Im Kino: "24 Wochen"
22. September 2016"24 Wochen", der Hochschul-Abschlussfilm der jungen Regisseurin Anne Zohra Berrached, sorgte schon bei der Weltpremiere während der Berlinale im Februar für ein überaus aufwühlendes Kinoerlebnis. Der Film schickt die Zuschauer auf eine emotionale Achterbahnfahrt und der Spruch "Nichts für schwache Nerven", der trifft wohl auf keinen anderen deutschen Film so zu wie auf "24 Wochen".
Niederschmetternde Diagnose im Krankenhaus
Anne Zohra Berrached erzählt von dem jungen Paar Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel), die bei einer Routineuntersuchung erfahren, dass ihr Kind behindert sein wird. Die Ärzte prognostizieren das Down-Syndrom. Nachdem sich die Eltern, die bereits eine Tochter haben, zunächst für das Kind entscheiden, werden sie bei einer zweiten Untersuchung mit einer weiteren schweren Missbildung des Kindes konfrontiert: Ein Herzfehler würde direkt nach der Geburt mehrere komplizierte Operationen notwendig machen. Weitere verlässliche Prognosen können auch die Spezialisten im Krankenhaus nicht liefern
Astrid und Markus stehen vor der Frage: Sollen sie sich zu einer Spätabtreibung entschließen? Und wie gehen sie mit der dann möglichen Entscheidung um, dass das Kind dann noch vor der Geburt im Mutterleib mit einer Kalium-Chlorid-Spritze getötet werden müsste?
Berrached: "'Schicksal' wird zu einer ethischen, juristischen, philosophischen Frage"
Regisseurin Anne Zohra Berrached hat akribisch recherchiert, sich monatelang mit der schwierigen Materie befasst. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach der zwölften Woche nur dann legal, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Treffen diese Dinge zu, dann ist ein Abbruch der Schwangerschaft bis zur Geburt möglich. "Das 'Schicksal' wird zu einer ethischen, juristischen, philosophischen Frage", sagt die Regisseurin. "Die Eltern haben die Wahl, sie entscheiden über Leben und Tod." Was sie dagegen nicht hätten, sei die Wahl, sich vor dieser Entscheidung zu entziehen.
Im Laufe ihrer Recherche hat Berrached mit Betroffenen und Ärzten, mit medizinischen Spezialisten und anderen Experten zusammengearbeitet. Das medizinische Personal im Film wird nicht von Schauspielern gespielt, sondern von richtigen Ärzten. Diese Mischung aus Fiktion und Realität wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass am Set viel improvisiert wurde. Und so gewinnt "24 Wochen" an noch mehr Authentizität.
Gelungenes Zusammenspiel von Profis und Laien
"Beim Dreh war mein primäres Ziel, das Spiel der Laien- und Profidarsteller unsichtbar, real und authentisch werden zu lassen", so die junge Regisseurin. Das ist ihr gelungen. Mit unglaublicher Intensität erwecken Julia Jentsch, Bjarne Mädel, die anderen Profidarsteller sowie die Laien die Figuren auf der Leinwand zum Leben. So hat man in keiner Szene das Gefühl, hier werde eine extreme medizinische und menschliche Notsituation lediglich für ein Film- oder Fernsehpublikum vorexerziert. Sie habe versucht, ihre Geschichte in minutiöser Genauigkeit, Direktheit und Wucht zu erzählen, sagt Berrached.
So muss sich der Zuschauer schon nach wenigen Filmminuten mit der Frage auseinandersetzen, wie er selbst in einer solch schwierigen Situation reagieren würde. "'24 Wochen' konfrontiert die Zuschauer mit einer Frage, die jeder nur für sich selbst beantworten kann", gibt sich die Regisseurin überzeugt.
Der Zuschauer wird aufgefordert mitzudenken
Dabei lässt die Filmemacherin Raum für beide Positionen. Für diejenigen, die zu einem Spätabbruch tendieren, wie die im Film von Jentsch verkörperte Mutter, aber auch für diejenigen, die menschliches Leben über alles andere stellen. "Auch die Zuschauer, die für sich entschieden haben, dass sie Abtreibungen ablehnen, sollen im Kinosaal einer Frau emotional folgen, die genau das tut, was sie möglicherweise verteufeln", sagt Berrached. Der Film stelle eine Extremsituation dar, die zu einer extremen Entscheidung führt.
Schauspielerin Julia Jentsch betont, dass es erst einmal wichtig sei, über das Thema überhaupt zu reden. "24 Wochen" beschäftige sich mit einem Sujet, das noch vielfach tabuisiert wird. Man müsse mit Offenheit darüber reden - und man müsse unbedingt versuchen, Verständnis zu entwickeln - für was auch immer sich die betroffenen Menschen entscheiden.
"Der technische Fortschritt und die immer bessere Diagnostik haben zur Folge, dass wir manchmal vor Entscheidungen stehen, für die es keine moralischen Richtlinien gibt", ergänzt Anne Zohra Berrached: "Mich interessiert der moralische Konflikt als Ergebnis unserer modernen medizinischen Welt."
Emotionale Achterbahnfahrt im Kino
Ohne Zweifel: Es dürfte kaum einen Zuschauer geben, den der Film kalt lässt. Bei der Berlinale bemängelten einige Kritiker, dass sie sich von dem Film emotional erpresst fühlten, weil man als Zuschauer keine Chance habe, sich dem emotionalen Druck des Geschehens auf der Leinwand zu entziehen. Gegenfrage: Warum soll man es als Zuschauer leichter haben als die Betroffenen im richtigen Leben? Die junge Regisseurin Anne Zohra Berrached hat für ihr überaus schwieriges Thema eine passende filmische Form gefunden. Das ist ihr hoch anzurechnen.