1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erntehelfer: Der Aufstand der Armen

20. Mai 2020

In Deutschland stranden - das könnte rumänischen Saisonarbeitern bei Bonn drohen, deren Betrieb pleite gegangen ist. Es geht um nicht ausgezahlten Lohn, mangelnde Kommunikation und die Angst, nicht nach Hause zu können.

Deutschland Bornheim | Erntehelfer aus Rumänien
Bild: DW/S. Höppner

Die 39-jährige Anca aus Rumänien, die aus Angst vor Nachteilen weder fotografiert noch mit Nachnamen zitiert werden möchte, ist sichtlich erleichtert. Seit Tagen wartet sie auf ihren ausstehenden Lohn als Saisonarbeiterin eines insolventen Landwirtschaftsbetriebs bei Bonn. Nun scheint sich eine Lösung abzuzeichnen. Gemeinsam mit anderen Erntehelfern durfte sie den rumänischen Konsul in Bonn sprechen, der ihnen umgehend ein Essen und einen kleineren Geldbetrag spendierte - und Hilfe versprach. "Der Botschafter hat gesagt, dass wir ihm vertrauen und uns nicht mehr so viele Sorgen machen sollen", erzählt sie.

Es ist später Dienstagnachmittag, als Anca von der Unterstützung ihrer Landesvertretung erfährt. Viele Tage voller Unsicherheit liegen bereits hinter ihr und ihren Kollegen. Tage, an denen sie mit Mitgliedern der Freien Arbeiter*innen Union Bonn in der Innenstadt demonstriert, die ihre Organisationsform im Internet als "Anarchosyndikalismus" bezeichnen und sich der Sache mit Unterstützern aus der linken Szene angenommen haben. Tage, an denen sich vor dem Hof Journalisten drängen, besorgte Nachbarn vorbeischauen und Gewerkschaften versuchen, sich einen Überblick über die nach außen verworren wirkende Lage zu verschaffen. Am Dienstagnachmittag steht schließlich das Gespräch mit dem Konsul an. 

Demonstration für Lohnzahlungen für rumänische ErntehelferBild: DW/S. Höppner

Schuften für fünf Euro?

Eigentlich sollten Anca und ihr Mann auf einem Feld in Bornheim bei Bonn gerade Spargel stechen und Erdbeeren pflücken - bei einem Betrieb, den sie schon aus den Vorjahren kannten und schätzten. Bei "Claus", der sonst immer gut für ihr Wohl gesorgt hatte, wie sie sagt. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Der Betrieb war im Februar bereits unter Druck geraten und wird nun von einem Insolvenzverwalter betreut. "Wir wussten nicht, dass die Firma insolvent ist, als wir hierhergekommen sind", sagt Anca. Die Erntehelfer reisten trotz der schwierigen finanziellen Lage des Hofes an und sollten arbeiten, denn für einen neuen potenziellen Investor sollte eine gute Ernte eingefahren werden.

Doch durch die Corona-Krise spitzten sich die Probleme weiter zu. Restaurants und Hotels blieben geschlossen. Die Nachfrage nach Spargel sank in der Folge dramatisch. Die Gläubigerversammlung des insolventen Betriebs beschließt deshalb, die Spargelernte abzubrechen. Die Erdbeerernte wird reduziert und mit weniger Arbeitern fortgeführt. 

Dramatische Folgen für die Saisonarbeiter

Auch Anca arbeitet nicht mehr, obwohl ihr Vertrag für drei Monate gelten sollte – gekommen war sie Anfang März. Laut ihr und anderen Saisonhelfern des Betriebs haben sie für ihre bisher geleistete Arbeit nicht genügend Lohn bekommen. "Mir fehlen noch etwa 1200 Euro", sagt sie. Andere Arbeiter berichteten ihr, sie hätten lediglich fünf Euro für einen ganzen Monat erhalten, andere 150 Euro. Hinzu kommt, dass nach Aussage der Erntehelfer mehr Kosten für Unterkunft und Essen abgezogen wurden als erwartet.

Für die Arbeiter hat das dramatische Folgen: Denn vielen fehlt daher nun auch das Geld für eine selbst organisierte Heimreise nach Rumänien. Eine am Mittwoch zugesagte Unterstützung der rumänischen Arbeitsministerin Violeta Alexandru, die sich vor Ort ein eigenes Bild von der Situation machte, scheint bitter nötig. Gleichzeitig ist unklar, wie lange sie in ihrer vom Betrieb gestellten Unterkunft bleiben können. Gerüchte machen die Runde, dass bald Strom und Wasser abgestellt werden sollen, um die verbliebenen und nicht mehr benötigten Erntehelfer zur Abfahrt zu nötigen.

Vor den Unterkünften der Saisonarbeiter türmt sich der MüllBild: DW/S. Höppner

Von halbgarem Reis und Müllbergen vor der Haustür

Seit Freitag demonstrieren Anca und andere Arbeiter deshalb für die aus ihrer Sicht ausstehenden Lohnzahlungen. Auch Unterkunft und Essen wurden öffentlich bemängelt. "Der Reis war noch halb gefroren und nicht durchgekocht. Die Salami zum Frühstück war teilweise verdorben. Übrig gebliebenes Essen in der Küche durfte nicht gegessen werden, es gab für jeden immer nur eine Portion", erzählt Anca. Sich selbst versorgen ist schwierig, denn die Unterkünfte liegen mitten im Nirgendwo, in der Nähe eines Klärwerks und fernab von Supermärkten. Vom verdienten Geld wird zudem jeder Cent benötigt. "Viele haben Familie, Kinder, Schulden", sagt Anca. Auch sie hat vier Kinder und weitere Familienmitglieder zu versorgen. Die Wohn-Container sind alt, wenn auch "okay", sagt sie über die provisorischen Unterkünfte, vor denen sich augenscheinlich mannshoch der Müll stapelt. "Natürlich ist es nicht wie zu Hause."

Keine Stellungnahme des Betriebs

Ob und wie viel Geld den Leuten zusteht und wie viel fehlt, kann von außen schwer geprüft werden. Das Container-Gelände ist abgesperrt, der Zutritt von Sicherheitskräften bewacht. Der zuständige Insolvenzverwalter ist nicht zu sprechen, auch nicht für die DW. In einem früheren Medienbericht des Bonner General-Anzeigers hatte der Insolvenzverwalter von einem "Vorschuss" gesprochen, den die Arbeiter erhalten hätten. Das restliche Geld sollte demnach nach Ablauf des Vertrags fließen. Harald Schaum von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sagt, seine Gewerkschaft versuche ebenfalls, über den Insolvenzverwalter an nähere Informationen zu kommen.

Die geschilderten Zustände seien für ihn "kein Einzelfall". Seit Wochen berichten auch Medien vermehrt über unhaltbare Zustände auf einigen Spargelhöfen. Es ist zwar kein neues Problem, aber eines, das gerade durch die Corona-Diskussion Aufwind bekommen hat.

Stunden - oder Akkordlohn?

"Es begegnet uns immer wieder, dass mit ganz unterschiedlichen Methoden der gesetzliche Mindestlohn unterlaufen wird", sagt Schaum von der Gewerkschaft. "Entweder es wird nach Akkord bezahlt oder es wird ein getrennter Vertrag mit hohen Kosten für Unterkunft und Verpflegung aufgesetzt - völlig gegen die Bestimmungen." Normalerweise müssten der Lohn pro Stunde oder die Arbeitsverhältnisse klar sein. "Doch leider wird manchmal auch die Sprachbarriere missbraucht, um hinterher etwas ganz anderes zu tun, als die Leute erwarten oder was ihnen kommuniziert wurde", sagt er.

"Der Vertrag wurde auf Deutsch und Rumänisch abgegeben", sagt Anca. "Man kann ihn lesen, wenn man denn lesen kann." Manche Saisonkräfte sprechen jedoch kein Rumänisch, sondern Romanes, die Sprache der Roma. Einige können zudem nicht lesen, vor allem nicht die bürokratische Sprache eines Vertrags.

Die Saisonarbeiter wissen noch nicht, ob sie den versprochenen Lohn noch bekommen werden, da der Betrieb insolvent istBild: DW/V. Draghicescu

Wechsel zu anderem Betrieb

Was mit dem Lohn der Arbeiter nach einer Insolvenz wie bei dem Betrieb in Bornheim passiert, lässt sich nicht eindeutig beantworten. "Ob Saisonarbeiter Insolvenzgeld bekommen können, ist noch ungeklärt, insbesondere dann, wenn Strohmänner wie Agenten und Briefkasten-Subunternehmer aus dem Ausland als angebliche Arbeitgeber dazwischengeschaltet sind", sagt Schaum. Arbeiter könnten in so einem Fall am Ende mit gar nichts da stehen - trotz monatelanger harter Arbeit. "Da ist ein sofortiger Wechsel zu einem korrekten Betrieb oft der sicherere Weg, um überhaupt noch etwas Lohn zu bekommen."

Ob Anca das ihr zustehende Geld bekommt, ist also noch offen. Sie will trotz der schlechten Erfahrungen, die sie jetzt gesammelt hat, auch im kommenden Jahr wiederkommen - wenn auch nicht wieder zu diesem Betrieb. "Aber es ist schwierig wieder Vertrauen zu fassen. Wir kennen die Sprache ja auch nicht, aber wir wissen, wie man arbeitet."

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen