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Ausgezwitschert?

Frank Sieren4. März 2014

Die Chinesen verlieren die Lust an ihrem Kurznachrichtendienst Weibo. Das liegt aber nicht nur an Pekings strenger Zensur, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

China Internet Sina Weibo auf Handy
Bild: Reuters

China hat natürlich seine eigenen sozialen Netzwerke. Bisher war Weibo eines der beliebtesten. Am ehesten lässt sich der Kurznachrichtendienst mit dem Angebot von Twitter vergleichen, nur dass die Nachrichten dort nicht auf 130 Zeichen beschränkt sind. Lange schien das Wachstum des Netzwerkes unaufhaltsam. Über eine halbe Milliarde Chinesen sollen hier registriert sein. Doch Weibo hat wohl seinen Zenit überschritten. Das haben jedenfalls Forscher der East China Normal University in Shanghai herausgefunden. Ihr Ergebnis: Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr ist die Zahl der geposteten Nachrichten der aktivsten User drastisch eingebrochen. Gab es im März 2012 noch über 430.000 Chinesen, die täglich über 40 Nachrichten über Weibo veröffentlicht haben, waren es Ende vergangenen Jahres nur noch 114.000 User.

Bei China wäre die erste Vermutung: das ist ein Beleg für die härtere staatliche Zensur. Aber warum durfte die Shanghaier Universität ihre Ergebnisse dann so international veröffentlichen? Ist das wiederum ein Zeichen von größerer wissenschaftlicher Freiheit? Oder sind die Zensoren so stolz auf ihre Arbeit, dass sie die Universität zu dieser Untersuchung aufgefordert haben?

Das passt alles nicht zusammen. Deshalb eins nach dem anderen: Weibo war in China lange der Ort im Web, um frei Informationen auszutauschen. Die neue Führung hat hier aber tatsächlich die Zügel angezogen. Da sich so mancher Tweet selbst für die technisch hochgerüsteten Zensoren zu schnell verbreitete, zogen sie mit strengeren Regeln nach. So kann man sich inzwischen nur noch mit seinem richtigen Namen registrieren. Und wer zu viele "Gerüchte" verschickt, kann dafür seit einiger Zeit angeklagt werden. Was Gerüchte sind und was nicht, entscheidet natürlich die Regierung.

Das ist zweifellos abschreckend. Dass nun aber weniger Nutzer ihre Zeit auf Weibo verbringen, dürfte auch einen viel einfacheren Grund haben: Es gibt etwas Besseres. In China ist der neue Place-to-be nun Wechat. Mit der Smartphone-App kann man nicht nur Neuigkeiten auf seiner Pinnwand posten oder mit Freunden chatten, sondern längst auch an der Kasse im Supermarkt bezahlen. Über 300 Millionen Nutzer hat das soziale Netzwerk in den letzten zwei Jahren gewonnen und immer mehr Menschen im Westen benutzen es auch.

In China passiert also das Gleiche wie in der übrigen Welt: Noch vor fünf Jahren gehörte das soziale Netzwerk von Myspace zu den zehn weltweit meistbesuchten Websites. Doch dann wechselten immer mehr Menschen begeistert zu Facebook. Mittlerweile verfügt es über 1,2 Milliarden Accounts und ist nunmehr die unangefochtene globale Nummer Eins. Doch auch das Unternehmen aus Kalifornien gerät bei manchen Zielgruppen schon wieder unter Druck: Amerikas Teenager etwa bevorzugen längst andere Dienste. Denn wer will schon im gleichen sozialen Netzwerk unterwegs sein, wie die eigenen Eltern? Statt auf Facebook verbringen sie ihre Zeit jetzt lieber mit der Pflege ihres Blogs bei Tumblr, oder schicken sich Fotos per Snapchat.

Bild: Frank Sieren

Im Westen wie auch in China gilt dabei gleichermaßen: Sozial ist, was verbindet und nicht unbedingt, was pädagogisch wertvoll oder politisch wichtig ist. Obwohl sie in einer Diktatur leben, nutzen die Chinesen ihre sozialen Netzwerke nicht in erster Linie, um den ganzen Tag über Politik zu diskutieren oder gar eine Revolution auszuhecken. Pandababyvideos werden natürlich in China genauso gerne geteilt, wie Katzenvideos in Deutschland.

Wenn es dann doch mal politisch wird, wissen die Zensoren in China natürlich auch, dass sie am kürzeren Hebel sitzen. Sie haben im Grunde keine Chance, das Spiel zu gewinnen, solange sie das Netz nicht komplett abstellen. Es ist übrigens erst fünf Jahre her, dass Peking dies während Unruhen in der Westprovinz Xinjiang probiert hat. Doch die wirtschaftlichen Nebenkosten waren und sind zu hoch. Deswegen bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mit den Usern Katz und Maus zu spielen. Die können nicht nur das soziale Netz wechseln. Sie können mit Codewörtern arbeiten, oder sich sogar nur auf niedliche Symbole beschränken. Ein putziger Panda, der freundlich zwinkert, reicht schon, um eine Massenbewegung auszulösen.

Allerdings sollten weder die Freiheitskämpfer, noch die Zensoren die Bedeutung des Netzes überbewerten. Dass die Schwelle für soziale Unruhen wegen Wechat und Co. niedriger liegt, ist keine ausgemachte Sache. Oder gar, dass stets ein Flügelschlag genügt, um einen Wirbelsturm auszulösen. Davon sind ja die Hardliner unter den Pekinger Zensoren ebenso überzeugt, wie die Chaostheoretiker. Der entscheidende Faktor ist jedoch nicht, wie dicht vernetzt das Netz ist oder wie effizient es kontrolliert wird. Entscheidend ist die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die landesweiten Demonstrationen 1989 fanden auch statt, obwohl es das Netz noch nicht gab, von der französischen Revolution ganz zu schweigen.

Das bedeutet für beide Seiten: Ist die Unzufriedenheit erst einmal groß genug, gibt es kein Halten mehr - mit oder ohne Netz. Aber eben nur dann.

Gegen ihre zum Teil paranoide Angst, die Macht im eigenen Land zu verlieren, hilft der Partei wiederum deshalb nur eines: Sie muss weiterhin dafür sorgen, dass die Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind. Das war ein Gesellschaftsvertrag, der in den letzten Jahrzehnten gut funktioniert hat. Die Menschen lassen die Einheitspartei gewähren, werden dafür aber mit Wohlstand belohnt. Und Wohlstand bedeutet auch Bildung, inzwischen sogar saubere Umwelt und ein faires Rechtssystem. Und diese Zufriedenheit kann man dann wiederum sehr gut bei Wechat messen: Je mehr Bilder von jungen Pandas, Urlaubsfotos und ihrem neusten Lieblings-Kantopopsänger die User ins Netz stellen, desto zufriedener sind sie.

Unser Korrespondent Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.