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Chodorkowski in Berlin

Bettina Marx20. Dezember 2013

Die erste Nacht in Freiheit verbringt der ehemalige russische Häftling Michail Chodorkowski in Berlin. Der Putingegner landete am Nachmittag in der deutschen Hauptstadt. Am Flughafen erwartete ihn Hans Dietrich Genscher.

Die Zufahrt zum Lager im Norden Russlands, in dem Chodorkowski saß (Foto: Reuters)
Die Zufahrt zum Lager im Norden Russlands, in dem Chodorkowski saßBild: Reuters

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Michail Chodorkowski sei auf dem Weg nach Berlin, meldeten Agenturen am frühen Nachmittag. Der ehemalige Milliardär und wegen Korruption und Betrugs verurteilte Ölmagnat, Kremlkritiker und Putinfeind war am Morgen überraschend aus der Haft entlassen worden, nachdem der russische Präsident ihn begnadigt hatte. Das Urteil gilt weithin als politisch motiviert.

Eilmeldung vor dem Weihnachtsurlaub

Als die Eilmeldung eintraf, hatte sich das politische Berlin schon fast in den Weihnachtsurlaub verabschiedet. Die meisten Redaktionen waren bereits ausgedünnt oder verwaist. Ein ruhiger Tag am Ende von aufregenden und aufreibenden politischen Wochen schien ein frühes und geruhsames Ende zu finden. Im winterlichen Berlin lockten Weihnachtsmärkte und festlich geschmückte Geschäfte zu einem Feierabendbummel. Auch in den Ministerien war zu dieser Stunde offenbar nur noch eine Notbesetzung anzutreffen. Jedenfalls waren die Pressestellen von den sich plötzlich häufenden Anfragen der Journalisten nach Chodorkowski überrascht und wohl auch überfordert.

Hatte der berühmteste russische Gefangene nach seiner Freilassung ein Visum für Deutschland bekommen? Oder wollte er in der Bundesrepublik etwa Asyl beantragen? Sollte Deutschland nur eine Zwischenstation sein auf seinem Weg in die USA oder in die Schweiz? Welche deutsche Stadt steuerte er an und reiste er allein oder mit seiner Familie? Auf all diese Fragen gab es keine Antworten. Das Innenministerium verwies an das Auswärtige Amt. Dort wollte man noch nicht einmal bestätigen, dass Chodorkowski auf dem Weg nach Deutschland sei. Das Kanzleramt hüllte sich gänzlich in Schweigen.

Mit dem Hubschrauber fliegt Chodorkowski aus dem Lager nach St. PetersburgBild: Reuters

Chodorkowskis Mutter in Berlin?

Irgendwie kam dann das Gerücht auf, Chodorkowskis Mutter werde wegen ihrer Krebserkrankung in einem deutschen Krankenhaus behandelt. Der Sohn wolle sie dort treffen. Doch dieses Gerücht zerschlug sich rasch wieder. Marina Chodorkowskaja meldete sich aus der Gegend um Moskau zu Wort. Sie sei in Russland und habe mit ihrem Sohn nach seiner Entlassung noch keinen Kontakt gehabt, sagte sie.

Ein neues Gerücht löste das alte ab: Mutter und Sohn seien beide auf dem Weg nach Berlin, Chodorkowski komme aus St. Petersburg und seine Mutter aus Moskau. In der deutschen Hauptstadt wollten sich die Beiden in die Arme nehmen.

Vor Gericht sah sie ihren Sohn zum letzten Mal: Marina Chodorkowskaja, die Mutter des Ex-HäftlingsBild: picture-alliance/dpa

Auf dem Ankunftsplan von Berlin Tegel waren drei Maschinen aus Russland verzeichnet. Alle drei sollten fast zur gleichen Zeit in Berlin landen. Die ersten Kamerateams wurden zum Flughafen im Norden von Berlin geschickt. Doch sie stürzten sich vergeblich in den Feierabendverkehr, denn inzwischen war bekannt geworden: Chodorkowski war im Privatjet unterwegs und werde in Schönefeld südlich von Berlin landen. Der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hatte ihm den Privatjet des Unternehmers Ulrich Bettermann geschickt.

Genscher erwartete seinen Schützling dann auch am Flughafen und nahm ihn in seiner Limousine mit nach Berlin ins noble Hotel Adlon am Brandenburger Tor. Dort versammelten sich alsbald die ersten Reporter und Kamerateams, unter ihnen viele russische Journalisten, die in der winterlichen Kälte warteten. Irgendwann, so die Hoffnung, werde Genscher die Öffentlichkeit informieren. Per Telefon hatte der FDP-Politiker diversen Nachrichtenagenturen inzwischen bestätigt, dass er mit Chodorkowski in Berlin sei. Dem Spiegel sagte er, die Mutter des Ex-Gefangenen werde am Samstag nach Deutschland reisen, um ihren Sohn nach dessen zehnjähriger Haftzeit zum ersten Mal wieder zu sehen. Chodorkowski habe in der Hektik seines Aufbruchs gar nicht erfahren, dass seine Mutter nicht mehr in Berlin sei, wo sie mehrere Monate lang behandelt worden war. Sein Gnadengesuch habe er überhaupt erst gestellt, nachdem er erfahren habe, dass die geliebte Mutter erneut an Krebs erkrankt sei.

In der Limousine des ehemaligen Außenministers in die FreiheitBild: Reuters

Warten vor dem Adlon

Die Journalisten vor dem Adlon warteten vergeblich. Als Genscher das Hotel verließ, um im nahelegenen ARD-Hauptstadtstudio ein Interview zu geben, bestätigte er ihnen nur, dass Chodorkowski noch in Berlin sei. Zuvor hatten Gerüchte die Runde gemacht, er sei schon in die Schweiz weiter geflogen.

Inzwischen waren auch die Pressestellen der Bundesregierung wieder aus ihrer Schockstarre erwacht. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einer guten Nachricht. Das Auswärtige Amt hatte Chodorkowski bei der Einreise geholfen. Er könne zunächst in Deutschland bleiben, oder auch weiterreisen. Aus dem Kanzleramt verlautete, Bundeskanzlerin Angela Merkel freue sich über die Freilassung Chodorkowskis und danke dem ehemaligen Außenminister Genscher für seine Bemühungen.

Auch Chodorkowski selbst meldete sich am Abend mit einer schriftlichen Stellungnahme zu Wort. Darin wies er die Meldungen zurück, er habe mit seinem Gnadengesuch ein Schuldeingeständnis abgelegt. Er dankte seinen Unterstützern und besonders Genscher für dessen Anteilnahme an seinem Schicksal. Nun wolle er vor allem zunächst seine Familie wieder sehen.

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