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Das Grauen von Auschwitz

Sarah Judith Hofmann26. Januar 2015

Die Erinnerung an Auschwitz ist in Deutschland heute nicht mehr wegzudenken. Doch es dauerte, bis die Bilder des Grauens ins deutsche Gedächtnis drangen. Es waren vor allem Kulturschaffende, die dafür sorgten.

Deutschland KZ zweiter Weltkrieg Konzentrationslager Auschwitz Gleise
Bild: picture alliance/dpa

Manchmal braucht es nur ein Wort – und alles ist gesagt. Auschwitz. Dieser eine Name steht für den gesamten Holocaust, für die sechs Millionen ermordeten Juden. Und für die weiteren Millionen Menschen, die von 1933 bis 1945 von den Nazis brutal umgebracht wurden.

Man könnte auch sagen: Es braucht nur ein Bild – und das Grauen ist wieder präsent. Das Tor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Davor: Eisenbahngleise. Den Rest liefert das kollektive Gedächtnis: die Züge, ja Viehwaggons, voller Menschen – Kinder, Frauen, junge Männer, Alte – wie sie nach tagelanger - manchmal auch wochenlanger - Fahrt ohne Wasser und Essen ankommen. Noch immer ein Hoffnungsschimmer in den Augen.

Mengele – noch so ein Name des Schreckens

Die wenigsten dieser Menschen wussten, was sie in Auschwitz erwartete: der Tod. Er kam nicht selten noch gleich am Bahnsteig zwischen den zweispurigen Gleisen, der sogenannten "Rampe", in Gestalt des KZ-Arztes Josef Mengele – noch so ein Name, der sofort Assoziationen auslöst. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano erinnert sich: "Der Dr. Mengele, der hat sich vor uns hingestellt, und dann hat er eine Handbewegung gemacht. Mit seinem Daumen zeigte er entweder nach links oder nach rechts. Wenn er nach links gezeigt hat, da hatte man noch eine Galgenfrist, nach rechts, das hieß: Du gehst ins Gas."

Esther Bejarano

06:13

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Mehr als eine Millionen Menschen wurden in Auschwitz ermordet – die meisten von ihnen Juden, die gleich nach ihrer Ankunft in die Gaskammern getrieben wurden. Aber auch Polen, Sinti und Roma. Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa.

Auschwitz ist real – und zugleich ein Symbol für alle Verbrechen der Nazis

Gemordet wurde nicht allein in Auschwitz. Auch Majdanek, Treblinka, Belzec und Sóbibor waren Vernichtungslager, in denen Menschen wie am Fließband einer Fabrik ermordet wurden. Und auch in allen anderen Konzentrationslagern wie Ravensbrück, Dachau, Buchenwald, Mauthausen und vielen weiteren wurden Menschen systematisch getötet, indem man sie durch schwere Arbeit, Folter, Hunger oder durch Erschießen zu Tode brachte. Ganz zu schweigen von den Massenerschießungen in der Schlucht von Babyn Jar in der Nähe von Kiew oder im Wald von Ponar in der Nähe von Vilnius, um nur zwei zu nennen.

Und doch: Auschwitz ist das Symbol für all diese Orte. Denn dort wurde das industrialisierte Morden der Nazis auf die Spitze getrieben. Nirgendwo sonst wurden in so kurzer Zeit so viele Menschen auf so perfide Weise umgebracht.

Esther Bejarano im Januar 2015 mit Papst FranziskusBild: Reuters/Osservatore Romano

Die Krematorien rauchten Tag und Nacht. Nachdem man die Menschen grausam mit dem Giftgas "Zyklon B" erstickt hatte, wurden sie verbrannt. Auch dies eines der Bilder, die Esther Bejarano mit eigenen Augen gesehen hat, und die sie nie vergessen wird. Denn sie – wie viele andere Holocaust-Überlebende – geben diese Bilder weiter, indem sie unermüdlich von den Verbrechen erzählen: in Schulen, in Talk-Shows, vor wenigen Wochen erst war die 90-Jährige Esther Bejarano beim Papst.

Woher kommen die Bilder?

Doch es war nicht immer so, dass den Überlebenden so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nach dem Krieg wollte in Deutschland erst einmal keiner etwas gehört, gesehen, gerochen haben. Auch nicht die Menschen, die nur wenige Gehminuten vom KZ Bergen-Belsen entfernt gewohnt hatten und die die britische Armee schließlich durch das Konzentrationslager schickte – um mit eigenen Augen die Berge von Leichen und die halb verhungerten Menschen zu sehen, eher Skeletten denn Lebendigen ähnlich. Die Briten machten in Bergen-Belsen Filmaufnahmen. Ein großer Dokumentarfilm sollte daraus entstehen, nicht nur über Bergen-Belsen, auch Aufnahmen der russischen Armee nach der Befreiung von Auschwitz sollten in diesen mit einfließen. Der große Regie-Star Alfred Hitchcock wurde beauftragt, sich des Materials anzunehmen.

Doch der Film blieb erst einmal unveröffentlicht. Die Deutschen so sehr mit ihrer Schuld zu konfrontieren schien Briten und Amerikanern in Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr angemessen. Es dauerte Jahrzehnte, bis eine Diskussion um die Schuld von Auschwitz die deutsche Öffentlichkeit erreichte. Doch dann war sie nicht mehr wegzudenken.

Bild: picture alliance / AP Photo

Die Frankfurter Auschwitz-Prozesse und Peter Weiss

Ein Wendepunkt der Auseinandersetzung der Deutschen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten – und ihrer eigenen Schuld – waren die Frankfurter Auschwitzprozesse von 1963 bis 1965. Erstmals wurde den Überlebenden zugehört, als sie von den Gräueltaten und detailgenau vom System Auschwitz berichteten, das nicht allein aufs Morden am Fließband ausgerichtet war, sondern auch auf die perfekte Ausbeutung der Arbeitskraft und Ressourcen der Opfer.

Angeschlossen an Auschwitz I (wo in erster Linie politische Häftlinge untergebracht waren) und Auschwitz-Birkenau (ein riesiges Areal, auf dem sich sowohl Baracken als auch Gaskammern und Krematorien befanden) war Auschwitz III Monowitz, ein Industrieareal, in dem Firmen wie I.G. Farben Profit machten. Und neben dem Zahngold und der Kleidung waren selbst die Haare der Ermordeten noch zu Geld gemacht worden, das in deutschen Kassen landete. Bilder, die sich heute im kollektiven Gedächtnis verankert haben: Berge von Haaren, von Schuhen, von Brillen.

Als die Briten Bergen-Belsen befreiten, machten sie etliche Fotos - und vor allem FilmaufnahmenBild: picture alliance/dpa

Die Presse berichtete täglich von den Prozessen. 1965 sorgte der Dramatiker Peter Weiss dafür, dass die Diskussion auch nach Prozessende anhielt. In seinem Theaterstück "Die Ermittlung" stellte er die Aussagen der anonymisierten Zeugen denen der namentlich genannten Angeklagten gegenüber. Und sorgte damit für Empörung.

Das Schicksal der Familie Weiss

Ende der 70er Jahre wurde im deutschen Fernsehen eine US-Serie gezeigt, die die Verbrechen der Nazis in die deutschen Wohnzimmer brachte: "Holocaust – Das Schicksal der Familie Weiss". Befördert durch die Identifikation mit der jüdisch-deutschen Arztfamilie Weiss - in der Hauptrolle Meryl Streep als nicht-jüdische Ehefrau - , wurde nun auch darüber gesprochen, was die Eltern denn nun vom "Verschwinden" ihrer jüdischen Nachbarn gewusst hatten. Es folgte 1985 Claude Lanzmanns mehrteiliger Dokumentarfilm "Shoah". Zum ersten Mal ging hier ein Regisseur mit den Überlebenden der Vernichtungslager an die Orte des Schreckens – und ermutigte sie zu erzählen, was genau passiert war. "Shoah" zählt bis heute zu den wohl wichtigsten Dokumenten über den Holocaust.

Wie kann es gelingen, das Grauen nicht zu vergessen?

Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hielt Martin Walser, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine Rede. Darin beklagte er eine Instrumentalisierung des Holocaust: "Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen." Und weiter sagte er: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung."

Das Wort "Auschwitz-Keule" war geboren und sorgte für einen Aufschrei. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warf Walser "geistige Brandstiftung" vor. Dabei wollte Walser Auschwitz keineswegs relativieren, doch er hatte eine schwierige Frage gestellt: Wie kann es gelingen, das Grauen – und auch die Schuld – von Auschwitz nicht zu vergessen und gleichzeitig die Symbolkraft dieses Wortes nicht zu mindern, indem es zu fahrlässig, zu routiniert genannt wird?

Auschwitz ist im kulturellen Gedächtnis der Deutschen verankert, die Bilder sind präsent. Dass sie dies auch für die nächste Generation bleiben, wenn es keine Zeitzeugen mehr geben wird, dafür können weiterhin Literatur, Kunst und Filme sorgen. Man muss nur hinschauen. Der Film, den die Briten bei der Befreiung von Bergen-Belsen begonnen hatten und den teilweise Hitchcock geschnitten hat, ist inzwischen fertiggestellt. Es ist nicht immer leicht hinzuschauen. Man sollte es dennoch tun.

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