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Politik

Aufstand in IS-Gefängnis in Nordsyrien

3. April 2020

Ein Jahr nach dem Ende des IS bewachen kurdische Milizen weiterhin Tausende gefangene Kämpfer der Terrormiliz, auch deutsche. Die jüngste Gefängnismeuterei wirft ein Schlaglicht auf die Lage im syrischen Kurdengebiet.

Syrien IS-Gefängnis im al-Roj-Camp
Bild: Reuters/G. Tomasevic

Die inhaftierten Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Gefängnis von Hasakah sind maximal isoliert: keine Mobiltelefone, kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet, Besuche nur in Ausnahmefällen. Aber die Nachricht von der Pandemie, vom neuen Coronavirus ließ sich auch von den Gefängnismauern nicht aufhalten. Vergangenen Sonntag revoltierten die gefangenen Dschihadisten und brachten bis Montag für mehrere Stunden das Erdgeschoss des Gefängnisses in ihre Gewalt. Erste Berichte sprachen davon, dass bei der Meuterei mehreren Gefangenen die Flucht gelungen sein soll.

Am Montag Abend erklärte der Kommandeur der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte, SDF, vor der Presse, die vollständige Kontrolle über die Anlage sei wieder hergestellt. General Mazlum Abdi widersprach dabei früheren Berichten über gelungene Ausbrüche. Kein Gefangener habe flüchten können.

Tickende Zeitbombe

Die Gefängnismeuterei kommt nicht überraschend. Seit langem klagen die kurdischen Bewacher gegenüber Journalisten, ihre Gefangenen seien eine tickende Zeitbombe. Vergeblich fordern sie internationale Hilfe. Oder, dass die Staaten ihre Staatsbürger zurückholen. Abgesehen von Russland, Malaysia, Usbekistan und Kosovo hat bislang kein Land ernsthaft die Repatriierung seiner IS-Angehörigen in Angriff genommen.

"Die SDF trägt weiterhin die Last der Aufrechterhaltung und Sicherung von Haftanstalten und Flüchtlingslagern, die im Nordosten Syriens erhebliche humanitäre und sicherheitspolitische Herausforderungen darstellen", heißt es trocken im jüngsten Bericht des Generalinspekteurs des US-Verteidigungsministeriums bezüglich der Bekämpfung des IS. "Je länger die ISIS-Gefangenen in den SDF-Gefängnissen festgehalten werden, desto größer sei das Potenzial für sie, Ausbrüche zu organisieren", konnte man in dem Bericht schon am 4. Februar nachlesen.

Der Kampf gegen die Terror-Dschihadisten des IS war eine internationale Angelegenheit, Dutzende Staaten aus mehreren Kontinenten haben sich in der "Internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat" zusammen gefunden. Als der IS vor gut einem Jahr zumindest territorial besiegt war, ließ die Staatengemeinschaft die Kurden mit den Folgen, den Flüchtlingen und den gefangenen Kämpfern weitgehend allein. Dabei hatten die Kurden ohnehin schon die Hauptlast des Kampfes am Boden getragen. Und mit 11.000 Gefallenen einen hohen Blutzoll bezahlt.

Nach dem Fall von Baghus: Eine Welle von Flüchtlingen - und GefangenenBild: Reuters/R. Said

Dschihadisten und Menschenrechte

Die aktuelle Gefängnismeuterei, vermutet das lokale Rojava Information Center, RIC, sei durch die Furcht vor dem Coronavirus ausgelöst worden. Videoaufnahmen zeigen Gefangene, die Decken mit darauf gekritzelten Botschaften hochhalten, bevor sie die Überwachungskameras zerstörten. Darin fordern sie den Besuch von Vertretern der Anti-Terror-Koalition sowie von Menschenrechtsorganisationen.

Rund 5000 IS-Kämpfer werden in Hasaka gefangenen gehalten. Hier ist auch der größte Teil der ausländischen Dschihadisten untergebracht, hier sitzen die Top-Kader des IS ein und auch deutsche IS-Angehörige. Zwei Insassen werden von dem Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem betreut. Im Telefonat mit der DW beschreibt Erdem sie als Menschen, die sich bis heute nicht von IS losgesagt haben; Menschen, die keine Reue zeigen; Menschen, die Blut an ihren Händen haben. Diese Menschen, betont der Anwalt, gehören vor Gericht und verurteilt – aber: in ihrer Heimat.

Die Haftbedingungen in dem Gefängnis bei Hasaka beschreibt Erdem als "sehr schlimm". Die ehemalige Schule sei gar nicht als Gefängnis geeignet.

Medienberichte bestätigen das Bild einer völlig überfüllten Haftanstalt. Im Januar besuchte ein Reporter der "Neuen Zürcher Zeitung" das Gefängnis. Er sah, wie 130 Gefangene in einem nicht mal 100 Quadratmeter großen Raum untergebracht sind. Er beschrieb einen "wahrhaft luziferischen Gestank, eine Mischung aus Fäkalien und altem Schweiß, schimmlig, süßlich, krank". 

Unterbrochene Wasserzufuhr

Die hygienischen Zustände dürften in jüngster Zeit noch schlimmer geworden sein. Immer wieder unterbrechen türkisch unterstützte Milizen die Wasserzufuhr. Seit die Türkei im vergangenen Herbst mit einer Invasion Teile des Kurdengebiets in Nordostsyrien kontrolliert, ist das wichtigste Wasserwerk der Region nahe der Stadt Serekaniye (arabisch: Ras al-Ain) unter türkischer Kontrolle. Es versorgt die Provinz Hasaka und die dort lebenden mindestens 500.000 Menschen – inklusive dem Gefängnis von Hasaka sowie etlicher Flüchtlingslager. Dazu gehört auch das größte Lager Al-Hol, wo aktuell etwa 67.000 Menschen auf engstem Raum zusammen leben. Gegenüber der DW warnte die Sprecherin der Hilfsorganisation International Rescue Committee, Misty Buswell, vor einem Corona-Ausbruch in den Lagern. "Die sanitäre Situation in ist ohnehin schon schlecht. Wenn die Wasserversorgung unterbrochen wird, ist es den Menschen nahezu unmöglich, selbst einfachste Hygienemaßnahmen wie etwa Händewaschen umzusetzen".

In Al-Hol sitzen auch deutsche Frauen und Kinder fest. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums beziffert auf Anfrage der DW die Zahl der deutschen Staatsangehörigen in Nordsyrien insgesamt derzeit auf knapp über 100 Erwachsene mit etwa 150 Kindern. Auch unter denen sind Mandanten von Anwalt Erdem. Im Auftrag von Angehörigen soll er für die den Weg nach Deutschland ebnen. Eine frustrierende Arbeit.

Eine von rund 10.000 ausländischen IS-Gefangenen in NordsyrienBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Bei der Rückholung von Frauen und Kindern aus Nordsyrien gebe es keinerlei Bewegung, klagt Erdem. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts Berlin-Brandenburg vom vergangenen November hat daran nichts geändert. Da hatte erstmals in Deutschland ein Oberverwaltungsgericht geurteilt, eine deutsche IS-Anhängerin und ihre Kinder müssten "unverzüglich" aus einem Gefangenenlager in Nordsyrien nach Deutschland zurückgeholt werden.

"Keine konsularische Präsenz"

Auf Nachfrage, was das Urteil praktisch für die Rückholung weiterer IS-Anhänger heißt, hieß es aus dem Auswärtigen Amt nur knapp: "Jeder Einzelfall muss konkret betrachtet werden. Im Übrigen sind wir bei der Rückholung auf die Mitwirkung einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure angewiesen. Diese ist derzeit besonders schwer zu erhalten. Wir haben weiterhin keine konsularische Präsenz in Syrien und damit auch keinen konsularischen Zugang in Nordost-Syrien."

Anwalt Erdem bestätigt, seit dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien bewege sich in Sachen Rückholung nichts mehr. Auch aus dem Irak habe die Bundesregierung wegen der Spannungen zwischen den USA und dem Iran sowie der sich entwickelnden Corona-Krise den Großteil ihres Personals abgezogen. Die Folge: Stillstand. Die Angehörigen seien verzweifelt und dächten daran, auf eigene Faust ins Krisengebiet zu reisen um dort selbst ihre Angehörigen loszueisen. Die kurdische Selbstverwaltung aber habe ihm signalisiert, sagt Erdem, das sie mit Angehörigen nicht sprechen wolle. 

IS: "Gefangene befreien"

Wie wichtig es wäre, die IS-Angehörigen aus den Lagern zu holen, lässt sich auch aus dem Bericht des Generalinspekteurs des US-Verteidigungsministeriums ableiten. Gerade in den Flüchtlingslagern sei der IS aktiv, heißt es dort. Der Bericht zitiert den US-Militärgeheimdienst DIA: Demzufolge hätten Wachen Probleme, die Sicherheit in Al-Hol aufrechtzuerhalten. IS-Anhänger würden Wachen angreifen, Bewohner einschüchtern und ihre Ideologie durchsetzen.

Zudem will der IS auch aus der um sich greifenden Corona-Pandemie maximalen Nutzen ziehen. In seinem Propaganda-Newsletter Al-Naba freut sich die Terrororganisation am 19. März, die Furcht vor dem Virus habe die Feinde stärker getroffen als das Virus selbst. In diesem Moment der Krise sollten die Feinde angegriffen und geschwächt werden. Und, erklärten die Terror-Islamisten, muslimische Gefangene sollten aus Gefängnissen und Lagern befreit werden.

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