an, dass Sinner "nicht die Absicht hatte, zu betrügen, und dass sein Kontakt mit Clostebol keinen leistungssteigernden Nutzen hatte und ohne sein Wissen aufgrund der Fahrlässigkeit von Mitgliedern seines Umfelds erfolgte", heißt es in der Erklärung der WADA. Drei Monate Sperre seien angemessen.
Was ist Clostebol?
Es handelt sich um ein anaboles Steroid, das den Aufbau von Muskelmasse fördert und die Leistung steigert. Clostebol wurde bereits im staatlichen Doping der früheren DDR eingesetzt. Die meisten Dopingfälle mit der Substanz wurden in Italien und Brasilien aufgedeckt. In beiden Ländern kann man Wundcremes und -sprays, die Clostebol enthalten, rezeptfrei in Apotheken kaufen.
2016 wurde Skilanglauf-Star Therese Johaug positiv auf die Substanz getestet. Wie sich später herausstellte, hatte die Norwegerin einen Sonnenbrand an der Lippe mit einer Hautcreme behandelt, die Clostebol enthielt und die ihr Teamarzt in den italienischen Alpen gekauft hatte. Der CAS sperrte die Olympiasiegerin von 2010 für 18 Monate, Johaug verpasste deshalb die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang.
Warum wurde Sinner nicht gleich nach den positiven Dopingbefunden gesperrt?
Die International Tennis Integrity Agency (ITIA) suspendierte den Tennisspieler in beiden Fällen nur vorläufig. Sinner legte Berufung ein und hatte Erfolg. Die ITIA akzeptierte Sinners Erklärung: Ein Physiotherapeut aus dem Team habe ein Spray mit Clostebol genutzt, um eine eigene Hautwunde am Finger zu behandeln. Anschließend habe er Sinner ohne Handschuhe massiert und sporttherapeutisch behandelt. Dabei sei es zu einer "versehentlichen Kontamination" gekommen, so der Italiener.
Die ITIA ist eine unabhängige Organisation mit Sitz in London. Sie wurde 2021 von den Tennisverbänden ATP, WTA und ITF sowie den Veranstaltern der vier Grand-Slam-Turniere gegründet, um einen sauberen Tennissport zu garantieren. Die ITIA ließ den Fall Sinner auch von einem unabhängigen Gericht prüfen. Dieses habe bei einer Anhörung am 15. August festgestellt, "dass in dem Fall kein Verschulden oder keine Fahrlässigkeit vorlag", so die ITIA.
Welche Stellung hat Sinner im Welttennis?
Die Zeit der "Big Three", die über Jahrzehnte den Tennissport dominiert hatten, neigt sich dem Ende zu. Der Schweizer Roger Federer und der Spanier Rafael Nadal haben ihre Schläger an den Nagel gehängt, und auch Olympiasieger Novak Djokovic aus Serbien dürfte mit 37 Jahren bald in Tennis-Rente gehen.
Jannik Sinner wird zugetraut, dass er in die Fußstapfen der drei Superstars tritt. Im Juni 2024 gelang Sinner als erstem Italiener der Sprung an die Spitze der Weltrangliste, die er seitdem anführt. 2024 gewann er mit den Australian Open und den US Open zwei der vier Grand-Slam-Turniere sowie die ATP-Finals, das Saison-Abschlussturnier der acht besten Spieler des Jahres. 2025 verteidigte Sinner seinen Titel bei den Australian Open - mit einem souveränen Dreisatz-Sieg im Finale gegen den deutschen Tennis-Star Alexander Zverev.
Was bedeutet die dreimonatige Sperre für den Italiener?
Die Folgen sind überschaubar. Sinner verliert weder Erfolge noch Preisgelder, die er sich 2024 erspielt hat. Durch die Sperre, die bis zum 4. Mai läuft, verpasst der Italiener einige Turniere. In der Weltrangliste verliert er damit die Punkte, die er während dieser drei Monate im Vorjahr gesammelt hat. Das eröffnet dem Ranglisten-Zweiten Zverev die Chance, durch gute Ergebnisse Sinner bis Anfang Mai von Platz eins zu verdrängen. Beim nächsten Grand-Slam-Turnier, den French Open in Paris (25. Mai bis 8. Juni), kann Sinner allerdings wieder antreten - und sich sogar zwei Wochen vorher, beim Turnier in Rom, Spielpraxis auf Sand holen, demselben Belag wie in Paris.
Wie ist das Echo im Tennis auf die Einigung zwischen WADA und Sinner?
Die Konkurrenz hält den Vergleich für unfair und vermutet, dass Sinner als Nummer eins der Welt bevorzugt wurde. "Es scheint, dass du beinahe den Ausgang beeinflussen kannst, wenn du ein Topspieler bist, wenn du Zugang zu Topanwälten hast", sagte Djokovic. "Es gibt eine Mehrheit an Spielern, mit denen ich in der Umkleide gesprochen habe, die nicht glücklich sind, wie mit dem gesamten Prozess umgegangen wurde."
Auch Zverev findet den Fall Sinner seltsam: "Entweder man hat sich nichts zuschulden kommen lassen, dann sollte man überhaupt nicht gesperrt werden", so der beste deutsche Tennisspieler. "Aber wenn man sich doch etwas zuschulden kommen lässt, dann denke ich, dass drei Monate für die Einnahme von Steroiden keine Sperre sind."
Djokovic sprach zudem von "mangelndem Vertrauen" der Spielerinnen und Spieler in die WADA und ITIA. Auch nach dem milden Urteil gegen die Weltranglistenzweite Iga Swiatek hatte es Kritik an den beiden Organisationen gegeben. Die Polin war im vergangenen August positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet worden. Swiatek beteuerte, sie habe versehentlich ein verunreinigtes, nicht verschreibungspflichtiges Medikament wegen Schlafproblemen durch Jetlag eingenommen. Die ITIA glaubte Swiatek und sperrte sie lediglich für einen Monat. Im Januar verkündete die WADA, dass sie auf einen Einspruch in diesem Fall verzichte.
Was sagen Anti-Doping-Experten zu der Entscheidung im Fall Sinner?
"Was die WADA da gemacht hat, bedeutet das Ende des Anti-Doping-Systems in seiner bisherigen Form", sagte der deutsche Pharmazeut und Dopingexperte Fritz Sörgel und sprach von "verheerenden" Folgen: "Damit verliert das System einen Anker. Auf den Fall Sinner und einige andere wird sich in Zukunft jeder berufen und eine milde Strafe für einen positiven Dopingtest einfordern können - solange ihm irgendeine dürre Ausrede dafür einfällt." Auch Lars Mortsiefer, Chef der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA), warnte vor einer Signalwirkung des Falls. Dopingsünder würden nun möglicherweise erstmal versuchen, einen Vergleich mit der WADA auszuhandeln, um Sperren möglichst gering zu halten, so Mortsiefer.