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Politik

"Auftritt von Erdogan kaum zu verhindern"

29. Juni 2017

Die Bundesregierung hat eine Rede Erdogans im Umfeld des G20-Gipfels verboten. Wer das Land betreten habe, könne allerdings nicht einfach am Reden gehindert werden, sagt Staatsrechtler Hans-Peter Schneider.

Türkei Erdogan wirft Deutschland «Nazi-Praktiken» vor
Bild: Reuters/M. Sezer

Deutsche Welle: Die Bundesregierung teilte am Donnerstag mit, sie habe eine Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beim G20-Gipfel in Hamburg verboten. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erklärte laut Agenturen dazu, dass ein solcher Auftritt in Deutschland nicht möglich sei. Dazu gebe es eine verfassungsrechtliche Rechtssprechung. Worauf spielt Sigmar Gabriel genau an? 

Hans-Peter Schneider: Die Sache ist nicht einfach - sonst hätte die Bundesregierung  wahrscheinlich schon längst gehandelt. Denn: Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem jetzigen Fall überhaupt nicht beschäftigt. Es gibt stattdessen einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von März 2017, der zu einer Verfassungsbeschwerde ergangen ist. Die hatte jemand eingelegt, um zu verhindern, dass der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım in Deutschland auftritt.

Premier Yildirim war bereits Gegenstand des Bundesverfassungsgerichts Bild: picture alliance/AA/M. Aktas/Turkish Prime Ministry

Diese Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht angenommen, hat aber trotzdem - ohne Not - sich zu Fragen der Einreise und des Auftritts von Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern ausländischer Staaten geäußert. Es ist bemerkenswert, dass das Gericht dies ohne Not so ausführlich darlegt. Das Gericht sagt: Staatsoberhäupter und Mitglieder ausländischer Regierungen haben weder von Verfassung wegen noch nach einer allgemeinen Regel des Völkerrechts einen Anspruch auf Einreise in das Bundesgebiet und die Ausübung amtlicher Funktionen in Deutschland. Die Entscheidung hierüber liegt ausschließlich bei der Bundesregierung im Rahmen der auswärtigen Angelegenheiten. Hier begegnen sich die deutsche und die ausländische Regierung auf Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten.

 Die nächste Frage ist: Können ausländische Staatsoberhäupter oder Mitglieder ihrer Regierungen Grundrechte für sich in Anspruch nehmen? Das Bundesverfassungsgericht sagt: Nein, das können sie nicht, weil sie eben in amtlicher Eigenschaft ihren Staat vertreten.

Wie liegt denn nun der Fall Erdogan?

Der mögliche Auftritt von Präsident Erdogan während des G20-Gipfels in Hamburg liegt anders, weil seine Einreise zum G20-Gipfel bereits stattgefunden hat und auch nicht verhindert werden konnte. Denn Erdogan ist berechtigt, am Gipfel teilzunehmen. Er ist auch berechtigt, seine diplomatische Vertretung in Hamburg aufzusuchen. Man kann ihm nicht verbieten, auf einen Balkon des Konsulats zu treten und zu seinen Staatsbürgern zu sprechen. Es wird natürlich vorher bekannt gemacht. Dann könnte man allenfalls noch diskutieren, ob es sich bei den türkischen Bürgern, die ihm zuhören, um eine Versammlung handelt. Dann wäre es theoretisch möglich, ein Versammlungsverbot aussprechen. Das wäre aber nur rechtmäßig, wenn die Gefahr besteht, dass diese Versammlung gewalttätig verlaufen würde. Das kann man nicht annehmen. Gabriels Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt also leicht neben der Sache.

Haftbefehl gegen Erdogans Personenschützer

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Sie sagten, es ist bemerkenswert, dass sich das Gericht weitergehend geäußert hat. Was ist der Hintergrund?

Ich nehme an, dass das Bundesverfassungsgericht vorsorgen wollte - für ähnliche Fälle. Deshalb hat es den weitest denkbaren Tatbestand behandelt, nämlich die Einreise. Kurz gesagt: Wenn keine Einreise, dann auch kein Auftritt. Die Einreise kann von der Bundesregierung im Rahmen ihrer auswärtigen Gewalt verboten werden.  Aber man hat nicht bedacht, dass Staatsoberhäupter zu solchen Konferenzen wie G20 einreisen, zum Beispiel als Mitglieder einer Organisation. Wenn die betreffende Person eingereist ist - in diesem Fall konnte es Erdogan nicht untersagt werden -, dann ist die Entwicklung nicht vorhersehbar. Es besteht die Möglichkeit, dass jemand in amtlicher Eigenschaft dann doch vor Bürgern seines Staates redet. 

Die Bundesregierung will nun Auftritte ausländischer Politiker drei Monate vor einer Wahl generell untersagen. Das von Gabriel angesprochene Auftrittsverbot - wie aussichtsreich ist das eigentlich?

Professor Hans-Peter SchneiderBild: presse

Das geht gar nicht, meines Erachtens. Denn die Frage, ob hier von ausländischen Staatsoberhäuptern Wahlkampf gemacht werden kann, ist eingebettet in die Frage: Müssen wir sie überhaupt rein lassen? Deswegen würde eine solche Entscheidung der Bundesregierung im Umkehrschluss heißen: Einreise ja, Auftritt nein. Das Bundesverfassungsgericht geht jedoch viel weiter und sagt: Einreise ist der Schlüssel. Wenn das Tor verschlossen ist, gibt es auch keinen Auftritt.

Ein generelles Einreiseverbot drei Monate vor einer Wahl würde hingegen den politischen Handlungsspielraum für die Bundesregierung stark beschränken. Denn das würde nicht nur für die Türkei gelten, sondern für alle Staaten und Staatsoberhäupter. Davon kann ich nur abraten.

Professor Hans-Peter Schneider lehrte bis zu seiner Emeritierung 2003 Staats- und Verwaltungsrecht an der Technischen Universität Hannover. Zudem war er jahrzehntelang als Richter tätig, unter anderem am Verfassungsgerichtshof Sachsen. Er war Sachverständiger der Förderalismuskommission. Heute ist Schneider unter anderem geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung. 

Das Gespräch führte Stephanie Höppner. 

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