Ausbeutung in Russland: Drohnen bauen statt Ausbildung
13. Juni 2025
"Ich mag Russland, seine Sprache und Kultur", sagte die 20-jährige Aminata zur DW. Sie will in ein paar Wochen ihr Heimatland Sierra Leone verlassen, um im fernen Russland eine Ausbildung zu machen. Ihre Reisekosten übernimmt das Programm "Alabuga Start", benannt nach einem Industriegebiet im Südwesten Russlands, in dem es sogar Wohnheime für die Programmteilnehmenden gibt.
Aminata ist kein Einzelfall: Das Programm stellt Bewerberinnen aus ärmeren Ländern eine gut bezahlte Karriere in Aussicht. Im öffentlichen Telegram-Kanal des Arbeits- und Studienprogramms werden regelmäßig freudestrahlende junge Afrikanerinnen gezeigt.
Traum vom besseren Leben platzt
Für die meisten platzt der Traum kurz nach der Ankunft in der Sonderwirtschaftszone Alabuga, einem großen Industriegebiet in der südwestrussischen Region Tatarstan: Anstatt in Produktionsstätten professionell ausgebildet zu werden, müssen viele von ihnen unter schlechten Bedingungen Russlands Kriegswirtschaft am Laufen halten und billige Drohnen zusammenschrauben. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein im Mai veröffentlichter Bericht der Globalen Initiative gegen Transnationale Organisierte Kriminalität (GI). Aminata aus Sierra Leone sagt, davon habe sie bislang nichts gehört.
Die DW hat zahlreiche Programmteilnehmerinnen kontaktiert; die meisten wollen aus Angst vor Repressalien nicht darüber sprechen. Chinara, eine junge Nigerianerin, war zu einem Interview per Messenger-Chat bereit: "Sie haben uns zu Schwerstarbeitern mit niedrigem Lohn gemacht", schreibt die junge Frau im Chat mit der DW. Sie gehört zu den Teilnehmern des Alabuga-Programms, die Russland enttäuscht verließen. "Zuerst fühlten wir uns gut, denn als wir uns bewarben, wurden uns Bereiche wie Logistik, Service und Catering, Kranführer angeboten", schreibt Chinara, deren Name von der Redaktion verändert worden ist, um ihre Identität zu schützen.
Das sei eine seltene Gelegenheit für Mädchen aus Afrika, in diesen Berufen Fuß zu fassen, fügt sie an. "Aber als wir hier ankamen, änderten sie alles und lieferten Ausreden." Einige wurden der Fabrik zugewiesen, in der Drohnen montiert werden, andere beaufsichtigten die Drohnenproduktion, und der Rest arbeitete als Reinigungskräfte. Die jungen Frauen seien "hochgefährlichen und lebensbedrohlichen Chemikalien" ausgesetzt worden, schreibt Chinara. Dennoch habe die Programmleitung nicht die Verantwortung für die sich verschlechternde Gesundheit der Teilnehmerinnen übernehmen wollen: "Sogar die Russen selbst arbeiten dort nicht lange, weil es ein sehr gefährlicher Ort ist."
Ein Zentrum der Kriegswirtschaft
Alabuga gilt als ein Zentrum der Kriegswirtschaft von Russlands Staatschef Wladimir Putin. Dort werden Drohnen vom Typ Geran-2 auf Basis des iranischen Modells Shahed-136 hergestellt, die in großer Stückzahl eine tragende Rolle für Angriffe auf die Ukraine spielen. Seit Anfang Mai hat Russland seine nächtlichen Drohnen-Angriffe noch einmal intensiviert und lenkt fast jede Nacht Hunderte der billigen Kamikaze-Drohnen in Richtung ukrainischer Städte.
Die Sonderwirtschaftszone Alabuga ist bereits 2006 eingerichtet worden, um Unternehmen und Investitionen nach Tatarstan zu bringen. Nach der Invasion in die Ukraine 2022 expandierte die Einrichtung rasch, und Teile wurden auf die militärische Produktion umgestellt, indem neue Gebäude hinzugefügt oder renoviert wurden, wie Satellitenbilder zeigen.
Aus dem kriegszermürbten Russland wird immer wieder von Arbeitskräftemangel berichtet. Dabei geraten Arbeitsmigranten aus dem globalen Süden offenbar stärker in den Fokus der Anwerber: 2024 kamen laut Zahlen der staatlichen Datenbank UIISS mehr als 111.000 afrikanische Arbeiter ins Land - und damit um 50 Prozent mehr als noch im ersten Kriegsjahr 2022. Das stärkste Wachstum verzeichneten Kameruner, viele andere kamen aus Nigeria, Burkina Faso, Togo, der Zentralafrikanischen Republik sowie Gambia.
Ausbeutung in Alabuga
Fast alle diese Länder tauchen auch in der GI-Studie im Zusammenhang mit Alabuga Start auf. Das Programm soll wohl helfen, die personellen Lücken in der Rüstungsindustrie zu schließen: Anfangs wurden demnach vor allem junge Frauen zwischen 18 und 22 Jahren aus afrikanischen Ländern angeworben. Inzwischen sei das Programm auf andere Entwicklungsländer in Asien und Lateinamerika sowie auf mehrere ehemalige Sowjetrepubliken ausgeweitet worden.
Die Autorinnen und Autoren der Studie werteten Daten und Chats aus und führten etwa 60 Interviews zwischen Dezember 2024 und März 2025. Ko-Autorin Julia Stanyard hebt gegenüber DW hervor, dass auch minderjährige Mädchen für die Drohnenproduktion von der Ausbildungsstätte Alabuga Polytech, die sich ebenfalls auf dem Produktionsgelände befindet, anheuerten. Sie seien teilweise erst 16 Jahre alt, so Stanyard.
"Die Arbeitsbedingungen sind ausbeuterisch, die jungen Frauen sprachen von langen Arbeitsstunden und Überwachung durch das Alabuga Management. Sie arbeiten mit Chemikalien, die ein Risiko für ihre Gesundheit darstellen", sagt Stanyard und untermauert damit die Aussagen der jungen Nigerianerin Chinara. Vorwürfe der Belästigung und des Rassismus tauchten häufig auf.
Hinzu komme die lebensbedrohliche Lage vor Ort, denn das ukrainische Militär greife die militärischen Produktionsstätten an, sagt Stanyard. Der GI-Bericht zitiert russische Medien, wonach im April 2024 Arbeitskräfte verletzt und im Dezember 2024 die Fabrik evakuiert werden musste. Die Ukraine vermeldete damals eine abgebrannte Lagerhalle; auch im April 2025 habe man das rund 1000 Kilometer tief in Russland liegende Industriegebiet wieder angegriffen.
"Unsere Tochter erzählt von Zwangsarbeit"
"Das Programm scheint einer Form von betrügerischer Ausbeutung zu ähneln", sagt Stanyard zur DW. Ihnen werde bei der Anwerbung nicht gesagt, was sie produzieren würden. Viele junge Mädchen sitzen in Alabuga in der Falle, eine Ausreise scheint unmöglich. In Simbabwe sorgen sich Eltern um ihre Kinder, die sich online beworben und mit einem von Alabuga bezahlten Flugticket nach Russland aufgemacht hatten.
Die Mutter eines Mädchens aus dem ländlichen Norden Simbabwes klagt über das Leid ihrer Tochter: "Sie wollte ihre technische Ausbildung fördern. Jetzt erzählte sie uns von Zwangsarbeit, sie darf kaum ihr Telefon benutzen und wird überwacht. Die versprochenen 1500 US-Dollar hat sie nicht erhalten", sagte sie zur DW. "Jetzt kann ich sie noch nicht mal zurückholen." Die Verantwortlichen bei Alabuga, denen sie vertraut hätte, würden schweigen.
Ein Vater eines Mädchens, das aus Simbabwe in die Alabuga-Zone ausreiste, sagte zur DW, es sei ein Alptraum, dass sich ein angeblich glaubwürdiges Trainingsprogramm in "eine Todesfalle" verwandelt hätte. Und eine Mutter in der Hauptstadt Harare erzählte der DW von ihrer 20-jährigen Tochter in Alabuga. Auch sie sollte eine technische Ausbildung durchlaufen. "Sie macht aber etwas ganz anderes. Wir können kaum mit ihr sprechen, ihr Pass ist einbehalten worden, damit sie nicht weglaufen kann", sagt die Frau zur DW.
Interpol ermittelt in Botsuana
Im Nachbarland Botsuana hat das Ausbildungsprogramm inzwischen die Ermittler auf den Plan gerufen: Interpol hat sich eingeschaltet und überprüft, ob die Anwerbeorganisation Alabuga Start in Menschenhandel verwickelt ist.
"Die Scheinfassade von Alabuga beginnt etwas zu bröckeln", glaubt Stanyard. Einige Länder wie Kenia, Uganda und Tansania seien aufmerksamer geworden für die Risiken des Programms und hätten Investigationen gestartet. Dennoch schränkt Stanyard ein: "Viele dieser Regierungen setzen auf die Ausbildung von Arbeitskräften außer Landes und sehen das als gute Sache an." Nach wie vor träfen sich Alabuga-Repräsentanten mit afrikanischen Diplomaten, um aktiv für das Programm zu werben.
Eine Anfrage der DW zu den Arbeitsbedingungen ließ Alabuga Start unbeantwortet.
Mitarbeit: Garikai Mafirakureva (Simbabwe) und Aleksei Strelnikov (Bonn)