Streit um Auftritt von Anna Netrebko
23. Februar 2023Es war einmal eine russische Operndiva: geliebt und begehrt. Doch nun reißt der Skandal um Anna Netrebko wegen eines geplanten - und mittlerweile ausverkauften - Auftritts in Deutschland nicht ab.
Vom Staatstheater Wiesbaden wurde die Opernsängerin zu den dortigen Internationalen Maifestspielen 2023 eingeladen. Der Veranstalter der Festspiele erntete daraufhin viel Kritik - auch in den Sozialen Medien. "In vielen dieser Kommentare werden Beleidigungen und Diffamierungen in die Welt gesetzt oder nationalistische Narrative verbreitet", so das Staatstheater. Als Reaktion auf die Hasskommentare kündigte es mit Hinweis auf die Netiquette an, einzelne Kommentare zum Auftritt Netrebkos zu löschen. Man sehe sich zum Schutz der Mitarbeiter und Künstler zu diesem Schritt gezwungen.
"Es handelt sich hierbei um keine Zensur", heißt es in der Pressemitteilung vom Mittwoch. Man sei verpflichtet, Kommentare mit möglicherweise rechtswidrigen Inhalten auf den Social-Media-Kanälen zu kontrollieren.
Einige Programmpunkte entfallen wegen Boykott
Bei den Festspiele in Wiesbaden soll Netrebko, die auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, am 5. und 7. Mai ihr Debüt als Abigaille in Giuseppe Verdis Oper "Nabucco" geben. Während sich das Land Hessen und die Landeshauptstadt Wiesbaden gegen die Auftritte ausgesprochen haben, hält das Staatstheater an seinen Plänen fest.
Das Programm hat sich jedoch mittlerweile geändert: Die Stücke "Caligula" von Albert Camus und Giuseppe Verdis "Messa da Requiem" entfallen. Die ukrainischen Künstler, die in den Stücken aufgetreten wären, weigerten sich, als sie erfuhren, dass Netrebko eingeladen war. Den Organisatoren ist es nicht gelungen, einen Ersatz zu finden. Ursprünglich hieß es, dass stattdessen die russische Punkband Pussy Riot auftreten würde. Aber auch diese Band weigerte sich, nach Deutschland zu kommen.
"Höchst unmoralisch während des Krieges"
"Uns wurde kein Wort über Anna Netrebko gesagt. Sie hat Putin nicht nur einmal unterstützt und sein Regime gegen viel Geld geehrt. Sie hat auch Unsummen ins besetzte Donezk überwiesen. Sie gehörte zu den Gesichtern von Putins Präsidentschaftswahlkämpfen in den Jahren 2012 und 2018. Sie gab Konzerte im Kreml, während man uns einsperrte", sagte Maria Aljochina, Sängerin von "Pussy Riot"gegenüber der DW. Sie hatte aus den Nachrichten der DW von der Vorgeschichte ihres zunächst geplanten Auftritts in Wiesbaden erfahren. Und nur wenige Stunden, nachdem das Hessische Staatstheater am 13. Februar den Auftritt von "Pussy Riot" bei den Maifestspielen angekündigt hatte, sagte die Band ab.
"Während meine Freunde im Gefängnis sitzen, von denen einige vergewaltigt und geschlagen wurden, sollen wir mit Netrebko in der Umkleide chillen?", sagt Aljochina. "Pussy Riot" sollte mit dem Projekt "Riot Days", das auf dem gleichnamigen Buch von Maria Aljochina basiert, als Ersatz für das Akademische Sinfonieorchester der Ukrainischen Nationalphilharmonie und den Chor der Ukrainischen Nationaloper in Kiew dienen. "Man kann sich doch nicht zwischen ukrainischen Künstlern und Anna Netrebko entscheiden. Das ist höchst unmoralisch während des Krieges. Wir werden schon einen Ort finden, an dem wir auftreten können. Aber die Ukrainer zu canceln und Netrebko zu belassen, das ist falsch", betont Aljochina.
"Dann müssen die Ukrainer eben zu Hause bleiben"
Die ukrainischen Teilnehmer der Festspiele, darunter das Staatliche Taras-Schewtschenko-Theater in Charkiw, hatten ihren Auftritt zuvor mit der gleichen Begründung wie "Pussy Riot" abgesagt. Der Chefdirigent der Nationaloper der Ukraine und der Nationalphilharmonie der Ukraine, Mykola Diadiura, sagte der DW: "Als die Verhandlungen über unsere Teilnahme liefen, stand der Name der russischen Sängerin Netrebko nicht auf dem Programm. Doch als wir erfuhren, dass sie an den Festspielen teilnehmen würde, sagten wir ab."
Die Absagen bezeichnet der Intendant der Festspiele und des Hessischen Staatstheaters, Uwe Eric Laufenberg, als "Moralhysterie". Er sagt, das Akademische Sinfonieorchester der ukrainischen Nationalphilharmonie und auch Chefdirigent Mykola Diadiura hätten sich durchaus geweigert, zusammen mit einer russischen Sängerin "Messa da Requiem" aufzuführen, aber damals sei es nicht um Anna Netrebko, sondern um eine andere russische Sängerin aus dem Ensemble in Wiesbaden gegangen. "Dass sie aber nicht auftreten wollen, weil Anna Netrebko überhaupt auf dem Festival auftritt, ist für mich absolut nicht tolerabel und nicht verständlich. Dann müssen sie eben zu Hause bleiben", so Laufenberg.
Die Leitung des Theaters glaubt, dass den ukrainischen Künstlern die Absage der Maifestspiele von ukrainischen Politikern aufgezwungen wurde. Chefdirigent Diadiura weist dies jedoch zurück. Er betont, es habe keinen Druck gegeben und erinnert an die Folgen der russischen Raketenangriffe auf die Ukraine: "Das ist unsere eigene Position. Wir haben heute vier Stunden lang unser Repertoire einstudiert, und davon haben wir zwei Stunden ohne Strom und Heizung arbeiten müssen. Und sie wollen, dass wir anders reagieren?! So kann man nur in Friedenszeiten debattieren und philosophieren, aber wir befinden uns im Krieg", so Diadiura.
Warum man in Wiesbaden an Netrebko festhält
Der Skandal um Anna Netrebkos Auftritt in Wiesbaden begann seine Kreise zu ziehen, nachdem der ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkatschenko einen Brief an Claudia Roth, die deutsche Staatsministerin für Kultur und Medien, geschrieben hatte. Darin macht er deutlich, dass die ukrainische Seite keine Zusammenarbeit mit Menschen wolle, die die russische Kultur repräsentieren.
Die Leitung der Maifestspiele hingegen erklärte, man werde vor die Wahl gestellt: entweder Netrebko oder Teilnehmer aus der Ukraine. So etwas sei in einem freien Land nicht hinnehmbar. Ebenso sei die Forderung inakzeptabel, die russische Kultur zu verbannen. "Aus dem Brief des Kulturministers der Ukraine, den er an Claudia Roth geschrieben hat, muss man leider eindeutig lesen, dass verlangt wird, dass keine russische Literatur, keine russische Musik und kein russischer Künstler mehr auftritt", sagte Theater-Intendant Laufenberg der DW.
Das darf seiner Meinung nach nicht für ein Land gelten, das in die EU will und sich der Freiheit verschreibt. "Wenn man zur freiheitlichen Welt gehören will, dann muss man die Freiheit über alles setzen. Wenn man das nicht tut, dann gibt man sogar der Putin-Propaganda recht." Die ukrainische Kulturpolitik sei nicht gut beraten, wenn sie das Nationale über die Freiheit stelle. Freiheit müsse immer über dem Nationalen stehen, so Laufenberg.
Er versichert, dem Staatstheater Wiesbaden gehe es in erster Linie um die Freiheit der Kunst. Zugleich kritisiert er die Kulturpolitik in der Ukraine selbst: "Ich bezweifle auch, warum man Puschkin-Denkmäler stürzen muss, oder warum man Dostojewski und Tschechow aus den Bibliotheken ausräumen muss. Nachvollziehen kann ich das auch nicht. Aber wenn die Ukraine im Moment meint, dass sie das auf ihrem Staatsboden tun muss - bitte, aber dass sie meint, sie könnte bei uns bestimmen, wer auftritt oder welche russische Literatur oder Musik wir spielen, dann kann man nur sagen: Definitiv nicht."
Was Anna Netrebko betrifft, sagte der Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden: "Anna Netrebko hat einen unterschriebenen Vertrag und sie wird die Rolle der Abigaille in Verdis Nabucco singen." Damit setzt Laufenberg seinerseits einen Punkt in der Diskussion. Miguel Esteban, Manager der Opernsängerin, teilte auf DW-Anfrage mit, Netrebko gebe im Moment keine Interviews.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk. Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 16.02.2023.