Ausländerkriminalität: Fakten, Fakes und Vorurteile
2. April 2025
Ist Deutschland sicherer geworden? Beim ersten Blick auf die aktuelle Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) könnte dieser Eindruck entstehen: Die Zahl der registrierten Straftaten ist 2024 nämlich um 1,7 Prozent gesunken. Insgesamt wurden 5,84 Millionen Fälle von der Polizei erfasst. Doch je genauer man hinschaut, desto größer werden die Zweifel, ob sich die Lage wirklich verbessert hat.
Weniger Straftaten, weil Cannabis legalisiert wurde
Die Antwort lautet: nein. Wesentlich für den Rückgang ist nämlich die Legalisierung des Besitzes und Anbaus von Cannabis für den privaten Drogen-Konsum. Das betonen Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, als sie in Berlin die neusten Kriminalitätszahlen präsentieren.
Was den beiden besonders große Sorgen bereitet, ist die um 1,5 Prozent auf über 217.000 Fälle gestiegene Gewaltkriminalität. Darunter waren fast 18.000 Angriffe mit Messern. Die führen in Deutschland jedes Mal zu politischen Debatten, wenn sie auf offener Straße passieren und die Tatverdächtigen keinen deutschen Pass haben. Spätestens dann wird oft die Frage gestellt, ob mehr Migration und Zuwanderung zu mehr Kriminalität führt.
Münch: "Es liegt nicht an der Herkunft"
Statistisch auffällig ist, dass es - gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung - deutlich mehr ausländische Tatverdächtige gibt als deutsche Tatverdächtige. Das gilt sowohl für Gewaltdelikte wie Mord oder Vergewaltigung als auch für Straßenkriminalität, wozu so unterschiedliche Straftaten wie Taschendiebstahl oder Drogenhandel gehören. Vor diesem Hintergrund ist BKA-Chef Münch eine Feststellung besonders wichtig: "Es liegt nicht an der Herkunft, sondern der Ballung der Risiko-Faktoren."
Er verweist auf die oft miserablen Lebensbedingungen für Flüchtlinge, die in Massenunterunterkünften hausen müssen und nicht arbeiten dürfen. Münch benennt die aus seiner Sicht entscheidenden Ursachen für höhere Kriminalität unter Ausländern: "Es sind psychische Belastungen. Es sind Gewalterfahrungen, die bei Zugewanderten häufiger aufgetreten sind, insbesondere in der Kindheit. Und es sind häufiger positive Einstellungen zu Gewalt."
Faeser: "Darüber muss man reden, ohne Ressentiments zu schüren"
Innenministerin Nancy Faeser ist sich im Klaren darüber, wie emotional aufgeladen und populistisch die oft pauschal geführte Debatte über sogenannte Ausländerkriminalität ist: "Darüber muss man reden, ohne Scheu. Aber, und das betone ich nochmal, ohne Ressentiments zu schüren." Auch sie erwähnt in diesem Zusammenhang die prekäre Lage vieler Geflüchteter, denen Schlepperbanden ein völlig falsches Bild von Deutschland vermitteln würden.
Faesers Empfehlung an die Medien: häufiger darüber berichten, dass Geflüchtete oft mehrere Jahre mit fremden Menschen in Zelten verbringen müssten. Mit diesem Tipp verbindet die Innenministerin eine Hoffnung: dass die Motivation des einen oder anderen, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen, abnehmen könnte.
Ein irreführender Begriff: "Ausländerkriminalität"
Aus wissenschaftlicher Sicht steht schon lange fest, dass der Begriff "Ausländerkriminalität" potentiell in die Irre führt und Vorurteile verstärken kann. Susann Prätor von der Polizeiakademie Niedersachsen forscht seit Jahren zu Migration und Kriminalität. Über ihre Erkenntnisse berichtete sie wenige Tage vor der Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik in einem Pressegespräch des Mediendienstes Integration.
Dabei bestätigte sie die Erklärungsversuche der Innenministerin und des BKA-Präsidenten für den vergleichsweise hohen Ausländeranteil bei tatverdächtigen Personen: "Es ist am Ende nicht die Staatsangehörigkeit, die Herkunft, sondern es sind die Bedingungen, unter denen Menschen in Deutschland leben."
Ursachen: Armut, geringe Bildung, elterliche Gewalt
Prätor ist Soziologin, Psychologin und Rechtswissenschaftlerin. Ihr Blick ist also breit angelegt und sie nennt Ursachen für Kriminalität unabhängig vom Pass und von der Herkunft: Armut, geringe Bildung, schlechtere finanzielle Lage, Wohnen unter prekären Verhältnissen, elterliche Gewalt. Die Forscherin sagt aber auch: "Ein bestimmtes Männlichkeitsbild ist ausgeprägter in bestimmten Gruppen, die eine nicht-deutsche Herkunft haben."
Die Expertin verweist außerdem auf eine weitere mögliche Erklärung für die statistisch deutlich höhere Zahl ausländischer Tatverdächtiger: das Anzeigeverhalten von Opfern und Zeugen: "Es ist empirisch in Studien belegt worden, dass Personen, die als fremd wahrgenommen werden, eine größere Wahrscheinlichkeit haben, angezeigt zu werden als Personen, die als deutsch wahrgenommen werden." Das könne man wohl nur am Aussehen festmachen oder an der Sprache, vermutet Prätor.
Nicht alle Ausländer in einen Topf werfen
Problematisch findet die Wissenschaftlerin zudem, dass bei der sogenannten Ausländerkriminalität eine sehr heterogene Gruppe in einen Topf geworfen werde: der Eingewanderte aus den USA, der traumatisierte Kriegsflüchtling aus Syrien, der vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommene Türke, der Tourist und auch der Ausländer, der zum Begehen einer Straftat hierherkäme und Deutschland danach wieder verlasse. Und all die vergleiche man mit Menschen, die einen deutschen Pass hätten.
Um das schiefe Bild zumindest ein wenig geradezurücken, werden die Zahlen in der jährlich veröffentlichten Polizeilichen Kriminalitätsstatistik inzwischen differenzierter dargestellt. Dazu gehört der Hinweis, dass der Anteil an Männern und an jüngeren Menschen bei der nichtdeutschen Bevölkerung höher ist - alleine dadurch sei eine höhere Kriminalitätsbelastung erwartbar. Denn junge Menschen und Männer werden - unabhängig von der Herkunft - öfter kriminell.
Das BKA weist zudem darauf hin, dass es nicht zuletzt Straftaten gibt, die nur von Ausländern begangen werden können: allen voran Verstöße gegen Asyl- und Aufenthaltsgesetze.