Aus für Traditionsblatt in Ungarn
10. April 201880 Jahre lang erschien die einst bürgerliche Zeitung "Magyar Nemzet" in Ungarn. Nun kann sie ihr Eigentümer nicht mehr finanzieren. Das Blatt kündigte ihr eigenes Ende auf ihrer Webseite an: "Wegen finanzieller Probleme haben die Besitzer entschieden, die Medienproduktion ab dem 11. April zu beenden. 'Magyar Nemzet' und ihre Onlineversion werden schließen."
"Magyar Nemzet" gehört dem Oligarchen Lajos Simicska, der zunächst Schulfreund, und dann enger Vertrauter des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán war. Nach einem Streit mit Orbán im Jahr 2015 ließ Simicska seine Medien, darunter die Magyar Nemzet, auf einen regierungskritischen Kurs einschwenken. Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl am vergangegen Sonntag berichtete die Zeitung über mutmaßliche Korruptionsfälle im Umfeld Orbáns.
Teil eines Unternehmensimperiums
Die Zeitung erschien zum ersten Mal 1938. Damals galt die Zeitung als Flaggschiff des bürgerlichen Journalismus. Im Jahr 2000 übernahm Simicska die Kontrolle über das Blatt, als Orbán erstmals Ministerpräsident war. Simicska war nach der demokratischen Wende 1989 in den Besitz von Plakatwerbeunternehmen gekommen. Mit den Gewinnen finanzierte er in den 1990er-Jahren Orbáns Fidesz-Partei. Er baute ein Unternehmensimperium auf, zu dem auch große Bauunternehmen gehörten.
Vor allem unter der zweiten Orbán-Regierung von 2010 bis 2014 versorgte die Regierung Simicskas Bauunternehmen mit umfangreichen Aufträgen. So konnte Simicska die Verluste einiger seiner Medienunternehmen, damals als Sprachrohre der Orbán-Regierung tätig, abdecken.
Die Rache Orbáns
Nach dem Bruch mit dem Regierungschef verloren Simicskas Unternehmen aber so gut wie alle öffentlichen Aufträge. Wie weiter bekannt wurde, muss der Oligarch auch den Radiosender "Lanchid" einstellen. Bedroht ist außerdem die Wochenzeitung "Heti Valasz", wenn sich kein Käufer findet. Der Nachrichten-Fernsehsender "Hir TV" bleibe hingegen bestehen, hieß es. Die Redaktion müsse aber kräftige Einsparungen hinnehmen.
Die Einstellung der Zeitung zwei Tage nach der Parlamentswahl schockierte die Mitarbeiter: "Wir fühlen uns wie nach einem Terroranschlag", sagte der stellvertretende Chefredakteur György Zsombor dem Portal "24.hu". "Simicska verbrachte das vergangene Jahr damit, sich an Orbán zu rächen. Seine Medien haben ihm dabei geholfen", sagte der Experte für politische Strategie Tamas Boros. "Jetzt, da er die Ergebnisse der Wahlen sieht, rechnet Simicska wiederum mit der Rache Orbáns und gibt seinen Kampf auf." Für den Experten hat das Ende der Zeitung damit auch eine politische Dimension.
Hoffen auf Investoren
Die Mitarbeiter hoffen jetzt, doch noch einen Käufer für das Blatt oder zumindest für das dazugehörige Online-Portal zu finden. Als potenzieller Investor meldete sich bereits der Politiker Péter Ungár. Er wolle noch diese Woche ein Kaufangebot unterbreiten, sagte er dem Portal "hvg.hu". Das Präsidiumsmitglied der Oppositionspartei "Politik kann anders sein" (LMP) ist über eine Erbschaft Miteigentümer eines großen Budapester Immobilienunternehmens. Das teilt er sich allerdings mit seiner Mutter Maria Schmidt, eine Unterstützerin Orbáns.
Die einzigen unabhängigen Medien in Ungarn mit großer Reichweite sind ab sofort das Newsportal "Index.hu", geleitet von Vertrauten Simicskas, und die RTL Television Group des deutschen Unternehmens Bertelsmann.
Die Fidesz-Partei von Regierungschef Orbán hatte die Parlamentswahl am vergangenen Sonntag deutlich gewonnen. In der neuen Volksvertretung wird sie über eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit verfügen. Auf einer Pressekonferenz an diesem Dienstag in Budapest wollte sich Orbán nicht näher zur Einstellung der Zeitung äußern: "Bekanntlich beschäftigen wir uns nicht mit geschäftlichen Dingen. Die Eigentümer entscheiden das, wie sie wollen", sagte er.
pgr/sti (dpa, rtr)