1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aus Mannheim die Truppen im Kongo steuern

22. Oktober 2009

1994 fand in Ruanda einer der schlimmsten Völkermorde statt. Im Nachbarland Kongo wüten die Täter aus Ruanda weiter, organisiert in der Rebellen-Miliz FDLR. Ihr Chef wird international gesucht und lebt frei in Mannheim.

Ehemalige FDLR-Offiziere (Foto: DW)
Ehemalige FDLR-Offiziere bestätigen, dass ihr Ex-Chef von Mannheim aus die Angriffe der FDLR im Kongo leitetBild: Simone Schlindwein

Das Reintegrationslager Mutobo im Nordwesten Ruandas liegt symbolträchtig am Fuße der Vulkane, die Ruanda vom Kongo trennen. Gesang hallt aus der Wellblech-Halle mit den Plexiglas-Fenstern. Über 300 Männer und zwei Frauen sitzen auf Holzbänken, wie in einer Kirche. Mit einem ruandischen Lied begrüßen die ehemaligen Milizionäre UN-Mitarbeiter. Das Camp ist die erste Station für die entwaffneten FDLR-Kämpfer auf dem Weg in ein friedliches Leben in ihrer Heimat, Ruanda. Die ruandische Hutu-Miliz FDLR führt vom Kongo aus seit 15 Jahren Krieg gegen die Tutsi-Regierung in Ruanda. In ihr tummeln sich zahlreiche Täter des Völkermordes.

Hinter der Wellblech-Halle hockt Matthew Brubacher von der UNO mit vier Offizieren im Gras. Er drückt den Ex-Rebellen ein FDLR-Organigramm in die Hand. Dann schlägt er sein dickes Notizbuch auf. Rang für Rang, Name für Name, Funktion für Funktion geht er mit ihnen die FDLR-Hierarchie durch: Wer gibt die Befehle? Wer ist für Finanzen, Strategien, Ideologie zuständig? Nur zögerlich antworten die Männer. Sie wollen ihre Namen nicht nennen. Einige haben Morddrohungen erhalten. Sie haben Angst: Denn der FDLR-Präsident, Ignace Murwanashyaka, lebt in Deutschland und weiß genau, was in den Medien berichtet wird. Ein ehemaliger Major erklärt, wie die Befehlsstruktur aufgebaut ist. "Die Struktur zeigt einen politischen und einen militärischen Flügel. Murwanashyaka ist Chef des politischen Flügels, aber er hat auch die Hoheit über das Militär." Der oberste General der Streitkräfte, Sylvestre Mudacumura, so der Ex-Major, sei sein treuer Untergebener und guter Freund von ihm. "Ich habe die beiden beobachtet, als Murwanashyaka im Kongo seine Truppen besuchte. Er wird sehr verehrt und von allen respektiert. Er hat wie ein Staatsoberhaupt sogar eine Leibgarde von 30 Soldaten."

Flüchtlingslager im Ostkongo: im Kongo fliehen Tausende vor der FDLRBild: picture-alliance / dpa

Die Befehle kommen aus Mannheim

Die UNO hat Listen der Verbindungen zwischen Murwanashyakas Festnetztelefon in Mannheim und Mudacumuras Satellitentelefon im Kongo. Diese bezeugen: Die beiden telefonieren regelmäßig miteinander. Zwischen Dezember 2008 und März 2009 wurden über 40 Gespräche verzeichnet. Die Anrufe wurden häufiger, wenn sich die FDLR in einer brenzligen Lage befand, wie bei der jüngsten Militäroperation gegen sie im Februar. Dies bestätigt auch der ehemalige FDLR-Militärgeneral, Paul Rwarakabije. Er war bis 2003 Mudacumuras Vorgänger, dann hat er die Miliz verlassen. "Wenn die Situation schwierig war, haben wir alle drei Tage miteinander gesprochen. Sonst einmal die Woche. Ich musste ihm die Situation schildern." Murwanashyaka habe sie dann über die politischen Ziele informiert, seine Ideen geäußert, der General setzte sie militärisch um. "Meistens kommunizierten wir per Satellitentelefon oder per Funk bis nach Brazzaville und von dort aus per Email nach Deutschland."

Die langsamen Mühlen der Justiz

Dass sich der FDLR-Präsident in Deutschland aufhält, ist kein Geheimnis. Politik und Justiz sind darüber informiert, doch die Justiz in Deutschland bewegt sich nur langsam. Derzeit befinden sich mehrere Verfahren gegen Ignace Murwanashyaka in verschiedenen Instanzen in der Schwebe: Bei diesen Verfahren geht es um die Aberkennung seines Asylstatus. Murwanashyaka ist seit 2000 in Deutschland als Flüchtling anerkannt. Laut seinen Asylauflagen darf er sich jedoch nicht politisch Betätigen. Deswegen verurteilte ihn ein Richter auf sechs Monate Freiheitsentzug – auf Bewährung. Nun muss er 160 Arbeitsstunden in Deutschland ableisten.

Im Reintegrationslager in Mutobu - das Camp ist für die ehemaligen FDLR-Rebellen erste Station auf dem Weg zurück nach RuandaBild: Simone Schlindwein

Im Jahr 2008 hat die ruandische Generalstaatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl ausgeschrieben. Murwanashyaka ist ruandischer Staatsbürger und seiner Organisation werden zahlreiche Menschenrechtsverbrechen in Ruanda vorgeworfen. Dieser Haftbefehl ist auch bei den deutschen Behörden eingegangen. Doch Deutschland hat eine Auslieferung an Ruanda für nicht zulässig erklärt. Die ruandische Justiz wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, da in Ruanda kein faires Verfahren garantiert werden könne.

Ganz oben auf der Liste

Doch wo dem FDLR-Chef letztlich der Prozess wegen der Verbrechen seiner Organisation an der Menschlichkeit gemacht wird - in Ruanda oder Deutschland - das ist für den ruandischen Generalstaatsanwalt, Martin Ngoga nicht entscheidend. "Er ist der Präsident einer bewaffneten Gruppe, die unzählige unschuldige Menschen umgebracht hat und die weiterhin mordet." FDLR sei als terroristische Gruppe eingestuft, so Nogga. "Es wäre unglücklich, wenn die Ernsthaftigkeit dieses Falles in Berlin nicht erkannt wird. Wir hoffen, dass nun, nach all der schon verstrichenen Zeit, die Ermittlungen in Deutschland endlich in Gang kommen. Die Notwendigkeit, zu handeln, wächst jeden Tag."

Martin Ngoga hofft auf seine Kollegen in Deutschland. Denn der Fall Ignace Murwanashyaka steht bei ihm ganz oben auf der Prioritätenliste. Immerhin sucht Ruanda seit 15 Jahren nach Dutzenden flüchtigen Tätern des Völkermordes von 1994, bei dem über 800.000 Menschen, meist Tutsis, innerhalb von nur drei Monaten von Armee und Hutu-Milizen abgeschlachtet wurden. Doch viele dieser Flüchtigen sind heute Mitglieder der FDLR – deswegen könnte die Zerschlagung dieser Rebellengruppe einen wichtigen Schritt zum Frieden in der Region der Großen Seen beitragen. Und den 1,5 Millionen Menschen, die in Ostkongo auf der Flucht sind, eine Möglichkeit geben, wieder nach Hause zurückzukehren.

Autorin: Simone Schlindwein
Redaktion: Manfred Götzke

Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen